Kapitel 46

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Schweigend überlegte ich. Wie konnte ich Valerian darzubringen mir sein Geheimnis anzuvertrauen?

„Warum wolltest du mich sehen?", vernahm ich eine bekannte Stimme direkt neben mir. „Ich wollte dich einfach nur sehen", argumentierte ich hoffentlich glaubwürdig.

Mittlerweile wollte ich Valerian nicht mehr mit meinen Problemen belasten. Es ging die ganze Zeit nur um mich und um ehrlich zu sein, wusste ich nicht viel über ihn. Er hatte einen Bruder, war einmal mit der echten Bianca zusammen und hat drei beste Freunde. Das war es eigentlich schon. Mehr wusste ich nicht.

Wie aus dem Nichts viel mir der Tag ein, an dem wir gemeinsam in der Stadt gewesen waren. Suchend sind wir die Einkaufsstraße hinauf und hinunter gelaufen, nur um das perfekte Geschenk für seine Mutter zu finden. Doch was war daraus geworden? Hatte sich Valerians Mutter über die Kleinigkeiten gefreut oder hatte Valerians Bruder sein Geschenk übertroffen?

„Valerian?", setzte ich an, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Erst als er seinen Blick verwirrt mir zu wandte Sprache ich meine Frage aus: „Ich habe dich das nie gefragt, aber hat sich deine Mutter über unsere gemeinsam ausgesuchtes Geburtstagsgeschenk gefreut? Und was hat dein Bruder ihr geschenkt?"

Lange schaute er mich an. So als hätte ich etwas Unaussprechbares gesagt. Sein Blick wurde immer leerer und Valerians Atem ging nur noch stoßweise. Ehe ich realisieren konnte, was gerade passierte glitzerten die ersten Tränen in seinen Augen. Keine Sekunde später brach er weinend zusammen.

Ohne zu zögern stand ich auf und hockte mich vor ihn auf den Boden. Er saß hinuntergebeugt auf dem Sessel und verdeckte mit seinen Händen sein Gesicht. Ich griff nach seinen warmen Händen und führte sie aus seinem Gesicht, um sie fest in meinen zu halten. Valerian ließ es regungslos zu.

Sein Blick wurde klarer und er schien sich langsam wieder zu sammeln. Bald kamen keine neuen Tränen mehr nach. Ich ließ einer seiner Hände los, damit er sich das hinterlassene Nass aus dem Gesicht wischen konnte. Zu meiner Verwunderung griff er wieder Hilfesuchende nach meiner Hand und starrte mir nun direkt in die Augen.

Seine grauen Augen sahen so unendlich traurig und verletzt aus. Was hatte ich nur mit meiner Frage angerichtet? Ich wollte Valerian nicht brechen. Nicht so. Unbewusster Weise hatte ich bei ihm einen wunden Punkt getroffen. Das wollte ich nicht. Ich wollte, dass Valerian es mir erzählte, wenn er bereit dazu war und nicht, weil er mir jetzt eine Erklärung für sein Benehmen liefern musste.

„Valerian, es tut mir so unendlich leid. Das wollte ich nicht. Wirklich. Ich hatte keine Ahnung", versuchte ich meine Gewissensbisse zu beruhigen. Valerian wurde plötzlich ganz ruhig.

Widerstandslos ließ ich ihn seine rechte Hand aus meiner nehmen. Überrascht stellte ich fest, dass sie jetzt auf meiner rechten, glühenden Wange lag. Sein Blick wurde weicher und er flüsterte erschöpft: „Du bist die letzte Person, die sich bei mir entschuldigen sollte. Du hast nichts falsch gemacht. Ich hätte es dir schon viel früher erzählen sollen. Damals im Krankenhaus, wo du dich mir anvertraut hast, da wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Aber ich habe mich einfach nicht getraut."

Ich war so überrascht über seine Ehrlichkeit, dass es mir die Sprache verschlug. Beschämt nahm er seine Hand von meiner Wange und zog auch die andere aus meiner. Auf einmal wirkte er kalt und abweisend. Valerian unterbrach den Blickkontakt und starrte unmittelbar auf die Wand neben ihn.

Langsam fand ich meine Sprache wieder. Am liebsten hätte ich den Jungen vor mir umarmt. Ich hätte ihm versprochen, dass alles wieder gut werden würde. Doch das Leid in seinen Augen zeugte vom Gegenteil.

„Valerian? Bitte mache dir keine Vorwürfe. Ich weiß, dass es nicht leicht ist sich jemanden anzuvertrauen. Ich werde dich zu nichts drängen. Du bist mir nichts schuldig und ich akzeptiere auch dein Schweigen", versuchte ich Valerian klar zu machen. Er antwortete nicht.

Gekränkt überlegte ich aufzustehen. Ich wollte nur noch diesen Raum verlassen. Nie im Leben wollte ich Valerian in diesen Zustand versetzen. Ihn so leiden zu sehen traf mich tief im Herzen. Egal wie schlimm meine Vergangenheit war. Was Valerian durchgemacht haben musste, war mindestens genauso schlimm.

Der Junge vor mir auf dem Sessel rührte sich immer noch nicht. Also war ich kurzerhand aufgestanden. Ich wollte gerade zur einzigen Tür im Raum gehen und schauen, ob sie offen war, als mich eine Hand am Handgelenk packte und zurück zog. Irritiert drehte ich mich zu Valerian um.

Er war anscheinend aufgesprungen, als er mein Gehen bemerkt hatte. Jetzt standen wir uns gegenüber. Wir starrten uns wieder einfach nur in die Augen. Valerians waren rötlich und leicht geschwollen. Sein Gesichtsausdruck wirkte hart, aber gleichzeitig auch verletzt. Unwissend was ich sagen sollte stand ich da.

„Geh nicht", stieß Valerian angestrengt hervor. „Valerian, du musst es mir wirklich nicht erzählen. Ich kann mir gut vorstellen, dass du darüber einfach nicht reden kannst. Okay?", versuchte ich ihm erneut klar zu machen.

Plötzlich war sein Gesicht so nah. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut und augenblicklich stand mein ganzer Körper unter Strom. Mein Kopf war leer gefegt und mein Herz raste, als würde ich einen Marathon hinter mir haben. Was passierte gerade? Für einen kurzen Moment ruhte sein Blick auf meinen Lippen. Fragend sah er mich an.

Bevor ich wusste was ich überhaupt tat, überbrückte ich die wenigen Millimeter zwischen uns und fand meine Lippen sanft an seine gedrückt wieder. Sofort erwiderte Valerian den Kuss. Der Kuss war vorsichtig und voller Leidenschaft.

Mein Puls war so schnell und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten aufgeregt. Hilfesuchend schmiegte ich mich an Valerians Körper und legte meine Hände in seinen Nacken, um ihn näher zu mir herunter zu ziehen. Seine Hände ruhten schon längst auf meiner Hüfte.

Viel zu schnell war der Moment vorüber gegangen. Seine zarten Lippen lagen nicht mehr auf meinen. Dennoch starrte er mich mit glühenden Augen an. Sprachlos konnte ich nicht anders als zurück zu starren. Schwer atmend versuchten wir unsere Sprache wiederzufinden.

Valerian war wohl schneller als ich denn er führte unser vorheriges Gespräch mit atemloser Stimme fort: „Du musst es wissen. Ich will es so. Du hast es verdient zu erfahren. Nach allem was wir zusammen durchgestanden haben", erwiderte der Junge bestimmt. Widerstandslos ließ ich mich zurück zu meinem Sessel führen.

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