***15 Minuten zuvor**

Auch wenn ich Mikoto den Rücken zuwandte, wusste ich trotzdem genau, was gerade geschah. Ein kurzer Blick in den Himmel bestätigte das ganze noch einmal: Mikoto hatte Shiro und den farblosen König umgebracht und ihre Schwerter des Damokles waren verschwunden. Nur das blaue und das rote Schwert des Damokles war noch zu sehen, sowie ein breiter roter Stahl, der ebenfalls nach etwa einer halben Minute verschwand.
"Shiro...", flüsterte ich, während mir die Tränen kamen. Ich hatte ihn nicht wirklich lange gekannt oder viel über ihn gewusst, aber irgendwie war er mir doch ein Stück weit ans Herz gewachsen.
"Hast du etwas gesehen, Amy?", fragte mich Mikoto, woraufhin ich wortlos meinen Kopf schüttelte. "Sehr gut." Für einen kurzen Moment war es still auf der Lichtung, bevor Mikoto erneut das Wort ergriff: "Du solltest nun gehen, bevor..."
"Nein!", rief ich mit entschlossener Stimme und drehte mich zu ihm, um ihm in die Augen schauen zu können. Erst jetzt sah ich den Krater an der Stelle, an der Shiro gerade noch gestanden hatte. Und an Mikotos Händen waren schwarze Flecken zu sehen, als ob er sich dort verbrannt hätte. "Nichts ist *sehr gut*. Shiro ist tot und jetzt sollst du auch noch sterben. Das darf einfach nicht sein! Ich werde diese Insel nicht ohne dich verlassen. Du sagst immer, dass du deinen Clan beschützen willst. Dann lass deinen Clan auch mal dich beschützen!"
"Amy...", flüsterte Mikoto sichtlich Überrascht über meine Reaktion. "Gerade kann keiner von euch mehr etwas für mich tun. Geh lieber. Ich will nicht, dass du es siehst." Anschließend wandte er sich lächelnd an Munakata: "Tut mir echt leid, dass ich dich die Niete hab ziehen lassen."
"Wie kannst du das nur mit einem so heiternen und gelassenen Gesicht sagen?", fragte Munakata. "Wenn es dir wirklich leid töte, hättest du, bevor es dazu kam, nicht irgendwas dagegen tun können?"
"Sag jetzt nichts mehr, Munakata." Mikoto warf einen letzten Blick zu mir und breitete seine Hände aus. Der blaue König nickte nur kurz und rannte dann mit gezogenem Schwert auf Mikoto zu, bereit ihn zu töten, nur um den Fall des Damokles zu verhindern.
Das konnte nicht das Ende sein. Nein, ich musste doch noch irgendetwas tun können!Verzweifelt dachte ich nach, als mir Shiros Worte wieder in den Sinn kamen: "Ich vertraue darauf, dass du das schaffst, also gib dein Bestes." Wieso hatte er das gesagt, wenn er kurz danach provozieren wollte, dass Mikoto ihn tötet? Er sollte doch von allem am besten gewusst haben, dass ich meinem König nach Shiros Tod nicht mehr helfen konnte. Außerdem sollten ihm die Konsequenzen eines Fall des Damokles klar gewesen sein. Oder... "Ich vertraue darauf, dass du das schaffst." Seine Worte hallten immer wieder in meinen Gedanken. Was war, wenn er damit gemeint hatte, ich solle den Fall des Damokles aufhalten? Hatte Shiro etwa tatsächlich geglaubt, ich könnte ein Damokles während des Falls noch reperieren?
"Aufhören!", rief ich und sprang zwischen die beiden Könige, woraufhin Munakata stoppte. "Na gut." Inzwischen war meine Stimme nur noch ein Flüstern. Shiro hatte darauf vertraut, dass ich den Fall des Damokles aufhielt. Er glaubte an mich. Als derjenige, der am längsten das Amt eines Königs ausgeübt hatte, und lange als der *unsterbliche König* galt, musste er wohl eine Menge Erfahrung haben. Ich begann zu lächeln, als es mir klar wurde: Nicht nur Shiro hatte mir vor seinem Tod vertrauen müssen, sondern... "Ich vertraue deinem Urteil, silberner König."
"Was machst du da?" Noch während Mikoto diese Frage stellte, knackste das Schwert und ein kleiner Teil brach ab, der nur Sekunden später auf dem Boden prallte und dort ein kleines Loch hinterließ.
"Mein Versprechen einlösen.", antwortete ich mit einem breiten Grinsen. "Homra braucht dich und das weißt du. Deshalb werde ich dich hier und heute nicht einfach sterben lassen."
Mit einem weitern Knacksen fiel nun auch der Rest des Damokles vom Himmel herab. Ich trat einen Schritt nach vorne, sodass ich nun direkt unter dem riesigen fallenden Schwert stand.
Ob ich Angst hatte? Natürlich. Mein Herz pochte wie wild vor Aufregung. Ich wusste nicht, ob ich das überleben würde, aber bei einer Sache war ich mir sicher: "Ich werde das Damokles aufhalten!"
Nach diesen Worten hob ich meinen rechten Arm und meine Haare begannen zu schweben wie jedes Mal, wenn ich meine Heilkräfte bewusst benutzte. Das Schwert des Damokles fiel immer schneller auf uns herab. Ich schoss die Augen für einen Moment, um mich mit einem tiefen Atemzug auf den Aufprall vorzubereiten. Dann, kurz bevor das Schwert mich erreichte, öffnete ich meine Augen und genau in diesem Augenblick ging eine kräftige Druckwelle von mir aus. Jetzt wurde es Ernst. Mit meinem linken Arm stützte ich meinen rechten, dass dieser nicht einknickte. *Bitte, das muss funktionieren!*
Obwohl das Damokles nicht direkt auf meine Handfläche aufprallte, spürte ich trotzdem höllische Schmerzen. Am liebsten hätte ich aufgegeben, doch diese Option kam hier und heute nicht in Frage. Ich würde Mikoto um jeden Preis retten!
Und während ich mit aller Kraft versuchte das Schwert des Damokles aufzuhalten, erinnerte ich mich an die letzten beiden Monate, die ich bei Homra verbracht hatte.
