Die Schulinsel

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Den kompletten nächsten Tag blieb ich zu Hause in meinem Zimmer. Ich konnte und wollte nicht nach draußen. Um den farblosen König zu finden hatte Homra zu harten Mitteln gegriffen: Sie hatten sich in das komplette Mediennetzwerk gehackt und das Video, das Tatara gedreht hatte, gezeigt. Jetzt lief das Video immer mal wieder auf den Anzeigetafeln der Hochhäuser. Ich wollte es nicht noch einmal sehen. Allein der Gedanke daran machte mich bereits traurig. Nach dem Video wurde eine Handynummer eingeblendet und eine Nachricht: *Wer Informationen zu diesem Jungen hat, soll sich melden. Für jeden nützlichen Hinweis gibt es eine Belohnung von 1.000.000 Yen.*
Bis jetzt hatte es jedoch keine *nützlichen Hinweise* gegeben.
Mein Handy piepste. Ein Anruf von der Bar. "Ja?"
"Hallo, Amy." Das war Anna's Stimme. Sie klang besorgt. "Ich konnte den farblosen König orten."
Ich sprang auf. "Wo?"
"Auf der Schulinsel.", antwortete sie. "Ich habe eine Bitte an dich."
"Welche denn?"
"Yata und Rikio sind gleich los gestürmt. Ich habe Angst, dass sie..."
"Schon klar.", meinte ich lächelnd. "Ich werde gleich hingehen und aufpassen, dass sie nichts unüberlegtes anstellen."
"Danke."
"Kein Problem, bis später."
Nach dem Gespräch machte ich mich gleich auf den Weg. Von zu Hause war die Schulinsel nicht weit. Ich nahm mein Skateboard und fuhr los. Die Schulinsel war eine Insel im Wasser, auf der es eine Schule mit angeschlossenen Wohngebäude für die Schüler gab. Dort gab es auch öfters mal größere Veranstaltungen, deswegen kannte sie jeder.
Und dort war der farblose König also. Eigentlich logisch. Schließlich war dieser Junge nicht älter als 18. Zu der Insel führte nur eine Bahn. Dort würde ich Yata und Rikio abpassen.
Da! Ich sah sie in die Bahn einsteigen. Aber ich war bereits zu spät: Die Türen schlossen sich. *Verdammt!* Ich musste auf die nächste warten. Bis dahin konnten sie die ganze Insel auf den Kopf stellen.
Gerade kam eine Bahn von der Insel an. Automatisch blickte ich dorthin. Wer dort herauskam, war nur zu gut bekannt: Der Farblose König. Bei ihm waren der schwarze Hund und ein Mädchen, das ein Halsband mit einer Glocke am Hals trug und sich an den farblosen König klammerte. Da war er. Weil der schwarze Hund ihn begleitete, war die Sache klar: Dieser Junge war der farblose König. Auch wenn mich sein freundliches Verhalten gestern irritiert hatte, war ich mir nun sicher, dass er es war.
Ich spürte wie Hitze in mir aufstieg. Im gleichen Augenblick entdeckten sie mich. Ich ging auf sie zu. Der schwarze Hund stellte sich vor seinen König und legte seine Hand um den Griff seines Schwertes, bereit, auf mich loszugehen. Doch der farblose König legte seine Hand auf die Schulter des Typen und schüttelte den Kopf.
"Warum hast du versucht, Tatara umzubringen?" Es sprudelte einfach aus mir heraus. "Antworte mir!", drängte ich ihn.
Der farblose König hob schützend die Hände. "Ich bin das nicht gewesen."
"Ja, klar."
"Es ist wahr. Ich kann es beweisen."
"Und wie?"
"Ich habe ein Alibi.", erklärte er. "Ich wurde kurz danach auf der Insel gesehen. In dieser Zeit hätte ich es niemals vom Tatort bis zur Schule geschafft."
Das leuchtete ein, doch... "Wieso siehst du dann genauso aus wie dieser Typ?"
"Das haben wir noch nicht herausgefunden, aber ich bitte dich, mir zu glauben. Ich bin es nicht gewesen."
Bereits bei meiner ersten Begegnung mit ihm, war mir aufgefallen, dass er vom Verhalten her anders als das des Typen, dem Anna und ich damals begegnet waren, war. Außerdem erkannte ich normalerweise, wenn mich jemand anlog. "Na gut.", meinte ich. Es schien sich wirklich um zwei verschiedene Personen zu handeln. "Unter einer Bedingung..."
