Kapitel 67

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Ihm war zum Heulen zumute

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Ihm war zum Heulen zumute.

Seine Mutter dort liegen zu sehen. Mit tiefen dunklen Ringen unter den eingefallenen Augen, die sonst so strahlend roten Wangen fahl und ausgemergelt.

Wie konnte sich der Gesndheitszustand einer Person so schnell zum Negativen drehen? Vor zwei  Wochen noch, war er mit ihr durch den Park spaziert und hatte ihr von dem neuesten Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft berichtet.

Sie hatte gelacht und ihm durchs Haar gestreichelt.

Jetzt hatte sie kaum noch Kraft, den Kopf in seine Richtung zu drehen.

"Deine Mutter hat sich überanstrengt. Wir haben ein neues Medikament ausprobiert, dessen Nebenwirkungen sie wohl unterschätzt hat.", sprach der neben ihm stehende Arzt leise. "Ich habe ihr gesagt, sie ist kein junges Mädchen mehr, aber du weißt ja selber, wie stur sie sein kann."

"Bezeichnest du mich schon wieder als alte Frau?", kam die Entgegnung, die so leise geflüstert wurde, dass man die Ohren spitzen musste.

"Mama.", war alles, was Jin sagen konnte. Der Kloß in seinem Hals wurde von Sekunde zu Sekunde größer, er hatte das Gefühl, regelrecht daran ersticken zu müssen.

"Es geht mir gut.", entgegnete die Frau matt, die bläulich angelaufenen Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen. "Ich bin das blühende Leben."

Diesen Sarkasmus kannte er bereits von ihr. Immerhin legte sie ihn bereits sein ganzes Leben an den Tag.

"Das macht sie schon die ganze Zeit mit mir. Irgendwann lasse ich sie auf die Orthopädie verlegen. Zu den Omas mit künstlichen Hüften.", rollte der Arzt theatralisch mit den Augen.

Die Frau lachte schwach, hustete dabei: "Die werden sich freuen, wenn ich ihnen erzähle, was der Herr Doktor so in seiner Freizeit treibt."

"Untersteh dich. Sonst führe ich dich nicht mehr schick aus in die Kantine.", entgegnete der grauhaarige Arzt.

Verwirrt blickte Jin zwischen den beiden hin und her.

Was war hier eigentlich los?

Seine Mutter lag förmlich im Sterben und die beiden scherzten wie ein verknalltes junges Pärchen.

Scheinbar wurden seine Blicke bemerkt, versuchte seine Mutter, sich doch umständlich im Bett aufzurichten.

Gerade, als Jin ihr zu Hilfe eilen wollte, trat bereits der Arzt einen Schritt vor und stützte die Frau vorsichtig, fast liebevoll.

Stirnrunzelnd betrachtete er die beiden, hob schließlich überrascht die Brauen.

"Wir sollten es ihm sagen.", entschied seine Mutter, stupste den Mann neben sich gegen die Schulter.

"Was solltet ihr mir sagen?", hakte Jin verwirrt nach, den Blick auf die beiden vertraut wirkenden Personen vor sich.

"Nun ja, deine Mutter und ich kennen uns ja noch aus Schulzeiten.", begann der Arzt, erntete ein stummes Nicken von dem Jüngeren.

Das wusste er bereits. Immerhin hatte seine Mutter sich extra dieses Krankenhaus ausgesucht, da sie ihre Kindheit und Jugend in dieser Gegend verbracht hatte und ihm damals ganz sachlich erklärt hatte, dass sie auch hier im Ort beerdigt werden möchte.

Auch wenn die Ausstattung vielleicht nicht so modern und effizient wie in der Stadt war, hatte Jin damals doch zähneknirschend zugestimmt. Ihm war es lieber, dass seine Mutter sich wohlfühlte.

"Ich war wirklich überrascht, als ihr Name plötzlich auf meiner Patientenliste erschien.", lächelnd betrachtete er die neben ihm sitzende Frau, die ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt hatte.

Spätestens bei dieser Geste begriff Jin.

"Ihr seid zusammen.", deutete er richtig, erntete er doch ein albernes Kichern der beiden.

Dennoch schüttelte der Dunkelhaarige ungläubig den Kopf: "Ihr habt mich ernsthaft angerufen und mir absichtlich Angst gemacht, damit ihr mir jetzt sagen könnt, dass ihr ein Paar seid?"

