Kapitel 28

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„Wie bist du ausgebrochen? Ich dachte, dass die Wissenschaftler dich die ganze Zeit überwacht haben", fragte Valerian und nahm mir somit die Entscheidung, ob ich ihm genaueres zum Ausbruch schildern sollte oder nicht, ab. Mit ungutem Gefühl erinnerte ich mich an den Tag des Ausbruches zurück. Es war ein Freitag gewesen.

Heute ist der Tag gekommen. Der Tag unserer Flucht. Über mehrere Monate haben wir unseren Ausbruch geplant. Ich habe mühsam die Fähigkeit, die Gedanken und Bedürfnisse des Fremden zu lesen, perfektioniert. So konnten wir unsere Flucht planen. Schnell waren wir uns einig gewesen.

Der Eindringling würde während dem Ausbruch unseren Körper übernehmen, denn das wäre das Letzte, womit die Wissenschaftler rechnen. Meine Kooperation mit dem Ding in mir. Zuvor habe ich mich immer gegen den Fremden gewährt und verteidigt. Manchmal sogar bis zur Bewusstlosigkeit. Dann hatte der Eindringling zwar die Kontrolle bekommen, aber ich hatte wenigstens nicht kampflos aufgegeben.

Jetzt ist es endlich so weit und unser Plan kann in die Tat umgesetzt werden. Freitag ist der perfekte Tag, weil die meisten Wissenschaftler früh nach Hause wollen, um bei ihren Familien zu sein. Dann sind die Forscher schon in Gedanken Zuhause und handeln unvorsichtiger.

Zusätzlich ist der Zeitpunkt ein wichtiges Detail. Wann haben wir die größte Chance auf einen erfolgreichen Ausbruch? Natürlich während einer Untersuchung und genau diese, würde in wenigen Minuten beginnen.

Dieselbe Frau, wie jeden Freitag Vormittag, würde an unserer Zimmertür klopfen und sie anschließend aufsperren sowie uns bitten, mit ihr zum Untersuchungsraum zu gehen. Dann müssen wir uns auf eine Liege legen und die Ärzte würden mit ein paar Gesundheitstest beginnen.

Ehe ich den folgenden Ablauf gedanklich durchspielen kann, klopft es schon an der Tür und die blondhaarige junge Frau betritt das Zimmer. Ihr Blick ist starr auf den Boden gerichtet. Ich weiß, dass sie sich vor uns fürchtet. Eigentlich nur vor mir, denn die Frau weiß nicht, dass es den Fremden gibt. Zum gefühlt hundertsten Mal streift mein Blick das Namensschild, auf dem nur ein einziges Wort steht: Luise.

Obwohl ich sie nicht kenne, weiß ich, dass sie keine Ahnung von dem hat, was hier wirklich vor sich geht. Sie ist schlichtweg eine unwissende und naive Praktikantin. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, mich von A nach B und wieder zurück zu bringen.

„Kommst du?", fragt Luise mich mit einer unterwürfigen, ängstlichen Art. Sie hat tatsächlich immer noch Angst, dass ich ihr etwas antue. Scharf ziehe ich die Luft ein und stehe von meinem Bett auf, auf welchem ich vorher noch gesessen habe.

Das Zimmer hat einen grauen Betonboden, graue Wände und die Möbel sind ebenfalls in einem kalten grau gehalten. Ich seufze und hoffe, dass ich diesen Raum nie wieder betreten würde. Dann muss ich nie wieder den großen, leeren Raum mit dem schlichten Bett, dem kleinen Schreibtisch inklusive Sessel und dem kleinen improvisierten Badezimmer in einer der Ecken ertragen.

Luise muss mich durch einige Gänge führen. Den Weg kenne ich schon längst auswendig. Langsam folge ich ihr und warte den perfekten Augenblick ab. Die junge Frau ist so vertieft in den Weg zum Untersuchungsraum, dass sie mich ganz vergießt. Nach wenigen Minuten verdoppelt sich ihre Geschwindigkeit und Luise läuft schon fast durch die Flure. Das ist unser Stichwort. Bei der nächsten Kreuzung würde sie rechts abbiegen und wir links. Luise ist sowieso zu vertieft in ihre Gedanken, sodass ihr unser Fehlen nicht auffallen würde.

Nachdem wir in die andere Richtung abgebogen sind, spüre ich eine zurückweisende Kälte. Der Fremde würde jetzt die Kontrolle über mich übernehmen und uns im Sicherheit bringen. Geduldig warte ich auf den Moment, wo ich meinen Körper zurück bekommen würde. Doch er kommt nicht. Eine unangenehme Nervosität breit sich in mir aus. Der Eindringling würde mir doch die Steuerung meines Körpers zurück geben, oder nicht?

Schlussendlich beschließe ich, dass das Ding nicht will, dass ich wieder die Kontrolle über meinen Leib bekomme. Verärgert kämpfe ich gegen den Eindringling an. Es ist mein Körper und das Ding hat dabei nichts mitzureden. Ich konzentriere mich auf den Fremdkörper und versuche ihn mit all meiner Willenskraft zurückzudrängen. Doch so einfach ist das nicht, der Eindringling wehrt sich und das Ding ist nicht gerade schwach. Trotzdem gewinne ich schneller als erhofft die Oberhand und dränge verzweifelt den Fremden in die hinterste Ecke meines Bewusstseins. Ich hätte diesem Eindringling nie vertrauen sollen.

Erschöpft blinzele ich und kann meine Umgebung wieder scharf wahrnehmen. Der Unbekannte hat mich in einen nahe liegenden Wald gebracht. Von weiten höre ich Hunde bellen und Leute irgendwelche Befehle brüllen. Panisch beginne ich durch den Wald zu rennen. Ich laufe so schnell wie mich meine Beine tragen können. Mit der ständigen Angst, der Fremde würde wieder Besitz über mich ergreifen oder die Forscher würden mich finden.

Aber mir ist fürs erste die Flucht gelungen. Der Ausbruch aus dem Gefängnis, welches meine Eltern für mich aufgebaut hatten. Zurück kann ich nicht. Wo soll ich nun Zuflucht finden? Ich renne immer noch, aber von weiten kann ich schon einen Busbahnhof ausfindig machen. Das ist meine Rettung und plötzlich kommt mir eine Zufluchtsidee...

Müde schloss ich die Augen. Trotz dem meine Flucht gelungen war, hatte ich manchmal noch schreckliche Albträume von dem Ausbruch. Denn was wäre passiert, wenn ich nicht stark genug gewesen wäre, um den Fremdkörper in mein hinterstes Bewusstsein zu sperren?

Was wäre passiert, wenn die Forscher mich gefunden hätten, bevor ich den Busbahnhof erreichen konnte? Die schlimmsten Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab und langsam wurde mir schwindlig.

Valerian hatte seitdem ich ihm über meinen Ausbruch erzählt hatte, kein Wort mehr gesagt. Er saß tonlos neben mir und dachte nach. Nervös warf ich ihm einen Seitenblick zu. Getroffen wandte ich mich ab.

Valerian wusste jetzt, dass ich ein gefährliches Monster war. Wahrscheinlich hatte er jetzt Angst vor mir oder er hasste mich. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich hatte meinen besten Freund verloren, trotzdem hätte ich ihn keinen Tag länger belügen können. Ich hatte das Richtige getan. Ich hatte Valerian von meiner Vergangenheit erzählt.

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