Familie

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Mein Kopf dröhnte als ich aufwachte. Es fühlte sich genauso an wie damals, nachdem ich meine Strain Kräfte zum ersten Mal bei einer anderen Person als mir eingesetzt hatte. Ein Lächeln huschte mir aufs Gesicht, als ich mich daran erinnerte, wegen was ich jetzt so brutale Kopfschmerzen hatte: Der Fall des Damokles, den ich alleine aufgehalten, abgebrochen oder was auch immer hatte. Und auch wenn die Schulinsel jetzt wohl in Schutt und Asche lag, dürften alle mit dem Leben davongekommen sein. Naja, alle außer Shiro. Das Lächeln verschwand wieder. Ihn hatte ich als einzigen nicht retten können. *Zumindest war 'nur' er gestorben.*, versuchte ich mich selber aufzumuntern, was mir leider nicht wirklich gelang. Shiro war tot und daran konnte niemand mehr etwas ändern.
Ich stand auf und bemerkte erst jetzt, dass ich mich im Gästezimmer der Bar befand. Wahrscheinlich hatten mich Homras Mitglieder hier her gebracht, nachdem ich eingeschlafen war. Meine Klamotten waren noch dieselben wie ich auf der Schulinsel getragen hatte. Sie hatten an vielen Stellen Risse, weswegen ich sie wahrscheinlich höchstens noch einmal an Halloween anziehen konnte. Auch meine Arme und Beine hatten einiges abbekommen: Überall hatte ich Kratzer davongetragen, die erst teilweise angefangen hatten zu heilen.
Moment! Ich blinzelte ein paar Mal, weil ich es nicht glauben konnte, doch es war wirklich wahr: Die Kratzer waren trotz meiner Selbstheilungskräfte noch nicht verheilt. Ich versuchte meine Wunden bewusst heilen zu lassen, aber auch das funktionierte nicht. Ein Seufzer verlies meinen Mund. Beim Stoppen des Damokles musste ich wohl meine kompletten Energiereserven verbraucht haben und die regenerierten sich anscheinend nur sehr langsam. Ich warf einen weiteren auf die Wunden. Die Tatsache, dass sie wenigstens schon ein bisschen verheilt waren, bedeutete bestimmt wahrscheinlich, dass ich ziemlich lange geschlafen haben musste. "Die anderen machen sich bestimmt schon Sorgen.", murmelte ich und wollte mich auf den Weg nach unten machen.
Schnelle und schwere Schritte waren zu hören. Ich setzte ein Lächeln auf, mit dem ich denjenigen begrüßen wollte, der hereinkam. Doch dieses Lächeln verschwand augenblicklich, als die Tür aufschwang, gegen die Wand knallte und ich diesen Jemand erblickte.
"Dass du es wagst, so lange nicht nach Hause zu kommen, du Miststück!" Wie ein Ungeheuer baute sich mein Vater vor mir auf und sein wütender Blick fühlte sich so an, als ob er mich durchbohren würde.
Augenblicklich wich ich einen Schritt zurück und schloss meine Augen, während mein Kopf zu Boden geneigt war. Ich zitterte am ganzen Körper. So viel Angst hatte ich schon lange nicht mehr verspürt. Ich wollte hier so schnell wie möglich weg, aber ein Fluchtversuch war zwecklos, weil mein Vater mit seinem großen Körper den Eingang des Zimmers versperrte. *Hilfe!*, schrie ich nur gedanklich, denn als ich meinen Mund öffnete, kam vor Angst kein Wort mehr heraus. *Hilfe! Bitte, irgendwer!*
Moment! Ich war gar nicht hilflos. Außerdem hatte ich mich ihm schon einmal entgegengestellt, ohne dabei verletzt zu werden. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich nahm einen tiefen Atemzug: "Aber...", begann ich mit fester Stimme zu sprechen. "... ich bin doch schon längst zu Hause." Ich machte eine kurze Pause, um erneut durchzuatmen. "Weil Homra mein zu Hause ist." Aus irgendeinem Grund kamen mir die Tränen, aber ich lächelte. "Danke, dass du mich aufgezogen hast. Ohne dich wäre ich wohl nie hier her gekommen. Aber du und Mutter, ihr seid nicht länger meine Familie." Zum ersten Mal seit langem schaute ich ihm nun in die Augen. "Homra ist jetzt meine Familie."
Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille und mein Vater starrte mich ungläubig an, bevor er wieder zu schreien begann: "Du undankbare Göre!" Seine Stimme bebte vor Wut und ich wusste, was mich nun erwartete. Mein Vater hob seinen rechten Arm. "Dafür wirst du büßen!"
Er holte aus und ich zuckte schon zusammen, aber der Schmerz kam nicht, denn jemand hielt meinen Vater fest. Immer noch zitternd beobachtete ich die Szene, die sich genau vor abspielte. "Y-yata...", stotterte ich und freute mich dabei unglaublich, dass er mir zur Hilfe gekommen war. Er hatte sich zwischen mich und meinen Vater gestellt und hielt dessen Arm mit seinem fest.
"Das hast du schön gesagt." Allein Yatas Stimme zu hören beruhigte mich so, dass ich bereits aufhörte zu zittern. Noch mehr Tränen schossen mir in die Augen. Nach diesen Worten wandte er sich an meinen Vater. "Was Sie angeht..." Nur eine Sekunde später holte Yata mit seiner freien Hand aus und schlug meinem Vater mit der Faust voll ins Gesicht, sodass dieser ein paar Schritte zurückstoperte. "Das wollte ich schon lange mal machen."
