Kapitel 44

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Jin war sich wirklich unsicher, ob er hätte so indiskret sein sollen.

Ja, er selbst hatte Namjoon relativ bereitwillig an seinem Privatleben und besonders der Problematik mit seiner Mutter teilhaben lassen.

Aber deshalb konnte er nicht unbedingt verlangen, dass das auch auf Gegenseitig beruhte.

Vielleicht war dem Fotografen seine Familie peinlich.

Oder schlimmer, sie war gefährlich.

Vielleicht war Namjoon der Sohn eines gefürchteten Mafiabosses und wenn er ihm jetzt davon erzählte, müsste er ihn irgendwann umbringen. Oder umbringen lassen.

Kein Wunder, dass er so reich war.

Wenn die Familie die asiatische Unterwelt regierte, konnte man schließlich auch ein Doppelleben als angeblicher Fotograf führen und teure Autos fahren, ohne dass es auffiel.

"Meinen Eltern gehört eine private Abenschule.", sagte Namjoon schließlich.

Okay, keine Mafia.

Oder?

"Du bist ein Lehrerkind?", hakte Jin daher lieber nochmal nach, lachte dabei unsicher. "Dann ist dein Karriereweg aber ziemlich verwunderlich."

Der Blonde erwiderte das Schmunzeln sogar: "Das war auch ihr erster Gedanke. Aber mitlerweile haben sie sich damit arrangiert. Insbesondere auch, weil sie meine monatliche Unterstützung nutzen, um Kindern aus sozial benachteiligten Familien kostenfreien Nachhilfeunterricht zu ermöglichen."

Mit großen Augen starrte Jin ihn an.

"Das Helfersyndrom für arme Halbwaisen scheint dir in die Wiege gelegt.", meinte er schließlich reflexartig, schlug sich aber schnell die Hand vor den Mund, weil er selbst merkte, wie unhöflich das eigentlich klang.

Und besonders, weil Namjoon ihm nur ein müdes Lächeln schenkte, versuchte er schnellstmöglich irgendwie die Wogen zu glätten, indem er hinzufügte: "Und sie haben nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass du die Schule nicht irgendwann übernimmst?"

"Dafür war meine ältere Schwester vorgesehen.", antwortete Namjoon.

Oh, er war also kein Einzelkind.

"War?", hakte Jin neugierig nach. Herrgott, warum konnte er nicht einfach mal seinen Mund halten?

Da hatte er mal die Chance, ein wenig mehr über den Mann zu erfahren, der dafür verantwortlich war, dass sein Leben aktuell zwar vollkommen aus den Fugen geriet, aber auch so aufregend wie nie zuvor war. Und er musste es mit seiner doofen Neugierde zunichte machen.

Erneut zuckte Namjoon mit den Schultern, als wäre ihm die Frage eigentlich ziemlich egal: "Sie hat sich entschieden, ihr Studium im Ausland abzuschließen."

"Das klingt aufregend.", entegegnete Jin lächelnd.

"Ich hab keinen Kontakt zu ihr. Lediglich meine Eltern telefonieren ab und zu mit ihr.", kam die tonlose Antwort.

Überrascht hielt der Dunkelhaarige den Atem an. Irgendwie hatte er das Gefühl, einen wunden Punkt getroffen zu haben. Was ihm ehrlich leid tat.

Ein wenig betrübt fragte er daher leise: "Bist du traurig darüber?"

"Was, wenn ja? Willst du mich trösten?", lachte Namjoon trocken auf, was allerdings kein Stück ehrlich klang.

Atomatisch stieg Jin die Hitze ins Gesicht.

Auch, weil er sich schuldig fühlte.

Er wollte Namjoon nicht verärgern oder gar traurig machen. Hatte er deshalb gerade das Verlangen danach, sich einfach nur neben ihn zu setzen, um in seiner Nähe zu sein?

"Ich..", stotterte er. Was sollte er darauf sagen? "Vielleicht?", kam stattdessen leise über siene Lippen.

Kühl lachte der Fotograf auf: "Ich komme später darauf zurück.", In einer fließenden Bewegung erhob er sich vom Sofa. "Lass uns jetzt fahren. Wir sind spät dran."

Damit schien das Thema erledigt.

Jin stutzte zwar, akzeptierte jedoch Namjoons Entscheidung.

Vielleicht war es ihm ja wirklich so egal, wie er vorgab.

Aber warum hatte Jin dann trotzdem so ein schlechtes Gewissen? 

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