Es fühlte sich an, als ob es erst gestern gewesen wäre, jene Nacht, in der mich Mikoto aufgegabelt hatte, nachdem ich nur ein paar Stunden zuvor versucht hatte ihn auszurauben. Auch wenn ich damals noch ein bisschen Angst vor dem Anführer der brutalsten Gang der Stadt hatte, war mir bereits zu dieser Zeit aufgefallen, dass er ein sehr guter König war. Zuerst kam mir das ganze echt merkwürdig vor und ich dachte ich wäre im falschen Film gelandet, als Anna mir die Schwerter des Damokles gezeigt hatte, die im Himmel über der Stadt geschwebt hatten. Und dann hatten wir auch noch die Leiche des grauen Königs gefunden und wären schließlich auch noch fast getötet worden. Doch als ich ein Teil von Homra geworden war, hatte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben irgendwo richtig wohl gefühlt.
Yata, der mir das Skaten beigebracht hatte und für jeden Spaß zu haben war.
Tatara, der nie ohne seine Kamera unterwegs gewesen war und immer alles gefilmt hatte.
Izumo, der immer in Bar gewesen war und mir und Eric beigebracht hatte, wie man einen Küchen bäckt.
Anna, die meine aller erste Freundin geworden war.
Mikoto, der mich eingesammelt hatte und mich zu Homra gebracht hatte.
Sie alle, die mir an meinem Geburtstag das größte Geschenkt gemacht hatten, was sie mir hätten machen können.
Bei Homra war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich glücklich gewesen. Ich wollte, dass es wieder wie früher wurde. Ich wollte wieder zusammen mit allen in der Bar Spaß haben. Ich wollte die beschützen, die mir in den letzten beiden Monaten so wichtig geworden waren. Egal, was in den nächsten Minuten geschah, ich würde mein Versprechen halten.
In dieser Sekunde sprang ein Funken vom Damoklesschwert ab und flog weg. Aus diesem einen Funken wurden hunderte, nein tausende. Und nach einer gefühlten Minute wurden aus den Funken Flammen, die in alle Richtungen schossen. Keine Ahnung, was da gerade passierte, aber ich machte einfach weiter.
Von irgendwoher waren Explosionen zu hören und der Geruch von Rauch stieg mir in die Nase, was ich versuchte auszublenden. Meine volle Konzentration galt dem Schwert des Damokles.
Noch einmal holte ich alle Kräfte in mir heraus und steckte sie in meinen Arm. "Los!", rief ich und eine weitere Druckwelle ging von mir aus. Das Damokles begann zu beben und immer mehr Flammen schossen heraus. Auch die herabfallenden Teile des riesigen Schwertes verwandelten sich in Feuer. Ich sank auf die Knie, weil mir langsam die Kraft ausging, aber ich war noch nicht bereit aufzugeben. *Nur noch ein bisschen!*
Dann, von einem Moment auf den anderen, war das komplette Gewicht des Damokles verschwunden und als ich einen genaueren Blick darauf warf, musste ich feststellen, dass es sich von unten nach oben auflöste.
Erleichtern ließ ich meine Arme sinken und schaute in den Himmel, wo sich das Damokles nach und nach auflöste, bis nichts mehr von ihm übrig war. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich hatte es geschafft!
Für einen Moment waren wir still und starrten in den Himmel hinauf, wo das Schwert des Damokles eben noch gewesen war.
Munakata holte eine Brille aus seiner Tasche und setzte sie auf, was meine Vermutung bestätige, dass er von Anfang an nicht gewollt hatte, dass Mikoto stirbt. "Suoh, du echt einen unglaublichen Clan.", sagte er kopfschüttelnd, wahrscheinlich nicht glaubend, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte. "Ihr solltet hier verschwinden." Dabei deutete er auf das viele Feuer um uns herum, bevor er sich umdrehte ich irgendwo zwischen den Bäumen um uns herum verschwand.
"Du bist einfach nur ein Sturkopf.", war das erste, das Mikoto zu mir sagte. "Warum hast du das getan? Du hättest sterben können."
"Ich wollte doch mein Versprechen halten."
Das brachte ihn für einen Moment zum schmunzeln. "Lass uns gehen."
"Da gibt's nur ein kleines Problemchen." Ich versuchte mich zu rühren, aber ich hatte gerade mal so viel Kraft übrig, um aufrecht sitzen zu bleiben.
Kurzerhand nahm mich Mikoto deswegen Huckepack und ich hatte ein Déja-vu. Es war genauso wie damals in der Nacht, als Mikoto mich zu Homra gebracht hatte. Bei dem Gedanken daran musste ich schmunzeln. Aber eine Frage war immer offen geblieben: "Warum hast du mich damals eigentlich mitgenommen?"
Mikoto neigte seinen Kopf, als ob er nicht wusste, was ich meinte.
"Naja, da nachts im Park."
"Da gab es keinen besonderen Grund."
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das gelogen war, doch ich fragte auch nicht weiter nach. Es stimmte: Mikoto war der beste König, den Homra sich hätte wünschen können. Äußerlich wirkte er zwar oft genervt und desinteressiert, aber in Wirklichkeit sorgte er sich um jedes einzelne Mitglied seines Clans. "Danke, dass du mich in jener Nacht aufgegabelt hast."
"Ich muss dir danken.", antwortete er mit leiser Stimme. "Erst hast du Anna gerettet, dann Tatara und jetzt mich. Ohne dich würden wir alle drei wahrscheinlich nicht mehr leben."
"Das habe ich gerne gemacht.", flüsterte ich. "Ihr seid doch schließlich meine Freunde und ihr habt mir auch die Kraft gegeben, von zu Hause abzuhauen, auch wenn ich nicht weiß, wohin ich jetzt gehen soll." Ja, wo sollte ich nun hin? Ich hatte kein zu Hause mehr, kein Dach über dem Kopf, keinen Ort, an dem ich Essen oder etwas zu trinken bekam.
"Dann wohnst du ab jetzt eben in den Bar."
"Wa..."
"Anna, Izumo und ich wohnen da ja auch und das Gästezimmer ist sowieso immer frei.", erklärte er. "Wir holen auch noch alle deine Sachen, die noch bei deinen Elten rumliegen."
"Vielen Dank." Ich konnte mein Glück einfach nicht fassen. Mein ganzes Leben lang hatte ich nur Pech gehabt, doch jetzt schien endlich alles besser zu werden. Ich schloss meine Augen wegen meiner Müdigkeit. Das Schwert des Damokles aufzuhalten, hatte mich meine ganze Kraft gekostet und ich hatte Mühe bei Bewusstsein zu bleiben.