"Du bist nicht in der Position, Bedingungen zu stellen.", knurrte Kuroh. "Wir sind schließlich nicht darauf angewiesen, dass du uns glaubst."
Dann musste ich wohl zu härteren Mitteln greifen. Seufzend holte ich das Handy aus meiner Hosentasche. "Ich kann auch gerne die anderen Mitglieder von Homra herrufen. Die sind ganz in der Nähe. Und dieses Mal ist niemand dabei, der uns davon abhält, euch zu folgen.", drohte ich.
"In Ordnung.", gab der Junge nach. "Was willst du?"
"Ich möchte Informationen.", sagte ich. "Sobald ihr etwas über deinen Doppelgänger herausfindet, ruft ihr mich sofort an."
"Geht klar." Ich gab ihm schnell meine Nummer. "Mein Name ist übrigens Isana Yashiro, aber nenn mich einfach Shiro."
"Amy Suzuki.", stellte ich mich kurz vor.
"Und ich bin Neko.", meinte die mit dem Halsband.
Als der schwarze Hund den Mund aufmachte, um seinen Namen zu sagen, unterbrach ich ihn. "Dich kenne ich schon." Er warf mir einen bösen Blick zu, den ich jedoch ignorierte. "Aber du bist schon der Farblose König, oder?"
"Denke schon. Wahrscheinlich wollte der wahre Täter es mir nur in die Schuhe schieben."
"Na dann. Ich warte auf deinen Anruf." Mit diesen Worten stieg ich in die nächste Bahn ein. Ich winkte noch einmal kurz, bevor sich die Türen schlossen.
Die Bahn fuhr ein paar Meter über dem Wasser. Ich setzte mich auf einen der Plätze und schaute aus dem Fenster. Von hier aus hatte man eine tolle Aussicht. Leider dauerte die Fahrt nicht lange: Nach fünf Minuten stieg ich auf der Insel aus. Yata und Rikio waren wirklich nicht zu übersehen. Sie stritten sich lauthals mitten auf einem großen Platz.
"Hallo.", begrüßte ich sie mit einem Lächeln.
"Was machst *du* denn hier?"
Ich stützte meine Hände in meine Hüfte. "Anna hat mich gebeten auf euch aufzupassen."
"Wieso das denn?", fragte Yata entsetzt.
"Damit ihr nichts Blödes anstellt."
"Wir doch nicht.", meinte Rikio.
Ich musste kichern.
"Was gibt's da zu lachen?" Yata blickte ein wenig beleidigt drein.
"Nichts.", meinte ich lächelnd. "Ach übrigens: Während ihr hier nach dem farblosen König gesucht habt, ist der gerade mit einer Bahn von der Insel gefahren. Wahrscheinlich war er hier nur zu Besuch." Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählte, aber ich war mir sicher, dass sie mir sowieso nicht glauben würden, dass Shiro unschuldig war.
"Dann war diese ganze Befragung hier umsonst?"
Ich nickte. Naja, für mich nicht. Ich hatte herausgefunden, dass Shiro es nicht gewesen war.
"Na, wen haben wir denn da?" Diese Stimme... Ich wirbelte herum. Och nö, nicht der schon wieder. "Lasst mich raten: Ihr habt es über Anna hergefunden, nicht war? Aber Izumo würde euch niemals auf so eine Mission schicken, deshalb folgere ich mal schlaustens, dass ihr auf eigene Faust hier seid. Du wirst dich echt nie ändern, Misaki." Fushimi hatte Yata beim Vornamen genannt.
"Saruhiko...", knurrte Yata wütend. Er sprach ihn nur mit dem Nachnamen an. Wieso wohl? "Schnauze!" Er war sichtlich gereizt. "Wag es nicht, mich so zu nennen, du elender Verräter."
"Ich bin einfach nicht wie ihr, Misaki.", lachte Fushimi. "Da war es unvermeidlich, dass ich irgendwann abhaue."
"In diesem Punkt gebe ich dir Recht. Du bist kein bisschen wie wir."
Fushimi beachtete ihn nicht. "Und die kleine Amy ist auch dabei. Na, willst du wieder deine Flammen auf unschuldige Zivilisten hetzen?"
"Das..." *...ist doch aus Versehen gewesen.*, wollte ich sagen.
