Kapitel 31

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Es stand also fest. Ich würde zu meinen Eltern zurückkehren, in der Hoffnung sie würden mich besser behandeln. Vielleicht hatten sich mein Vater und meine Mutter, in den paar Monaten in denen ich weg war, geändert und ihre Fehler mir gegenüber eingesehen. Wer sagte, dass alles so werden würde wie vor meiner Flucht?

Als ich meine Sachen mithilfe der Krankenschwester gepackt hatte, machten wir uns gemeinsam auf den Weg nach draußen. Wir verließen das Zimmer und gingen den weißen Gang hinunter. Am Ende des Flures befand sich ein Aufzug, in den wir einstiegen und bis zum Erdgeschoss fuhren.

Mein Herz schlug gleichmäßig in meiner Brust. Trotzdem war ich unheimlich nervös. Meine Handflächen schwitzen uns ich zitterte ein wenig. „Ist dir kalt?", fragte mich die Krankenschwester, der mein Verhalten nicht entgangen ist.

„Nein, alles gut", log ich während ich versuchte mein Zittern in den Griff zu bekommen. Gleich würden die Fahrstuhltüren mit einem leisen Quietschen aufgehen. Würde das Wiedersehen mit meinen Eltern glatt laufen?

Bevor ich wusste wie mir geschah, schoben sich die Lifttüren auf und ich wurde in den Eingangsbereich geführt. Und dann sah ich sie plötzlich schon von weitem. Mein Vater saß telefonierend im Wartebereiche und meine Mutter stand neben ihn und schaute sich suchend im Raum um, als ihr Blick plötzlich an mir hängen blieb.

Der große Raum war mit hohen großen Fenstern geschmückt. Er war schlicht und in weiß gehalten. Keine Auffälligkeiten schmückten seine Wände. Nur ein paar Pflanzen standen verteilt im Raum herum.

Meine Mutter hatte schon den halben Weg zu uns überquert. Elegant überwand sie die letzten Schritte zu mir. Ehe ich reagieren konnte, wurde ich schon in eine Umarmung gezogen. Doch sie fühlte sie nicht liebevoll an, sondern eher angespannt und erzwungen. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass sich nichts in den paar Monaten geändert hatte. Es würde sich absolut gar nichts verändern.

Mein Vater hatte sein Telefonat mittlerweile beendet. Er stand schon bei uns und redete eindringlich auf die Krankenschwester ein. Meine Mutter hatte sich inzwischen von mir gelöst und gesellte sich zu der überforderten Frau und meinem Vater. Fast leblos stand ich daneben und lauschte dem Gespräch.

„Ihre Tochter muss mir erst in Form einer Unterschrift bestätigen, dass sie Sie und Ihre Frau kennt. Vorher darf ich sie Ihnen leider nicht übergeben", erklärte die Krankenschwester meinen Vater verärgert.

„So ein Schwachsinn. Sie können doch sehen, dass wir eindeutig ihre Eltern sind. Wozu brauchen Sie eine Unterschrift?", entgegnete mein Vater zornig. Das war meine Chance. Wenn ich nicht unterschrieb, könnten mich meine Eltern nicht mitnehmen.

„Ich darf mich da leider nicht einmischen. Regeln sind Regeln. Ich bin hier nur für das Wohl der Patienten zuständig. Alles andere müssen Sie mit meinem Vorgesetzten klären", erklärte die Frau schlicht und wollte gerade mit mir wieder gehen, als sie meine Mutter aufhielt: „Wo ist Ihr Vorgesetzter gerade?"

Nachdenklich zögerte die Frau und sagte dann: „In seinem Büro, aber wieso ist es für Sie so ein großes Problem Ihre Tochter das Dokument unterschreiben zu lassen?"

„Das geht Sie nichts an. Warten Sie bitte kurz", erwiderte mein Vater erzürnt. Er wandte sich von uns ab. Nach ein paar Anrufen kehrte er zu uns zurück. Er reichte der Krankenschwester sein Handy.

Die junge Frau nahm es zögerlich entgegen und hielt es an ihr Ohr. Von Moment zu Moment wurde sie bleicher und bleicher. Bis sie schließlich das Gespräch mit: „Ja, ich habe verstanden", beendete und das Handy meinem Vater zurückgab.

Irritiert schaute ich der Krankenschwester nach, die meinem Vater zu nickte und dann fluchtartig davon ging und hinter der nächsten Ecke verschwand. Jetzt war ich wohl auf mich gestellt. Der Gedanke daran, was auf mich zu kommen würde, löste in mir eine ungreifbare Angst aus und ich wollte einfach nur davonlaufen und um Hilfe schreien.

„Komm, wir gehen", befahl mir mein Vater mit strenger Stimme. Er schien mehr als wütend auf mich zu sein. Auch meine Mutter verzog verstimmt ihr Gesicht.

„Ich habe dir gesagt wir gehen. Komm jetzt endlich mit uns!", sagte mein Vater mittlerweile rasend vor Wut. Ohne auf eine Reaktion meinerseits abzuwarten. Griff er nach meinem Handgelenk und zog mich aus dem Gebäude. Meine Mutter folgte uns zögerlich.

Vor dem Krankenhaus stand ein großes schwarzes Auto, in welches ich hinein gedrückt wurde. Ich versuchte mich erst gar nicht zu wehren. Es hatte sowieso keinen Sinn mehr. Für einen kurzen Moment hatte ich tatsächlich gedacht, ich würde mich aus den Krallen meiner Eltern befreien können. Doch ich irrte mich gewaltig.

Das Auto begann los zu fahren und ich starrte mit Tränen in den Augen aus dem Fenster. Die Landschaft zog an mir vorbei und ich fragte mich, ob ich meine Freunde je wieder sehen würde. Denis, Florian und natürlich Alec waren für mich dagewesen, als Ivonne Valerian beansprucht hatte. Trotzdem vermisste ich Valerian am meisten. Er war ein guter Freund gewesen und vielleicht hätte auch mehr aus uns werden können.

Tief in mir drinnen spürte ich den Fremden, welcher gestresst und angespannt wirkte. Vielleicht war das Ding doch nicht so böse wie ich dachte. Wahrscheinlich hatte es sogar einen guten Grund für sein Handeln. Wir waren doch ein Team, oder? Ich spürte die Bestätigung des Eindringlings in mir. Ich hatte die Kommunikation mit ihm wohl nicht verlernt. Das war gut, dann war ich wenigstens nicht ganz allein.

Als wir das Dorf verließen, begann es zu schütten und unweigerlich erinnerte ich mich wieder an meine Flucht zurück. An dem Tag hatte es auch geregnet. Eine Träne rann meine Wange hinunter. Ich würde alles dafür geben, die Zeit zurückzudrehen und nochmal im Bus, auf dem Weg zu meiner Oma, zu sitzen.

Ich fragte mich, was meine Eltern ihr angetan hatten. Doch es gab zu viele Möglichkeiten, weshalb ich aufgab und ahnungslos die Aussicht in mich aufzog. Wer weiß wann ich jemals wieder Regen, Wiesen und Wälder zu Gesicht bekommen würde?

Der Regen peitschte gegen das Auto und von weiten hörte ich ein Donnergrollen. Ein Gewitter kam also auf uns zu. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie schien es mich zu beruhigen und ich schlief, mit dem Kopf an die kalte Fensterscheibe gelehnt, ein.

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