***Gegenwart**

Anna war die erste, die mit einem überglücklichen Lächeln den kleine  Hügel hinaufrannte, auf dem Mikito mit mir auf dem Rücken stand, und umarmte ihn. "Ein Glück, euch geht es gut."
"Ja.", antwortete Mikoto und schreichelte ihr über den Kopf.
"Wie ist das möglich?", fragte Izumo, der sichtlich verwirrt war. "Wir alle haben gesehen, wie das Schwert des Damokles gegallen ist und sich dann aufgelöst hat. Also..."
"Das hat Amy bewirkt.", erklärte Mikoto. "Irgendwie hat sie es geschafft das fallende Damokles aufzuhalten."
Alle Blicke wanderten zu mir und ich musste lächeln. "Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht genau, wie ich das geschafft habe. Ich wollte mein Versprechen einhaltennund habs dann irgendwie einfach getan."
Yata, der auf einmal neben uns stand, boxte mich in den Arm. "Das wichtigste ist doch jetzt, dass ihr beide am Leben seid."
"Stimmt." Nun war es endlich vorbei. Der farblose König war tot und deswegen ging von ihm nun keine Gefahr mehr aus. Und das bedeutete, dass Tatara endlich zurückkehren konnte. Also wurde alles wieder so wie früher. Naja, fast alles.
"No Blood! No Bone! No Ash!", ertönte der Homra Ruf. Der ganze Clan machte mit und alle streckten eine Faust nach oben in die Luft.
"No Blood! No Bone! No Ash!", flüsterte ich und schloss die Augen. Meine Kräfte waren komplett alle. Nichts war mehr übrig. Die Müdigkeit überrannte mich und ich schlief ein.

Hallöööchen erst mal!
Ja, ich lebe auch noch und habe es endlich geschafft, dieses Kapitel fertig zu schreiben. Falls ihr euch jetzt fragt, was der Titel des Kapitels bedeuten soll: Das wird im nächsten Kapitel aufgelöst.

Wie hat euch eigentlich diese Erzählweise am Anfang gefallen? Ich wollte schon länger mal ausprobieren so zu schreiben und hoffe, ich hab das jetzt einigermaßen gut hinbekommen.

Eure Lina

K-Project - Die wahre GeschichteWhere stories live. Discover now