Mikotos Geheimnis

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Gähnend streckte ich meine Arme in die Luft. "Endlich fertig.", meinte ich. "Schule ist echt anstrengender als ich sie in Erinnerung hatte."
"Stimmt ja! Du bist eine ganze Weile nicht zur Schule gegangen, nicht wahr?", fragte Mai, die neben mir lief. "Warum eigentlich?"
"Das ist eine lange Geschichte.", antwortete ich und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Nach dem Vorfall auf der Schulinsel hatten mir Izumo und Mikoto dazu geraten wieder zur Schule zu gehen. Dort war ich nun schon seit fast drei Monaten und es machte mir wirklich Spaß, auch wenn ich viel lernen musste. Mai hatte ich auch dort kennengelernt und wir hatten uns in der kurzen Zeit wirklich gut angefreundet.
"Das macht nichts.", sagte sie. "Ich habe noch ein bisschen Zeit, und du?"
Ich schüttelte meinen Kopf. "Leider nicht. Ich muss noch arbeiten." Nach dem Auszug aus dem Haus meiner Eltern, war ich zuerst im Gästezimmer der Bar untergekommen. Doch das war für mich keine dauerhafte Lösung gewesen, schließlich wollte ich Izumo nicht zur Last fallen. Deswegen hatte ich mir eine kleine Wohnung gemietet und mir alles beibringen lassen, was ich zum alleine leben brauchte. Um die Wohnung allerdings bezahlen zu können, half ich nun jeden zweiten Tag in der Bar Homra aus.
"Schade." Mai seufzte enttäuscht. "Sag mal, wo arbeitest du eigentlich genau?"
"In einer Bar in Shizume."
Augenblicklich blieb Mai stehen, woraufhin ich ebenfalls stoppte. "In dieser gefährlichen Gegend? Du solltest dir lieber eine andere Arbeit suchen."
"Keine Sorge, ich weiß mich zu wehren." Und wie ich das konnte. Schließlich hatte ich meine Flammen und meine Heilkräfte, da konnte mir nichts groß passieren.
"Aber da gibt es doch noch diese ganz bekannte und brutale Straßengang." Ich konnte es ihr ansehen, dass sie besirgt um mich war. "Wie hieß sie noch gleich? Ach ja: Homra."
Ich musste schief lächeln. "Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. So gefährlich wie alle sagen ist es dort gar nicht." Wenn man mal von den wöchentlichen Überfallen in der Gegend und den anderen kriminellen Gangs absah. Wie man merkte hatte ich Mai noch nichts davon erzählt, dass ich ein Mitglied der gefährlichsten und brutalsten Gang der Stadt war. Ich hatte es erst einmal für mich behalten, da es viel zu viele Vorurteile gegenüber Homra gab uns ich nicht gleich von meiner neuen Klasse als Gangmitglied hatte abgestempelt werden wollen.
Mai hob ihre rechte Augenbraue. "Ja klar. Aber du bist ja anscheinend nicht davon abzubringen. Also pass bitte gut auf dich auf, hast du gehört?"
"Mache ich.", sagte ich nicktend und deutete auf eine Seitenstraße. "Ich muss jetzt dort entlang. Bis morgen und komm gut nach Hause!"
"Du auch."
Ich musste erst einmal seufzen, als Mai außer Reichweite war. Wie sollte ich ihr nur erklären, dass ich Teil der gefährlichsten Gang der Stadt war? Oder besser gesagt: Der ehemals gefährlichsten Gang, denn kaum jemand hatte noch Respekt vor Homra. Das ganze lief schon seit einigen Wochen so: Erst waren es nur ein paar Jugentliche, die zum Spaß ein paar Fenster mit Steinen eingeschlagen hatten. Und nach und nach wurde es durch die Tatsache, dass wir uns in keinster Weise dagegen wehrten, schließlich immer mehr. Inzwischen wurde die Bar mehrmals wöchentlich von anderen Gangs "besucht", die dort dann ein wenig "aufräumten". So bezeichneten diese Leute es zumindest. Trotzdem wehrten wir uns nicht und es herrschte Stillschweigen darüber, warum auch immer. Aus irgendeinem Grund war Mikoto plötzlich völlig gegen Gewalt und keiner wusste warum.
Ich stoppte und schaute auf. Über der Tür, vor der ich stehen geblieben war, befand sich ein großes Schild, auf dem "Homra" stand. Ich nahm einen tiefen Atemzug und wischte mir die paar Tränen weg, die mir bei dem Gedanken an die letzten Wochen gekommen waren. Sogar von außen wirkte die Bar inzwischen ramponiert: Einige Fenster waren eingeschlagen und anschließend notdürfig mit Karton von innen abgeklebt worden. An die Wände waren einige Sprüche gekritzelt, bei denen es sich entweder um Drohungen oder Witze über Homra handelte. Bei diesem Anblick schmerzte mir das Herz so sehr, dass ich Mühe hatte, weitere Tränen zu unterdrücken. Wenn Izumo das sah... ja, wenn er überhaupt mal wieder zurückkam. Seit fast einem halben Jahr schon befand er sich auf einem Urlaub in Deutschland. Zuerst hatte er nur ein paar Tage bleiben wollen, doch aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate. Während seiner Abwesenheit kümmerten sich Mikoto und ich so gut es ging um die Bar, was, wie man sah, nicht klappte.
"Hallo, Amy!"
Ich drehte mich um und erblickte Yata, der mit seinem Skatebord nach einer Vollbremsung vor mir stehen blieb. "Hi, Yata, wie geht's?" Ich setzte ein freundliches Lächeln auf.
"Eines muss echt mal gesagt werden: Ohne dich ist es auf dem Skateplatz sowas langweilig! Ich habe heute den ganzen Tag vor Langeweile nur rumgesessen."
Durch die Schule hatte leider kaum noch Zeit. "Am Wochenende hätte ich Zeit. Da könnten wir eine Runde skaten gehen."
"Das wäre echt toll!" Yata grinste vor Freude wie ein Honigkuchenpferd.
Ich nickte. "Komm, gehen wir rein."
Ich machte einen Schritt in Richtung des Eingangs der Bar, als Yata auf einmal seinen Arm auf meine Schulter legte. "Das wird alles schon wieder.", flüsterte er, ohne mich anzusehen. "Homra wird bald wieder wie früher sein. Nein, wir werden noch viel stärker als je zuvor sein. Und dann kommen alle zurück." Es stimmte leider, dass Yata, ich und ab und zu auch Rikio die einzigen waren, die noch hier her kamen. "Du brauchst also nicht zu weinen."
Es war wirklich unmöglich etwas vor ihm zu verheimlichen. "Okay." Ich begann zu lächeln, auch wenn ich immer noch nicht richtig davon überzeugt war.
Als wir schließlich die Bar betraten, bekam ich erst einmal einen Schock. Heute war es viel schlimmer als sonst: Die meisten Tische und Stühle waren umgeworfen, manche sogar kaputt gemacht. Im Schrank hinter dem Tresen fehlten einige Flaschen, die nun zerbrochen am Boden rumlagen. Zudem waren Graffiti an den Wänden und an dem, was von den Tischen und Stühlen übrig geblieben war. Die einzigen Menschen, die hier waren, waren Anna und Mikoto, die nebeneinander auf einer der Bänke saßen.
Yata biss wütend seine Zähne zusammen. "Diese Arschlöcher! Wann war das?"
"Vor etwa zehn Minuten.", antwortete Anna, die aufgestanden war, um uns zu begrüßen, und sofort stürmte Yata nach draußen.
"Dann müssen die Mistkerle noch in der Nähe sein.", rief er, bovor er aus unserem Blickfeld verschwand.
"Und weg ist er...", murmelte ich und schloss die Tür, die Yata natürlich offen gelassen hatte. "Dabei sollen wir doch gar nicht zurückschlagen."
"Sie sind sowieso schon so weit weg, dass er sie nicht mehr findet.", meinte Anna und setzte sich wieder.
Ich stellte seufzend meine Tasche ab und hob einen umgeworfenen Stuhl auf. "Sag mal, Mikoto, warum dürfen wir eigentlich nicht mehr kämpfen?" Die Frage hätte ich mir auch sparen können, denn ich bekam wie immer keine Anwort. Doch dieses Mal hatte ich nicht vor, es darauf beruhen zu lassen. "Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. Seit dem Vorfall auf der Schulinsel werde ich das Gefühl nicht los, dass du uns etwas verheimlichst. Und keine Ahnung, ob das etwas damit zu tun hat, aber meine Flammen sind auch schwächer geworden. Mikoto, du kannst mir nicht sagen, dass du seit dem Fall des Damokles plötzlich der Meinung bist, dass Gewalt keine Lösung ist."
"Du hast also ebenfalls die Veränderung der Flammen wahrgenommen.", knurrte Mikoto und drehte seinen Kopf zur Seite. "Erzähl es ihr."
Anna wandte sich an mich. "Du hast ihn abgesetzt."
"Hä?"
"Als es dir vor knapp sechs Monaten gelungen ist, den Fall des Damokles aufzuhalten, hast du irgendwie Mikoto als König abgesetzt."
Meine Kinnlade klappte herunter. Das sollte wohl ein schlechter Scherz sein! Aber Mikotos und Annas Blicken zu urteilen war die Sache mehr als ernst gemeint. "Bist du also nicht mehr unser König, Mikoto?"
"Nein.", antwortete er . "Meine Kräfte sind komplett verschwunden."
"Izumo ist übrigens auch nicht im Urlaub.", erklärte Anna weiter. "Er ist in Deutschland, um mehr über die Dresdner Schiefertafeln herauszufinden, da sie dort herkommen. Durch die Informationen hoffen wir, dass wir den neuen roten König ausfindig machen können."
"So ist das also.", flüsterte ich. Deshalb blieb er auch so lange dort. Jetzt ergab alles einen Sinn "Wer weiß noch alles davon?"
"Nur wir drei, Izumo und Tatara.", meinte Anna. "Und zum Schutz des neuen roten Königs soll auch niemand sonst davon erfahren."
"Keine Sorge, mein Mund bleibt geschlossen."
Mikoto lächelte kurz. "Auf dein Wort ist Verlass."

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