Eskalation

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Ich atmete einmal tief ein und aus. Da musste ich jetzt wohl oder über durch. Seufzend steckte ich meinen Hausschlüssel in das Schlüsselloch und drehte ihn um. Mit einem Knacks ging die Tür auf. Schon einen Moment danach hörte ich laute Schritte. Die Tür wurde aufgerissen und mein Vater stand dahinter. Er packte mich am Kragen und zog mich hinein. Ich hörte, wie er die Tür wieder zu knallte. Ohne mich zu wehren ließ ich mich mitschleifen. Er setzte mich an der Garderobe ab, sodass ich meine Jacke und meine Schuhe ausziehen konnte. Dann ging es weiter. In der Küche angekommen ließ er mich fallen und schubste mich auf einen Stuhl. Ich blieb ruhig sitzen, weil ich mich gegen ihn sowieso nicht wehren konnte.
"WO WARST DU DEN GANZEN TAG?!", schrie er mich an.
"In der Stadt.", antwortete ich in einem ruhigen Ton. Mit Rufen machte man ihn nur noch wütender.
"UND WARUM HAST DU UNS VERDAMMT NOCHMAL NICHT BESCHEID GESAGT?", fragte er. "DU BIST HEUTE MORGEN EINFACH ABGEHAUEN!"
"Ich wollte euch nicht wecken."
"SEHR GLAUBWÜRDIGE AUSREDE!!", meinte er in einem aggressiven Ton. "DANN WARTET EIN NORMALES KIND. ABER DU BIST NICHT NORMAL!!"
"Ja.", stimmte ich ihm zu. Ich musste es ertragen. Auch wenn ich schon wieder nahe am Weinen war. "Du hast Recht." Zu mindest seiner Meinung nach. Natürlich war es nicht in Ordnung, dass er mich so behandelte, aber ihm die Wahrheit sagen? Ich war ja schließlich nicht lebensmüde.
Mein Vater holte mich seiner Hand aus und gab mir eine Ohrfeige. Ich zuckte nicht einmal. Das war nun der größte Fehler, den man machen konnte. Wenn man sich bewegte, wurde es nämlich nur noch schlimmer. Dann schlug er zu. Immer und immer wieder. Ein einzige Mal hatte ich das bis jetzt erlebt: Bei meiner Mutter. Er hatte sie so lange geschlagen, bis sie das Bewusstsein verloren hatte. Sie kam ins Krankenhaus und log alle an. Sie wäre nur die Treppe runter gefallen. Aber an jenem Tag hatte ich so große Angst um sie gehabt. Ich hatte gedacht, sie würde sterben. Und selbst danach war sie zu meinem Vater zurückgekehrt. Ich verstand sie nicht. Sobald ich 18 Jahre alt war, würde ich von zu Hause abhauen. Für immer. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wohin ich dann sollte.
Meine Mutter still stand mit gesenktem Blick im Türrahmen zur Küche. Sie würde mir nicht helfen. Selbst wenn mich ihr Mann tot prügeln würde. Dafür war sie viel zu feige.
Dann noch eine Ohrfeige. Dieses Mal auf der anderen Seite. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel vom Stuhl. Ein heftiger Schmerz durchfuhr mich. Sofort fasste ich an meinen rechten Fuß. Ich war umgeknickt, nur viel härter als sonst. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut los zu schreien.
"STEH AUF!!", brüllte mich mein Vater an. "STEH AUF, HABE ICH GESAGT."
Ich gehorchte. Unter Schmerzen und wackelig kam ich wieder auf die Beine. Das ganze war nicht auszuhalten. Am liebsten wäre ich sofort zurück auf den Boden gesunken. Ich konnte nicht mehr. Das einzigste, was ich jetzt wollte, war, von hier zu verschwinden.
Diese wenigen Sekunden, die nun folgten, fühlten sich wie Stunden an. Ich duckte mich, als mein Vater erneut zuschlagen wollte. Dann drängte ich mich schnell an ihm vorbei, aus der Küche raus. Meine Mutter machte nicht einmal Anstalten, mich aufzuhalten. Vielleicht hatte sie es auch noch nicht richtig realisiert. "BLEIB HIER!!!", schrie er mir hinterher. Aber ich dachte nicht einmal daran. Stattdessen riss ich die Haustür auf und rannte nach draußen.
Ich ignorierte die Kälte hier draußen.
Ich ignorierte die wütenden Schreie hinter mir.
Ich ignorierte, dass ich Barfuß war.
Ich ignorierte den Schmerz in meinem Fuß.
Ich ignorierte alles um mich herum.
Ich wollte einfach nur weg.

Ja, das war das zweite Kapitel. Amy hat es echt schwer. Glücklicherweise passiert nach diesem Kapitel etwas schönes. Ich freue mich schon darauf, daß zu schreiben.

Bis dann, eure Lina

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