"WAS FÄLLT DIR EIN, DU BASTARD?!" Mein Vater ging auf Yata los, doch der wich gekonnt aus, dass ihn keiner der Schläge traf.
Schließlich blieb Yata wieder vor mir stehen und sofort erschienen um uns herum Flammen, die sich rasend schnell im kompletten Zimmer verteilten. "Ich sage Ihnen jetzt mal etwas: Amy gehört jetzt zu uns und das bedeutet für Sie, dass Sie ihr ab heute nicht mehr zu Nahe kommen, geschweige denn ihr nur ein Haar krümmen. Wenn Sie es doch tun, werde ich Sie eigenhändig mit meinem Feuer verbrennen." Immer mehr Flammen erschienen und sie wurden auch immer größer und bedrohlicher.
Zum ersten Mal in meinem Leben entdeckte ich ein ängstliches Flackern in den Augen meines Vaters. Er hatte doch tatsächlich Angst! "Du hast ihn gehört.", sprach ich in einem ruhigen, aber sicheren Tonfall. "Verschwinde endlich!"
"Na warte!", sagte mein Vater. "Das werdet ihr alle noch bereuen!" Nach diesen Worten verließ er mit wütenden Schritten das Zimmer.
Ich begann breit zu grinsen und Yata tat es mir gleich. "Danke, dass du mir geholfen hast.", sagte ich.
"Da gibt's nichts zu danken. Du gehörst schließlich zu uns. Und wenn sich jemand mit dir anlegt, legt er sich mit dem ganzen Clan an." Dann nahm mich Yata an der Hand und zog mich in Richtung Tür. "Komm endlich! Die anderen warten schon auf dich."
Ich stolperte hinter Yata die Treppe zur Bar hinunter, wo sich die Clanmutglieder versammelt hatten. "Wie ist es gelaufen?", fragte Chitose.
"Das habt ihr doch selbst gesehen.", antwortete Yata. "Sie hat ihn in die Flucht geschlagen."
"Aber nur mit deiner Hilfe.", fügte ich hinzu. "Und ohne euch alle hätte ich das niemals geschafft."
"Letztendlich hast du selbst ihm deine Meinung gesagt.", meinte Yata.
"Übrigens, Amy, mir ist ein toller Spitzname für dich eingefallen.", sagte Izumo, der wie üblich hinter der Theke stand und sich gerade mit seinen Armen auf den Thresen lehnte. "*Fukanona*."
"Fukanona?", wiederholte ich skeptisch und neigte meinen Kopf. "Wie kommst du denn darauf?"
Izumo hob seinen Zeigefinger. "Ganz einfach: Fukanona bedeutet *die Unmögliche* oder *die, die das Unmögliche schafft*. Und genau das hast du doch. Noch vor drei Tagen schien es undenkbar, dass der Fall des Damokles ohne den Tod des dazugehörigen Königs nicht möglich wäre. Aber du hast uns das Gegenteil bewiesen."
"Der Name kling gut.", meinte Yata und klopfte mir auf die Schulter.
"Amy?" Anna zupfte mir am T-Shirt. "Kannst du etwas für mich auf dem Klavier spielen?"
"Klar. Welches Lied möchtest du hören?"
"*Dieses* Lied."
Ich nickte zustimmend und sofort holten Rikio und Yata das Instrument aus dem Nebenraum. Anschließend setzte ich mich auf den Stuhl und legte meine Finger auf die Tasten. Ein Gefühl der Leichtigkeit durchströmte mich und ich begann zu spielen. Etwa in der Mitte des Liedes, begann ich etwas passendes dazu zu improvisieren, während ich einen aufforderten Blick zu Yata warf, der daraufhin nur den Koof schüttelte. Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass er es tun sollte, worauf er mit den Augen rollte, jedoch schließlich ebenfalls nickte.
Und tatsächlich tat er es dann auch, wobei er im ganzen Gesicht rot anlief: Als ich ihm mit einer leichten Kopfbewegung das Zeichen gab, begann er zu singen und es klang noch nicht einmal schlecht. Nach ein paar Zeilen Text, stimmte auch Anna mit ein. Und mit der Zeit sangen immer mehr Mitglieder mit, bis wir schließlich alle gemeinsam Tataras Lied sangen. Es war ein wunderbares Gefühl Teil dieses Clans zu sein. Damals zu versuchen, Mikotos Geldbeutel zu stehlen war im Nachhinein die beste Idee meines Lebens gewesen, denn dadurch hatte ich mein neues Zuhause und meine wahre Familie gefunden.

Ich würde ja sagen, dass meine Geschichte hier endete, aber das tat sie ganz und gar nicht. Die Ereignisse mit dem böse gewordenen farblosen König sollten nur der Anfang gewesen sein, denn uns stand noch etwas viel schlimmeres bevor: Eine Entführung, zwei Geschwister mit einem großen Geheimnis und ein kleines Dorf, das alles auf den Kopf stellen sollte. Und im Nachhinein war ich froh, dass es geschehen war.

So, letztendlich hat auch Amy ihr Happy End bekommen.

Aber Moment! Das ist ja noch gar nicht das Ende. Es wird noch ein zweiter Teil kommen, dessen Kapitel allerdings auch in diesem Buch erscheinen werden. Im Laufe der folgenden Kapitel wird noch ein großes Geheimnis aus Amys Vergangenheit gelöst werden und außerdem kommen noch ein paar Personen dazu.

An dieser Stelle: Vielen Dank für über 4k Reads. Ich würde mich freuen, wenn ihr noch weiterlest.

Eure Lina

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