Kapitel 51

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Nach einem relativ kurzen Fußmarsch hörte ich eine Tür aufgehen. Im nächsten Moment wurde ich auf eine harte Fläche gelegt. Dann wurde der Sack von meinem Körper gezogen.

Ein grelles Licht blendete mich und ich musste ein paar Mal Blinzeln, um meine Umgebung erkennen zu können. Ich lag in einem der vielen Untersuchungsräume. Eines glich dem anderen. Nur die Nummerierungen an den Außenschildern der Türen wiesen auf den richtigen Raum hin.

Die kalte Metallfläche drückte hart gegen meinen frierenden Körper. Immer noch rannten einzelne Tränen meine Wangen hinunter. Ich war so mitgenommen und erschöpft. Mein Gehirn hatte große Schwierigkeiten das Geschehene zu verarbeiten.

Mein Herz pochte schwer und unruhig gegen meinen Brustkorb. Adrenalin durchflutete meinen Körper. Ich fühlte mich gleichzeitig müde und aufgewühlt. Mein Kopf schmerzte und ich drohte jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Mein Atem ging flach. Zitternd atmete ich vor mich hin.

Hoffnungslos starrte ich an die weiße Decke über mir. Sie war schalldicht. Niemand würde mich schreien hören. Ich war umzingelt von Wissenschaftlern und Agenten. Meine Fluchtchancen standen gleich Null.

Der Fremde versuchte mir einzureden zu fliehen. Doch ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Endlich schien das auch der Fremdkörper verstanden zu haben. Für mich gebe es keine Zukunft.

„Ich hoffe, dass wenigstens du überlebst", dachte ich. Der Eindringling versuchte mir klar zu machen, dass ich es auch schaffen würde, aber ich glaubte ihm nicht. Meine Großmutter hatte ganz klar gesagt, dass meine Überlebenschancen sehr gering waren.

Vielleicht war der Tod ja mehr wie eine Erlösung. Mein ganzes Leben wurde ich belogen und missbraucht. Der einzige Grund weiter zu leben wäre Valerian.

Meine Sicht verschwamm vor meinen Augen. Ein unscharfer Schatten tauchte über mir auf. Ich konnte nicht erkennen wer es war, aber das war unbedeutend. Ich fühlte mich immer noch so schwach.

Hoffentlich verlief mein Tod kurz und schmerzlos. Vielleicht bekam ich noch vor der Behandlung eine Narkose, aus der ich nicht mehr erwachen würde. Wie auch immer, meine Stunden waren gezählt.

Die Person wurde klarer und schockiert starrte ich sie an. Ihre Umrisse waren plötzlich scharf. Die undurchschaubaren Augen von Isabelle blickten mir entgegen. Fassungslos starrte ich Emilys Mutter an.

Die Frau, bei deren Familie ich den Großteil meiner Sommer verbracht hatte. Vor dem Tod meiner Schwester und vor dem Einsetzen des Fremdkörpers.

Mein Herz verdoppelte seine Schlaggeschwindigkeit. Was zum Teufel wollte Isabelle hier? Ich erinnerte mich noch an den Tag, als meine Mutter und ich ihr auf dem Gang begegnet sind. Emilys Mutter hatte uns erzählt, dass sie für meinen Vater arbeitete, weil ansonsten ihre Familie entführt werden würde. Stimmte das überhaupt?

„Isabelle?", fragte ich schwach. „Gracie. Schön, dass du noch bei uns bist", Emilys Mutter lächelte mich fröhlich an. „Wie konntest du nur? Wieso tust du das? Hilfe mir doch", quollen die Worte aus mir heraus. Ihr Lächeln erstarb ein wenig.

„Wieso sollte ich? Ich wurde nie zu etwas gezwungen. Ich tue das hier freiwillig. Deine Großmutter hat mir im Gegenzug Ruhm und Reichtum versprochen. Wie hätte ich da ihr Jobangebot ablehnen können? Ihr Plan war perfekt. Seit der Einpflanzung des Fremdkörpers ist alles bis ins kleinste Detail geplant. Naja, mit Ausnahme von Valerian und seinen anderen Freunden. Weder deine Großmutter noch ich haben damit gerechnet, dass du so schnell Anschluss finden würdest. Aber das ist jetzt nicht mehr von Bedeutung. Wir haben dich jetzt genau da, wo wir dich haben wollen."

Ihr Lächeln wurde breiter. „Anna? Wo steckst du? Ich schätze wir können anfangen", rief Isabelle meiner Mutter zu. Natürlich würde meine Mutter die Prozedur durchführen. Sie war die einzige, die ungefähr wusste wie das funktionierte.

Mit langsamen Schritten marschierte sie in mein Blickfeld. Erschrocken starrte ich sie an. Ihre Augen wirkten leer und gleichzeitig unendlich traurig. Ihr Anblick brach mir das Herz. Sie hatte starke Augenringe. Ihre ganze Gestallt schien um Jahre gealtert zu sein. Das war nicht meine Mutter.

Als meine Mutter ihre Augen direkt auf mich richtete, sah ich eine nicht deutbare Emotion aufblitzen. Doch so schnell sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Mit großen Augen sah ich sie an. Meine eigene Mutter würde mich umbringen.

Tief im Herzen wusste ich, dass sie mir den Tod meiner Schwester verziehen hatte. Sie wusste, dass es nur ein Unfall gewesen war und ich nichts dafür konnte. Es war der Fremde in mir, aber ich spürte, dass es ihm aufrichtig leid tat.

Seit ich seine Gefühle lesen konnte, wusste ich, dass er sein Verhalten bereute. Trotzdem holte das meine Schwester nicht mehr zurück zu den Lebenden.

„Bringt den Körper herein", hörte ich die Stimme meine Oma durch die Lautsprecher an der Decke hallen. Im nächsten Moment wurde eine Tür aufgerissen und sechs Wissenschaftler trugen einen großen Fellknäuel hinein. Sie legten das Tier auf einen Metalltisch, welcher etwa zwei Meter von mir entfernt stand.

Das war der Wolf? Das Tier war für einen Wolf ziemlich groß geraten. Ich schätzte seine Schulterhöhe auf einen Meter. Die Zähne des Tieren waren lang und scharf. Sein Fell war lang und dunkelbraun mit beigen Bauch sowie Gesicht.

Dieses Lebewesen würde mit diesem Gebiss sicher auch Menschen locker töten können. Doch der Wolf hatte seinen gewünschten Effekt. Der Fremdkörper schien sehr erfreut über sein neues Zuhause zu sein. Ich jedoch fühlte mich nur noch leerer.

Gerne hätte ich den Fremden in seinem neuen Körper erlebt. Ich würde nie wieder in Valerians graue Augen sehen und ich würde nie wieder seine Freunde wiedersehen. Tränen stiegen mir in die Augen.

Vor allem tat es mir um Alec leid. Ich hatte nicht mehr die Möglichkeit bekommen, ihm alles zu erklären. Unser letztes Gespräch endete nicht sonderlich gut. Alec wurde wütend und sprach nicht mehr mit mir. Das würde ich nun nie wieder gut machen können.

Traurig riss ich mich vom eindrucksvollen Wolfskörper los. Mein Blick galt wieder der Decke über mir. Ich wollte es endlich hinter mich bringen. Je länger sich das Verfahren in die Länge zog, desto mehr zerbrach mein Herz. Es schmerzte jetzt schon unerträglich, als würde es zerquetscht werden.

„Sind alle bereit? Schließt die Maschinen an. Dann können wir starten", verkündete meine Großmutter. Ihr Stimme klang gut hörbar durch den ganzen Raum. Ich hörte die hektischen Schritte von Personen. Dann hörte ich ein Klicken und Knirschen.

„Wir sind so weit", verkündete Isabelle. „Gut, dann holt die Spritze. Wir wollen Gracies Ende so schön wie möglich für sie gestalten", erklang erneut Omas Stimme durch die Lautsprecher.

Schritte näherten sich meinem Tisch. Meine Mutter erschien erneut in meinem Blickfeld. Sie hatte eine Spritze in der Hand. Schuldig schaute sie mir entgegen. In ihren Augen sammelten sich Tränen.

Sie sah in diesem Moment so unendlich traurig aus. Ich schaute meiner Mutter direkt in die Augen und schenkte ihr ein leichtes, aber ehrliches Lächeln. Es war das letzte Grinsen, dass meine Lippen umspielen sollte.

Ein paar Sekunden später spürte ich die Spitze der Spritze in mich eindringen. Vorsichtig wurde sie immer weiter in meinen Arm geschoben. Langsam spürte ich, wie das Mittel von meinem Arm fort gepumpt wurde.

Mein Körper begann zu kribbeln. Immer mehr Körperteile wurden taub. Meine Sicht verschwamm wieder und drohte schwarz zu werden. Ein unerträgliches Kopfweh setzte ein. Dann wurde mir schwindelig und schwarze Punkte versperrten mir jegliche Sicht.

Mein Herzschlag wurde langsam und ruhig. Mir viel es immer schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Dann wurde ich vollkommen ruhig. Müde gab ich dem Verlangen nach Schlaf nach.

Gedankenlos schloss ich meine Augen. Sofort wurde ich von einer zarten Stimme in Empfang genommen und ins Jenseits geführt.

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