Doch Yata unterbrach mich. "Halt die Fresse!", rief er und stellte sich vor mich. Seine Hand entflammte.
"Yata...", flüsterte Rikio. "Wir dürfen hier keinen Radau machen, das weißt du."
"Naja, Mikoto ist auch wie du ein Schwächling, Mi-sa-ki!", höhnte Fushimi. "Sich freiwillig einkerkern zu lassen..." Wie konnte er es wagen! Ich wollte auf ihn losgehen, ihm eine Knallen, aber jemand kam mir zuvor.
"Das reicht!" Yata stellte sein Skateboard auf den Boden. "Stirb, du elender Arsch!"
Fushimi zog sein Schwert, das von einer blauen Aura umgeben war. "Fushimi, bereit für den Notfallkampf."
Dann fuhr Yata los. Sein ganzer Körper stand inzwischen in Flamme. Dem ersten Angriff wich Fushigi leichtfüßig aus. Yata drehte um. Ein Flammenmeer flog über den Platz. Aber Fushimi schützte sich mit seinem Schwert. Es folgte ein hin und her aus Angriffen mit roten und blauen Funken.
"Du bist nicht mehr so gut wie früher, Saru.", meinte Yata.
"Im Gegenteil." Fushimi lächelte hämisch. "Ich bin stärker geworden. Viel stärker, als jemals zuvor."
"Erzähl keinen Scheiß." Yata fuhr weiter.
Plötzlich zog Fushimi einen Dolch aus seinem Ärmel. Er warf ihn nach Yata. Der wurde an der Schulter getroffen und fiel augenblicklich von seinem Skateboard. Er landete hart auf dem Boden. Sein kompletter Körper glühte, umringt von den roten Flammen. Er schien große Schmerzen zu haben.
"Yata!", rief ich besorgt.
"Seit ich Suoh Mikoto's Seite verlassen habe, bin ich viel stärker geworden.", sagte Fushimi. Er zeigte zwei weitere Dolche und hielt sie neben sein Schwert. Sie gingen in Flammen auf, während das Schwert eine blaue Aura besaß. "Das ist der Beweis."
"Zwei Farben...", murmelte Rikio vor sich hin.
Ich ging einen Schritt nach vorne. Am liebsten hätte ich ihm eine rein gehauen. Dafür, dass er Mikoto einen Schwächling genannt und Yata verletzt hatte. Doch Rikio packte mich an der Kapuze und zog mich wieder nach hinten. Gerade noch rechtzeitig, wie sich nur Sekunden später herausstellte: Die beiden Dolche landeten an der Stelle, an der ich gerade noch gestanden hatte, und sprühten jetzt Funken. Das war echt knapp gewesen. Ich warf Rikio einen dankenden Blick zu.
"Mischt euch nicht ein!", befahl uns Fushimi. "Solche Fliegen wie ihr stören nur."
"Haltet euch da bitte raus.", bat uns Yata, während er den Dolch aus der Schulter zog und aufstand. "Das ist eine Sache zwischen ihm und mir."
"Yata...", flüsterte ich seinen Namen. Ich hatte verstanden. Diesen Typen wollte er alleine erledigen. Um ihn herum entstand eine Säule aus Flammen. Das gleiche passierte bei Fushimi, nur mit der blauen Aura.
Plötzlich durchschnitt ein blauer Schnitt den Kampf. "Hört beide sofort auf." Das war die zweite bei Scepter 4: Seri Awashima. Hinter ihr standen zwei weitere von den Blauen. "Was fällt dir ein, am helllichten Tag? Was glaubst du eigentlich, wo wir hier sind?" Sie verschränkte die Arme. "Ihr beide, ihr werdet euer Duell auf später verschieben, ist das klar?"
"Von einer Blaujacke lass ich mir doch nichts befehlen."
Sie verengte ihre Augen und starrte uns an. "Euer König... Er meckert die ganze Zeit am Essen herum, futtert es aber dann restlos und schläft danach tief und fest wie ein Baby. Er ist wirklich ein unmöglicher Kerl."
Ich trat einen Schritt vor. "Wie geht es ihm?", fragte ich unsicher.
"Ganz gut."
"Na dann." Yata drehte sich um. "Gehen wir."

Okay, das war mal ein etwas längeres Kapitel, aber ich hoffe euch stört das nicht.

Eure Lina

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