Nacht

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Ich schnaufte so heftig, dass ich mein Tempo verlangsamte, um nicht im nächsten Moment umzukippen. Keine Ahnung, wie lange, wie weit oder wohin ich gerannt war. Ich befand mich in einem Park. Müde setzte ich mich auf eine der vielen Bänke. Was hatte ich mir dabei gedacht, von zu Hause abzuhauen? Wenn ich zurückkam würde ich nur noch mehr Ärger bekommen. Schöne Scheiße. Jetzt saß ich ganz schön in der Klemme.
Ich beschloss, erst einmal hier zu bleiben. Weil es so kalt war, zog ich meine Beine näher an mich heran und umfasste sie mit meinen Armen. Ich begann zu zittern. Aber ich konnte nun nicht nach Hause. Selbst wenn ich wollte. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war.
Tränen schossen mir in die Augen. Niedergeschlagen weinte ich die Geschehnisse der letzten Stunde aus. Ich konnte einfach nicht mehr. Die Zeit bis zu meinem 18ten Geburtstag würde ich nie überleben. Es war vorbei.
"Nanu, was machst du denn hier?", fragte jemand, dessen Stimme mir nicht unbekannt war.
"Mikoto!" Überrascht blinzelte ich erst ein paar Mal. Mist, wieso musste ich hier draußen ausgerechnet ihm begegnen? Ich hatte wohl heute überhaupt kein Glück. Nur Pech. "I-i-ich wollte gerade gehen.", brachte ich stotternd heraus. Dann stand ich auf und lief den ersten Schritt. Und schon kam mir eine wichtige Erkenntnis zurück in mein Gedächtnis: Mein Fuß tat immer noch weh, auch wenn ich den Schmerz weitgehend zu ignorieren versuchte. Mein rechtes Bein knickte weg und ich fiel.
Doch zwei Arme fingen mich auf. Ich sah Mikoto dankend an. "Was ist passiert?", fragte er mich.
"Ich bin nur blöd gefallen.", antwortete ich. In gewisser Weise war das sogar die Wahrheit.
"Bist du bei deinem Auge auch nur hingefallen?"
Ich senkte meinen Blick. *Ja.*, wollte ich sagen, aber aus irgendeinem konnte, nein wollte, ich ihn nicht anlügen. Keine Ahnung, warum.
Er nahm mich Huckepack. "Wie dem auch sei.", seufzte er. "Da du so offensichtlich nicht laufen kannst, bringe ich dich eben nach Hause."
Ich bekam Panik. "Bloß nicht dahin.", meinte ich, während ich anfing zu zappeln. "Alles, nur das nicht."
"Wohin denn dann?" Er fragte nicht einmal weiter danach, wieso ich unbedingt nicht nach Hause wollte, weshalb ich mich wieder beruhigte. Meinem Gefühl nach zu urteilen würde er mich nicht irgendwo hinbringen, wo ich nicht sein wollte.
"Ich weiß es nicht.", flüsterte ich ratlos. Eigentlich hatte ich vor gehabt, in dieser Kälte zu übernachten.
Verwirrt schaute er mich an. "Zusammengefasst: Du möchtest nicht nach Hause, hast aber auch keine Ahnung, wohin du sonst gehen sollst." Ich nickte bestätigend. "Ich verstehe." Dann lief er los.
Moment. Brachte er mich jetzt etwa zu sich nach Hause? Schlagartig wurde mein ganzes Gesicht rot.
"Ist was?" Er drehte seinen Kopf zu mir nach hinten.
Ich wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen. "Was hast du jetzt mit mir vor?"
"Na, du kannst schließlich nicht die Nacht auf der Straße verbringen.", erklärte er. "Die Temperatur soll auf bis zu null Grad Celsius sinken."
Die Zeit danach schwieg ich. Auf einmal fror ich auch nicht mehr. Irgendwie hätte ich so eine Fürsorge niemals vom ihm erwartet. Schließlich war er der Anführer der brutalsten Gang der Gegend. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?", unterbrach Mikoto die Stille.
"Amy Suzuki.", antwortete ich kurz.
"Meinen kennst du wahrscheinlich schon.", vermutete er. "Aber nochmal: Mein Name ist Mikoto Suoh."
"Schön dich kennenzulernen.", gab ich kleinlaut von mir. Das hatten wir immer in der Grundschule gesagt. Ob es jetzt noch aktuell war, wusste ich nicht.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Du brauchst nicht so förmlich zu sein."
"Okay."
Letztendlich blieb er schließlich vor einer Bar stehen. Mikoto kramte in seiner Jackentasche und holte einen Schlüssel heraus. Damit schloss er die Tür auf. Er machte das Licht an. In diesem Raum standen ein paar Tische und Sitzbänke herum, sowie das ein oder andere Sofa. Mikoto setzte mich auf einem von ihnen ab.
"Ich bereite oben schnell alles vor." Mit diesen Worten stieg er die Treppen hoch in den ersten Stock.
Ich lehnte mich zurück und schaute mich noch ein bisschen um. Was war das hier? War das etwa Mikoto's Bar? Ich schloss die Augen. Wenigstens musste ich, so wie es aussah, nicht draußen in der Kälte übernachten. Aber ob das so ein Vorteil war? Naja, nicht dass ich sterben wollte, doch wenn ich heute Nacht erfroren wäre, würde ich morgen zu Hause keinen Ärger bekommen. Zumindest hatte diese eine Nacht meine Ruhe vor meinen Eltern.
Als Mikoto schließlich zurück nach unten kam, war ich bereits eingeschlafen.

Tja, wahrscheinlich ist Amy jetzt ein bisschen verwirrt. Mikoto ist als Anführer der brutalsten Gang der Stadt bekannt und dann macht er so etwas. Aber für sie ist es schön, weil nicht draußen übernachten muss.
Ich hoffe, euch hat es gefallen.

Eure Lina

K-Project - Die wahre GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt