Kapitel 63

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"Paintball?", fragte ich ebenso entsetzt wie begeistert und beobachtete die vier Jungs wie sie mich voller Vorfreude anstrahlten und nickten. Auf der Fahrt hatten sie mich hingehalten und wollten nicht erzählen was wir vorhatten.

Als ich jedoch nun die große Empfangshalle betrat, die mehr wie eine Jagdhütte aussah, überwiegte das Entsetzen. Ich hatte noch nie in meinem Leben Paintball gespielt, wie sollte ich da gegen drei fremde Jungs gewinnen? Spielte ich überhaupt gegen sie oder mit ihnen? Aus Filmen, in denen das gespielt wurde, lernte man nicht wirklich wie das ganze funktionierte. Verwirrt versuchte ich dem Mann zu folgen, der uns die Gewehre und Schutzanzüge gab und uns in ein paar kurzen, schnellen Sätzen das Spiel erklärte.

"Bei unserer Paintballvariante geht es darum, alle Spieler der gegnerischen Mannschaften auszuschalten. Davon gibt es vier, ihr sieben bildet eine davon, ihr seid die Gelben. Auch alle anderen Mannschaften haben sieben Teilnehmer. Die Mannschaft, deren Spieler als letzter nicht beschossen wurde, gewinnt. Alles klar?"

Nicht wirklich, da jedoch alle anderen nickten, tat ich ebenfalls so, als hätte ich das verstanden.

Ethan kannte mich wohl trotzdem besser oder aber er konnte meine Gedanken lesen. "Einfach nicht beschossen werden und alle anderen abschießen.", raunte er mir ins Ohr und ich grinste ihn dankend an und prägte mir seine Worte ein. So schwer konnte das doch nicht sein.

Das Spiel fand auf einer Waldfläche statt und nach einer kurzen Besprechung mit unserem Team, das im Übrigen aus Ethan, seinen Freunden Noah, Ryan und Ash, die ich schon aus meinem Sportkurs kannte, und noch zwei weiteren Jungs, die uns zugewiesen wurden, bestand, sah ich mir die anderen Spieler an.

Allgemein gab es in den anderen Mannschaften hauptsächlich große, muskelbepackte Jungs und kaum Mädchen. Außer mir entdeckte ich beim Überblicken der Menschen nur zwei weitere Mädchen. Vielleicht kam es hier darauf an, wer das größte Sixpack hatte. Das würde lustig werden.

Abgesehen davon, dass ich bestimmt gleich abgeschossen werden würde, war der Nachmittag bisher doch relativ gut gelaufen. Im Gespräch mit den Jungs, in dem ich erst nach und nach etwas beigesteuert hatte, war es einfach gewesen durchdringenden Blicken von Ethan auszuweichen. Und jetzt, wo es galt als Team die anderen auszuschalten und sich zu verstecken, war es erst recht ziemlich simple. Aber durch seinen ständigen ernsten Blick, der mich beobachtete, hatte ich das Gefühl, er wüsste es oder er wüsste, dass ich ihm etwas nicht erzählte. Ich versuchte es zu vergessen, konzentrierte mich wieder aufs Spiel und nahm mir einfach zum Ziel, auf einen Baum zu klettern und dort dem Farbgeballere auszuweichen.

Ethan ergriff meine Hand, lief mit mir an der Hand zum Waldrand und redete nebenher noch mit seinen Freunden. Meine Gegenwart schien ihnen allen nichts auszumachen, und sie waren alle echt nett zu mir, vorallem Ryan, mit dem ich mich schon öfter in der Schule unterhalten hatte. Die Erleichterung deswegen ließ mich den Moment genießen und ich schob die Gedanken an die Moralpredigt von Sophie, die mir von unserem Telefonat am vorherigen Abend im Kopf herumspukten, weg.

Grinsend löste ich mich von Ethans Hand, als der Startschuss gegeben wurde. "Los geht's!", rief ich unseren Team zu und scannte mit den Augen die Umgebung. "Auf in den Kampf!", rief Ryan mir zu zwinkernd zurück und rannte dann, wie wir anderen auch, los.

~~~

"Das machen wir jetzt jede Woche, oder?", fragte ich begeistert und noch adrenalingepusht in die Runde. Das Paintballspielen hatte mir trotz aller Bedenken riesigen Spaß gemacht. Das Schießen mit Farbpatronen auf fremde Menschen war psychisch ziemlich abbauend, ich war überhaupt nicht mehr gestresst. Okay, zusätzlich war ich etwas angetrunken, da wir inzwischen in einer kleinen Bar unseren zweiten Platz feierten. Die anderen stimmten mir lachend zu und wir stießen erneut mit der nächsten Runde Bier auf unseren Tag an.

Etwas später lästerte ich gerade mit Ryan und Noah über unsere Sportlehrerin ab, und hatte ihnen verraten, dass sie meine Sportnote um einiges verbessert hatten, da wir gemeinsam in einem Team spielten. Noah, der sich bei den Gesprächen bis jetzt eher zurück gehalten hatte, hatte mir von seiner Freundin erzählt, und allgemein herrschte meiner Meinung nach eine super Stimmung.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Ethan uns unterbrach und nach Hause wollte. "Kommt schon Leute, es ist schon spät und Liv ist noch keine 18", meinte er und lief noch beim Reden aus der Bar, mit dem Handy am Ohr. Mit wem telefonierte er um diese Uhrzeit? Ich musste zugeben, dass es tatsächlich schon spät war und meine Eltern mir Hausarrest bis zu meinem Geburtstag geben würden, wenn ich nicht bis Mitternacht zuhause wäre, also innerhalb der nächsten 15 Minuten. Ich schätzte seine Fürsorge, aber es verwunderte mich doch, wer ihn wohl um diese Uhrzeit anrief.

Wir bezahlten und verließen ebenfalls die Bar, um uns ins Auto zu quetschen. Ich ergatterte den Beifahrersitz und nutzte dies, um Ethan gleich zu fragen mit wem er telefoniert hatte.

"War nichts wichtiges.", tat er es ab und mischte sich in die Unterhaltung der Jungs auf der Rückbank ein. "Leute, wen fahr ich zuerst nach Hause?"

Beim Haus des letzten Jungen, Ryan, stieg Ethan selbst noch mit aus, um etwas zu klären. Ryan verabschiedete sich, wie die anderen auch, mit einigen freundlichen Worten von mir und ich beobachtete die zwei, wie sie Ryans Sporttasche aus dem Kofferraum holten und sich dabei unterhielten.

Beim Beobachten der Beiden fiel mir Ethans Handy ins Auge, dass er in das CD- Fach gelegt hatte und sofort bahnte sich in meinem Kopf ein Plan, den mein Gewissen jedoch für moralisch falsch hielt. Welcher Wunsch in mir war stärker? Der, Ethan zu vertrauen, oder der, herauszufinden mit wem er telefoniert hatte?

Ich sah wie die zwei sich verabschiedeten, und mir wurde klar dass mir nur noch Sekunden blieben. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich sein Handy in der Hand und das Anrufprotokoll des heutigen Tags geöffnet, um die obersten Zeilen zu überfliegen:

3 ausgegangene Anrufe an Hadley C.
1 eingegangener Anruf von Hadley C.

Closer to youWhere stories live. Discover now