Kapitel 26

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Zuhause kam mir der ganze Besuch total unrealistisch vor, ich meine: war das wirklich passiert? Hatte ich wirklich Ethan besucht und wir hatten uns geküsst? Es war so irreal, als hätte ich alles nur geträumt, und jetzt würde gleich mein Wecker klingeln und mir sagen: Hey Liv, träum nicht so unwirkliche Sachen! Wach endlich auf, du alte Schnulze!

Der Schrei meiner Mutter, als ich die Haustür aufschloss, kam tatsächlich einem Wecker zugleich. Plötzlich und abrupt brüllte sie: "Olivia!"

Wie konnte sie mich gehört haben? Hatte sie etwa hinter der Tür Wache gehalten? Ich schloss die Tür hinter mir und zog schnell meine Schuhe aus. Ich musste schleunigst nach oben, dann konnte ich zumindest Dad auf meine Seite ziehen. Er war eigentlich immer der Gutmütige und versuchte Streit zu schlichten. Ich stand gerade am Fuß der Treppe, als sie um die Ecke geschossen kam.

"Wo treibst du dich denn rum? Es ist nach halb zwölf! Du sollst unter der Woche um elf zuhause sein, und wo bist du? Nicht da! Du hält's dich nicht an unsere Regeln, das enttäuscht mich wirklich..!" Damit bombardiert fühlte ich mich kurz total angegriffen und wehrlos, denn es stimmte was sie sagte. Glücklicherweise tauchte jetzt hinter mir mein Dad auf.

"Was ist denn hier los, meine Weiber streiten?", sagte er ironisch.

Gleichzeitig sagte meine Mutter "Ja!", während ich "Nein, wir diskutieren!" rief. Dad schaute verwirrt zwischen uns hin und her. "Deine Tochter", begann Mum, "hält sich nicht an abgemachte Uhrzeiten! Wo warst du überhaupt?!" Damit ging die Runde an mich weiter. Ok Liv, jetzt nicht rot werden, nicht rot werden, nicht rot werden.

"Ich ähm..ich habe nur einen Kumpel von mir besucht.",sagte ich dann, und bekam es hin, nur minimal rot zu werden. "Er heißt Ethan. Aber ich bin 16, fast 17, und darf ja wohl mal etwas später kommen!"

Meine Mum war wohl nicht so begeistert, was aber auch daran liegen konnte das es ein Junge war, der mich zu spät kommen ließ. Als ich allerdings an den Grund für meine Verspätung dachte, bereute ich nichts, und begann zu lächeln. Ich musste total dämlich aussehen, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu grinsen. Auch mein Dad grinste, und meine innere Stimme seufzte erleichtert auf. Wenn er auf meiner Seite war, konnte nicht sehr viel schiefgehen.

"Hör mal Anna, Liebling. Unsere Tochter wird jetzt älter, und du musst ihr auch mal was durchgehen lassen. Und willst du ihr verbieten neue Freundschaften zu schließen? Sie wollte sich außerdem gerade entschuldigen, was Liv?", half er mir dann auch gleich aus der Patsche.

"Ja genau! Es tut mir leid, wird nicht wieder vorkommen.", entschuldigte ich mich und hoffte dass es damit getan war. Meine Mum sah mich noch kurz böse an, aber sie war nicht mehr so gereizt wie am Anfang.

"Und was bitte schön für Klamotten trägst du da?", hackte sie noch ein bisschen nach.

"Das sind geliehene Sachen von Ethan. Ich bin in den Pool gefallen.", gab ich die halbe Wahrheit zu, aber die anderen Hälfte behielt ich für mich. Ich sah an mir herunter, und stellte fest dass ich ziemlich gammelig aussah. Während mein Ausflug in den Pool Dad amüsierte, war Mums Blick immer noch kritisch, bestimmt wog sie gerade meine Worte ab.

"Hast du etwa vergessen, wie oft du früher wegen mir zu spät warst? Deine Eltern hassten mich regelrecht.", gab mein Dad noch mehr Hilfe und kicherte. Jetzt wurde ihr Blick weich. Ha!

"Na gut..aber es bleibt eine Außnahme. Und nur damit das klar ist: übernachtet wird nicht bei dem mysteriösen Ethan! Und ihn mir vorzustellen könnte auch nicht schaden.", meinte sie dann und ging anschließend in Richtung Obergeschoss.

"Danke Mum!", rief ich noch hinterher. Dann fiel ich Dad um den Hals. "Das war Teamwork." Er grinste mich frech an. "Du könntest mir den mysteriösen Ethan aber auch mal vorstellen."

"Erzähl mir zuerst von dir und Mum früher! Die Story kenn ich noch nicht!", sagte ich begeistert. "Diese tolle Geschichte ist nicht sehr jugendfrei meine Kleine.", gab Dad zwinkernd zu. Jetzt war mein Interesse noch mehr geweckt. Ich löcherte ihn mit Fragen, bis er mich einfach ins Bett schickte und im Flur stehen ließ.

Schmollend ging ich meinem Schicksal nach, und stellte in meinem Zimmer fest, dass ich auf Facebook eine Freundschaftsanfrage von Ethan hatte. Hibbelig nahm ich sie an und betrachtete all seine Bilder. Von ein paar machte ich Screenshots, nur so. Weil ich wollte. Und weil Ethan in Badeshorts unglaublich heiß aussah.

Anschließend lag ich in meinem Bett und grinste die Zimmerdecke an, während ich nochmal über den Tag nachdachte. Ich hätte heute morgen niemals gedacht, dass der Tag so endete. Aber ich hatte jetzt auch nichts dagegen, und wollte auf keinen Fall etwas ändern. Ich seufzte auf, als ich mich an seine Küsse erinnerte, und an seinen Geruch dachte, der durch den Pulli immer noch an mir haftete. Ich hatte mich geweigert ihn auszuziehen, und hatte ihn letztendlich einfach anbehalten und war mit ihm ins Bett gegangen. Ich grinste immer noch. Die Decke musste mich wohl für ziemlich verrückt halten.

Ich ließ mir alles nochmals durch den Kopf gehen. Normalerweise hätte ich niemals einen sozusagen fremden Jungen beim ersten 'Date' geküsst. Aber diesmal musste es sein. Er war mir nicht mehr fremd, das war er tatsächlich nicht mehr. Allerdings wollte ich ihn trotzdem besser kennen lernen, denn ich war mir ziemlich sicher, dass hinter seiner Fassade etwas steckte. Ich wusste nur noch nicht was, aber die vielen kleinen Geheimnisse und Ernstheiten, die ich beobachtet hatte, sprachen für sich. Er hatte irgendwas zu verbergen. Oder irrte ich mich? Obwohl ich selbst eigentlich auch nicht sehr ehrlich zu ihm war.

Ach echt jetzt? Du warst nicht ehrlich? Hätte ich nie gedacht., meinte meine innere Stimme genervt sarkastisch. Es störte mich, aber eigentlich hatte sie recht. Vielleicht erzähle ich es ihm irgendwann, schließlich erzählt man niemandem beim ersten Treffen seine Lebensgeschichte. Ich war nur so neugierig auf ihn. Ethan und ich hatten meistens unterschiedlich Ansichten, so jemanden wie ihn kannte ich noch nie und normalerweise hätte er mich auch nicht beachtet. Was war also falsch mit ihm? Oder was machte er richtig?

Ein Vibrieren neben mir ließ mich aufhorchen. Mein Handy zeigte 00:14 an, und außerdem hatte ich eine neue Nachricht von Ethan, was meinen Herzschlag wieder beschleunigte. Ich dachte darüber nach ihn umzubenennen, ließ es mit einem Grinsen im Gesicht dann aber bleiben.

Nicht rangehen:

Schlaf gut, Liv und träum von mir ;)

Ich:

Werd ich sowieso. Du auch :)

Nicht rangehen:

Hoffe du träumst viel Unanständiges.

Ich verdrehte die Augen, bevor ich mich wieder meinem Handy widmete und antwortete. Dachten Jungs wirklich pausenlos an nichts anderes?!

Ich:

Ja klar, die ganze Zeit. (Übrigens verdrehe ich gerade die Augen!)

Nicht rangehen:

Das passt zu dir. (Sowohl das Augen verdrehen, als auch das Unanständige.)

Ich:

Herzlichen Dank auch. Also Nacht :*

Total happy legte ich mein Handy beiseite und führte meine Gedanken von vorhin weiter. Einerseits hätte er mich nicht so überfallen dürfen, aber andererseits hatte die Anziehungskraft mich und ihn schwach werden lassen. Und ich war froh darüber. Es hatte sich gelohnt. Obwohl ich ängstlich war, dass er mich wieder fallen lässt, bereute ich nichts von dem was passiert war. Ich war endlich mal wieder vollkommen glücklich, und das konnte mir niemand zerstören.

Closer to youWhere stories live. Discover now