Seine Mutter blickte ihn derart ernst an, dass ihm augenblicklich der Wind aus den Segeln genommen wurde.

"Ich werde sterben, Jin.", brachte sie ihn wieder auf den Boden der Tatsachen. "Es ist lediglich noch eine Frage der Zeit. Der Tumor in meinem Rückenmark ist irreparabel und es gibt Tage, da kann ich nicht einmal meine Beine bewegen."

Das wusste er. Alles.

Nächtelang hatte er sich darüber im Internet belesen in der Hoffnung, doch noch eine Methode zur Heilung finden zu können. Er hätte alles getan, um ihr irgendwie zu helfen. Sie war doch seine Mutter.

"Sehun hat dich angerufen, ohne dass ich es wusste.", erklärte sie weiter, deutete auf den Arzt neben sich. "Oder es wollte. Eigentlich möchte ich nicht, dass du dir unnötig Sorgen machst, weil deine alte Mutter lediglich hingefallen ist."

Jin wollte sie gerade unterbrechen und widersprechen, wurde aber durch ihre erhobene Hand davon abgehalten.

"Ich fühle mich hier wohl und bin froh, auf den letzten Metern meines Lebens noch jemanden an meiner Seite zu haben, der mich nicht immerzu mit traurigem Welpenblick bedauert."

Diese Spitze war eindeutig gegen Jin gerichtet.

Wie oft hatte er schon von ihr gehört, dass er sie mit seinem Verhalten nicht immer daran erinnern sollte, wie krank sie eigentlich war.

"Und was bedeutet das jetzt?", hakte er vorsichtig nach, obwohl er anhand des Gesichtsausdruckes seiner Mutter die Antwort bereits kannte.

Diese atmete tief durch, ehe sie das Wort erneut an ihn richtete: "Bitte komm nicht mehr her. Ich will nicht, dass du mich als gebrechliche totkranke Frau in Erinnerung behälst. Genieß dein Leben und verschwende keinen Gedanken an mich."

Jin erstarrte.

"Was?", krächzte er heiser, seine Stimme versagte.

"Die Schwestern haben mir erzählt, dass ein junger gutaussehender Mann dich hergefahren hat.", lächelte seine Mutter wissend. 

Reflexartig schoss Jin die Hitze ins Gesicht. 

Dieses Krankenhaus mochte noch so kompetent sein, aber durch die ländliche Lage auch weitaus kleiner, familiärer und voller neugieriger Mitarbeiter, die alles weiter trugen, was sie aufschnappten.

"Du musst ihn mir nicht vorstellen. Ich weiß selbst, wie peinlich sowas ist und außerdem könnte ich ihm nur diesen furchtbaren Klinik-Kaffee anbieten.", lachte sie leise auf. 

Automatisch musste auch er selbst grinsen, bekam allerdings noch immer kein Wort heraus. Zu sehr hatte ihn die Bitte seiner Mutter getroffen.

Diese nickte ihm aufmunternd zu: "Sehun wird dich sicher auch weiterhin über meinen Gesundheitszustand unterrichten, so wie ich ihn kenne."

"Und wenn ich einfach selber entscheide, ob ich herkomme?", fragte Jin vorsichtig, erntete jedoch nur ein Kopfschütteln: "Erfüll mir einfach diesen letzten Wunsch. Und jetzt geh zu deinem hübschen Freund und sag ihm, wie sehr du ihn liebst. Es kann schnell genug vorbei sein."

Jin schluckte. Seine Augen brannten und er konnte die Tränen nicht aufhalten.

Stumm nickend verließ er rückwärts laufend das Krankenzimmer, den Blick die ganze Zeit über auf seine Mutter gerichtet, die sich in die Arme des Arztes lehnte und wirklich glücklich schien.

Erst im Gang drehte Jin sich um, wischte mit dem Unterarm über seine Augen.

"Ist alles in Ordnung?", hörte er die ihm vertraute Stimme, sah zu Namjoon auf, der am Ende des Flurs stand, in der Hand einen Pappbecher des bereits erwähnten Kaffees.

Ohne Umschweife lief Jin schnellen Schrittes auf ihn zu, warf sich ihm förmlich in die Arme.

"Ich will hier weg.", flüsterte er leise, genoss die Wärme der Umarmung.

Focus //Namjin//Where stories live. Discover now