Kapitel 12

335 25 1
                                    

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Wie lange würde es noch dauern, bis sie da waren? Ein Blick auf meine Handyuhr verriet mir, dass es bald 19 Uhr sein würde. Dennoch verging die Zeit wie im Schneckentempo.

Frustriert stöhnte ich auf und hätte am liebsten meinen Kopf auf den Tisch geschlagen. Doch das ging nicht, da ich gerade mit Valerian zusammen an einem Tisch in einem kleinen Restaurant saß. Das Lokal lag sogar unmittelbar in der Nähe von dem Zuhause meiner Großmutter.

Wir warteten schon gefühlte Stunden auf Valerians Freunde, obwohl es gerade einmal fünfzehn Minuten waren. Valerian hatte darauf bestanden, mir seine Freunde nicht in der Schule vorzustellen, was mir aber um einiges lieber gewesen wäre.

Unpraktischer Weise war ich ein äußerst schüchterner und unsicherer Mensch, was mich nicht unbedingt beliebt oder sympathisch machte. Schon im Vorhinein wusste ich, dass das Zusammentreffen mit Valerians Freunden eine Katastrophe werden würde. Meine Kommunikationsfähigkeiten waren schlechter als die einer Wand und das war kaum zu übertreffen.

Unwohl schaute ich mich in dem kleinen Restaurant um. Ich scannte die wenigen, besetzten Tische und die dazugehörigen Personen ab. Kein bekanntes Gesicht. Gerade als ich mich wieder an Valerian wenden wollte, sah ich den alten Mann in einer dunklen Ecke sitzen.

Ich war mir sicher, dass es derselbe Mann wie schon aus der Bibliothek und aus dem Bus war. Mein Körper war wie gelähmt. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Alten in der Nische. Was wollte er von mir? Warum verfolgte er mich?

Am Rande registrierte ich die drei Jungen, welche sich zu uns gesellt hatten. Ich hörte verzerrte Stimmen im Hintergrund, konnte aber nicht viel verstehen. Der ältere Herr hatte nun die Speisekarte beiseite gelegt und schaute mich mit interessiertem Blick an.

In dem Moment war ich so froh, eine abgedunkelte Brille zu tragen. Trotzdem setzte mein Herzschlag für einige Sekunden aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. Ich begann zu zittern und die aufkommende Angst, erschwerte mir das Atmen.

Ein Stoß in meine Rippen löste mich aus meiner Schockstarre. „Sag doch endlich was", forderte mich Valerian genervt und mit wütendem Blick auf. Ich nickte beschämt.

Kurz wandte ich mich vom alten Mann ab, um einen Blick in die entstandene Runde zu werfen. „Hallo, ich bin Gracie", sagte ich ungewollt monoton und beiläufig. Dann konzentrierte ich mich wieder auf den Mann in der Nische. Er schaute immer noch zu uns. Sein wachsamer Blick ließ mich nichts Gutes erahnen und bescherte mir ein unangenehmes Gefühl.

„Was ist los, Gracie? Stimmt etwas nicht?", fragte mich Valerian plötzlich mit einem Hauch von Unruhe. Ich nickte und zeigte stumm auf den alten Herren, welcher sein Gesicht wütend aufgrund meiner Geste verzog. Alle vier Jungen folgten meinem Finger.

„Kennt ihr den?", fragte einer von Valerians Freunden verwirrt nach. „Nein, eigentlich nicht", antwortete Valerian an meiner Stelle. „Doch! Das ist derselbe Mann, der in der Bibliothek und im Bus war. Ich schwöre es dir", verteidigte ich mich nervös wegen der mittlerweile bedrückten Stimmung.

„Ja schon, aber wirklich kennen, tun wir ihn nicht", beharrte Valerian stur. „Aber er verfolgt mich", versuchte ich mich aufgebracht zu verteidigen. Valerian zuckte nur lediglich mit den Schultern, so als würde er es auf meinen Verfolgungswahn schieben. Empört starrte ich Valerian an, nur um dann zu beschließen, dass mir das hier alles zu viel wurde.

„Ich werde jetzt gehen. Es reicht mir! Dieser Mann verfolgt mich, wieso glaubst du mir das nicht? Ich bin nicht verrückt!", wendete ich mich verletzt an Valerian. Fassungslos sah er mich an. Doch bevor er etwas erwidern konnte, war ich schon aus dem kleinen Restaurant gestürmt.

Draußen blies ein eisiger Wind und ich begann zu frieren. Verdammt. Warum war es noch so kalt? Gerade als ich mich enttäuscht auf den Weg nach Hause machen wollte, wurde ich von Valerians Stimme aufgehalten: „Gracie! Warte! Ich glaube dir doch. Tut mir leid."

Traurig drehte ich mich um und flüsterte: „Das weiß ich doch." Tränen stiegen mir in die Augen. Mein Herz begann zu schmerzen und meine Beine zitterten vor Angst und Kälte. „Wo sind deine Freunde?", fragte ich mit zittriger, dünner Stimme. „Sie warten drinnen. Komm wieder mit hinein, der alte Mann kann und wird dir nichts antun", bat mich Valerian bestimmt. Geschlagen nickte ich und begleitete ihn zurück ins Lokal.

Als wir wieder am selben Tisch wie zuvor ankamen, flüsterten seine Freunde verschwörerisch miteinander, aber verstummten sofort, als sie mich erblickten. Valerian und ich setzten uns wieder zu ihnen.

Ein kurzer Blick in die Nische reichte, um zu realisieren, dass der alte Mann verschwunden war. Zeitgleich entspannten sich meine Muskeln wieder und eine kleine Last fiel von meinen schweren Schultern.

„Na gut. Dann wiederholen wir das Vorstellungsgespräch noch einmal", verkündete Valerian mit freudigem Unterton, um die Stimmung etwas aufzulockern. Er deutete mir zu beginnen und ich nickte ihm kurz unsicher zu. „Also ich heiße Gracie. Ich bin vor ungefähr mehr als einem Monat hierher gezogen und wohne bei meiner Oma hier in der Gegend", erzählte ich den drei Unbekannten alles was sie wissen mussten.

Freundlich lächelten sie mir zu. Ein blondhaariger Junge mit dunkelbraunen Augen und hohen Wangenknochen, stellte sich als Florian vor. Er hatte eine jüngere Schwester und spielte Gitarre.

Ein anderer mit hellbraunen, lockigen Haaren hieß Denis. Er erzählte mir, dass er gerne Videospiele programmierte. Er trug eine Brille und schaute mir schüchtern entgegen. Denis erinnerte mich äußerlich an das Klischee eines typischen Nerds.

Der dritte von den dreien hatte ebenfalls braune Haare. Seine Augen waren haselnussbraun. Er trieb gerne Sport und war in einem Basketballteam. Der Name des großgewachsenen Jungen war Alec.

Die Jungen wirkten alle so unterschiedlich, weshalb ich etwas überrascht geschaut haben musste, denn die vier Freunde grinsten sich im nächsten Moment wissend an. Verunsichert schaute ich ihnen entgegen.

War es wirklich eine gute Idee noch mehr Freundschaften zu knüpfen? Immerhin hatten mich meine alten Freundinnen hintergangen. Sophie und Zoe hatten nur an sich selbst gedacht und mich kaltherzig ausgeschlossen und schließlich verraten.

TeufelswerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt