Kapitel 16

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Das nächste was ich sah, war Frau Schneider, die entsetzt im Türrahmen stand.

"Frau Schneider!", rief ich aus.

"Was soll das? Ich wünsche eine Erklärung!", forderte sie und steckte eine widerspenstige Locke wieder in ihre strenge Frisur, sodass alle Haare aus dem Weg waren.

"Ähm.." Mein Gehirn war dabei eine passende Ausrede zu suchen.

Ethan trat vor mich. "Es war meine Idee aus dem Fenster zu klettern."

"Es war ihre Idee?"

"Ja meine Idee, alles meine Schuld, ich habe Olivia auch dazu überredet."

Ich konnte es nicht fassen, genauso wie Frau Schneider.

"Also liege ich richtig in der Annahme, dass ihr aus dem Fenster gestiegen seid? Obwohl ihr hier drin hättet bleiben müssen? Das wird Folgen haben!", fauchte sie. "Und sie werden dafür geradestehen!", ging in Ethans Richtung.

Er nickte und verblüffte mich immer mehr.

In dem Moment als ich ihn ansah, wusste ich die Lösung. "Hören sie Frau Schneider..", fing ich an, wurde aber wieder unterbrochen.

"Ich dachte sie wären nicht beteiligt gewesen!"

Ich schaute zu Ethan, der mich mit einem gespannten Blick ansah. "Es ist so: Es war zwar Ethans Idee, aber eigentlich sind wir nur wegen mir nach draußen gegangen. Es ging mir nicht gut, ich habe Platzangst und als sie uns eingesperrt haben, hatte ich Panik. Ethan hat gemerkt, dass es mir nicht so gut geht. Also sind wir an die frische Luft gegangen und jetzt geht es mir besser. Wir wollten keinen Ärger kriegen." Weil ich gerade so schön in Rage war, redete ich gleich weiter. "Ist es eigentlich überhaupt erlaubt, uns hier einzusperren? Widerspricht das nicht dem Gesetz? Was wäre wenn wirklich etwas passiert wäre? Wenn ich ohnmächtig geworden wäre oder so?"

Frau Schneider sah ein wenig verlegen aus und schaute weg. Dann kniff sie die Augen zusammen. "Sie haben mir gar nichts zu sagen! Los jetzt holt eure Sachen aus dem Klassenzimmer und geht dann nach Hause. Wenn ihr nichts sagt, sage ich auch nichts, und wir vergessen die Angelegenheit."

Damit scheuchte sie uns aus dem Musiksaal. Ich sah auf die Uhr - und tatsächlich - es war schon nach fünf, also konnten wir gehen. Frau Schneider konnte ich immer weniger leiden.

Während dem Laufen, sowie im Klassenzimmer verlor ich kein Wort, weil mir alles in Endeffekt doch ein bisschen peinlich war. Ich hatte für Ethan viel aufs Spiel gesetzt und eine Lehrerin angelogen. Obwohl die Idee gar nicht so weit weg geholt war, denn ich habe tatsächlich Platzangst. Doch normalerweise war es nicht schlimm, ich bekam höchstens mal in Aufzügen Angst. Und Ethan hat sich auch vor mich gestellt, auch wenn ich nicht verstehe warum. Anschließend nach dem Tascheholen hastete ich aus dem Zimmer, aber ich hörte noch wie Ethan meinen Namen rief.

Als ich schon halb aus der Schule raus war wieder: "Olivia!"

Ich drehte mich um, einfach nur, um ihn kurz anzuschauen, lief aber trotzdem langsam weiter. Er brauchte nicht lange, um mich einzuholen.

"Jetzt chill doch mal, du hetzt ja total!"

Ich zuckte mit den Schultern. "Kann schon sein. Ich muss nach Hause."

Ich lief über den Vorhof zu meinem Rad und blieb dort stehen. Es war fast niemand mehr hier, auf dem Fahrradparkplatz stand außer meinem Fahrrad keins mehr. Ethan lehnte sich gegen den nächsten Fahrradständer und ich spürte seinen Blick auf mir, als ich mich über mein Fahrrad beugte, um aufzuschließen.

Ich blickte auf und sah ihn auch an. Lässig lehnte er in einer Jeans und einem grauen Hollister Kapuzen-Pulli dort. Seine Augen sagen direkt meine an, und ich fragte mich mal wieder, wieso manche Leute wirklich überall Glück haben und warum er -verdammt noch mal- so gut aussah.

"Das war besser als Nachsitzen oder?", fragte er und zwinkerte.

"Ja es war.. ähm.." Krampfhaft versuchte ich ein Adjektiv zu finden, dass den Nachmittag mit ihm beschrieb. Wenn ich toll sagte, bildete er sich gleich ein ich stand auf ihn.

"Klasse, gut, schön, geil, unglaublich, wundervoll, umwerfend, atemberaubend, hervorragend..", lieferte er mir Vorschläge.

Sehr lustig.

"..interessant.", schloss ich dann meinen Satz, denn dass traf es. Ich war kein allzu großer Fan vom Lügen, aber in dem Fall war es auch nicht gelogen. Das heute war interessant. Es war interessant, zu entdecken, dass er kein kompletter Idiot ist, sondern auch eine nette Art hat, auch wenn er ein bisschen zu selbstüberzeugt ist. Es war interessant wie er sich mir gegenüber verhielt und interessant ihn ein bisschen besser kennenzulernen.

"Na, das geht ja noch.", zwinkerte er mir zu. "Das nächste mal steigern wir unser Treffen auf unglaublich, aber für den Anfang geht interessant ."

"Schön, dass du damit einverstanden bist, was ich sagte. Jetzt bin ich wirklich unglaublich erleichtert.", spottete ich.

Er verdrehte die Augen. "Kommen wir aufs Thema zurück."

"Thema?"

"Selbstverständlich deinen Besuch bei mir am Montag.", erklärte er und sofort entstand ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch. Ich war mir nach wie vor unsicher ob ich hingehen sollte, aber Wettschulden sind ja bekanntlich Ehrenschulden, also kam wohl ich nicht drum herum.

"Ähm..", versuchte ich Zeit zu schinden. "Ah! Da hinten kommt dein Bus und ich muss jetzt auch los. Wir reden wann anders weiter. Ciao!" Ich hoffte, dass es tatsächlich sein Bus war, denn eigentlich hatte ich nur geraten.

Er blickte über die Schulter und sah dann auf die Uhr. "Mist! Du hast Recht!", sagte er und schulterte seine Tasche.

"Ich vergesse nichts, Olivia!", sagte er und versuchte den ernsten Blick aufzusetzten.

"Nenn mich bitte Liv.", sagte ich was mir gerade in den Kopf kam, denn Olivia nannten mich nur die Lehrer und meine Eltern, wenn sie sauer waren. Was er vorher gesagt hatte, ignorierte ich einfach.

Er grinste und rief noch im vorrübergehen: "Bye Liv!"

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