Kapitel 22

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Neugierig trat ich ein und sah mich erst mal um. Es sah wie ein normales Jungszimmer aus, nur im Riesenformat. Es gab logischerweise einen Schreibtisch und Fussballposter und ein paar Fotos. Zusätzlich zu dem Raum, der mindestens zweimal so groß war wie mein Zimmer, gab es einen großen Fernseher und ein King Size Bett mitten im Zimmer. Gekrönt würde alles von einem eigenen Bad mit Anschlusstür und einem kleinen Balkon. Es sah relativ aufgeräumt auf, und ich spielte mit dem Gedanken, dass er für mich Ordnung gemacht hatte. Sehr süß. Auch sehr süß war er selbst wie er noch zögerlich in der Tür stand und mich ansah, als warte er auf meine Bewertung.

"Dein Zimmer ist der Hammer!", sagte ich und ließ mich rückwärts auf sein Bett fallen.

"Finde ich auch!", hörte ich seine zustimmende Meinung. Ich setzte mich wieder auf und sah mich nochmal um.

"Da an der Wand hängt ein New York Kalender, im Flur auch. New York Fan?", fragte ich interessiert. Ich selbst war es nämlich, und zwar ein Riesen Amerikafan. Ich hatte in meinem Zimmer eine große Karte von den USA hängen, und markiert wo ich schon überall war. Leider waren es bis jetzt nur zwei Reisnägel, aber ich hoffe es würden mal mehr werden.

"Schon irgendwie.", meinte Ethan jetzt. "Ich war letztes Jahr in Kalifornien an der Ostküste. Möchtest du die Bilder sehen?"

"Ja unbedingt! Da wollte ich schon immer mal hin."

Ethan stand auf und zauberte aus einer Schublade seines Schreibtisches einen Laptop von Acer. Er setzte sich neben mich auf sein Bett und bat mich zu rutschen. Wir saßen jetzt nebeneinander, angelehnt an den Kopf des Bettes. Unsere Beine berührten sich, nachdem er den Laptop auf seinen Oberschenkeln abgestellt hatte. Es war ein neues Gefühl, dass mich in dem Moment durchströmte und Ethan bemerkte es auch, denn sein Blick blieb eine Sekunde zu lang an mir haften. Zumindest bildete ich mir das ein. Den Laptop fuhr er hoch und öffnete dann einen Ordner namens "California 2013". Sein Desktophintergrund war derselbe wie bei Facebook, er mit einer dünnen Blondine im Arm. Von einer älteren Schwester hatte er nichts erzählt, das bemerkte ich erst jetzt. Ich wusste zwar vom Stalken mit meinen Freundinnen, dass auf dem Bild nur seine Schwester war, aber von ihr erzählt hatte er nie. Ich zeigte darauf. "Wer ist sie?"

"Bist du etwa eifersüchtig?", fragte er schmunzelnd. "Das ist meine Halbschwester, Lorena. Sie ist aus der ersten Ehe meines Vaters und wohnt mit ihrem Freund in Kalifornien. In den letzten Sommerferien hat sie mir ein Flugticket zu ihr gebucht und ich habe es selbstverständlich nicht verfallen lassen." Ich nickte. Das leuchtete mir ein. Das erste Bild erschien und Ethan fing an zu erzählen. Zuerst über den Flug, über seine Ziele dort, die Menschen, ..

Zwischendurch schweifte ich leider etwas ab, denn allein Ethan beim Sprechen zuzuschauen, hatte etwas für sich. Wie begeistert er zwischen dem Bildschirm und mir hin- und her seh. Seine Art zu erzählen war unbeschreiblich, man hatte am Ende das Gefühl, selbst live mit dabei gewesen zu sein. Nach mehr als einer Stunde erzählen waren wir fertig, und ich muss sagen, dass es wirklich toll war. Er hatte von allen Sehenswürdigkeiten, Verwandten und Leuten erzählt die er kennen gelernt hatte. Außerdem gab es tolle, scharfe Bilder von der Landschaft und viele von seiner Schwester und ihrem Freund Mason. Sie passten total zusammen und Lorena hatte mehrere Gleichheiten mit Ethan, die ich erkannte, als ich ihn von der Seite betrachtete.

"Tut mir leid, dass ich dich so zugetextet habe.", sagte er als er fertig war, aber er wirkte total begeistert von seinen eigenen Geschichten.

"Macht nix, ich fands schön." Das brachte ihn zum Lachen.

"Ethan? Wir gehen jetzt, bis später!", tönte die Stimme von seiner Mum nach oben.

"Ist gut!", rief Ethan zurück. "Hast du Lust noch den Rest des Hauses zu sehen? Wir sind jetzt allein." Damit wandte er sich an mich.

"Klar total gerne!", sagte ich und sprang auf. Das Treffen verlief bisher meiner Meinung nach echt gut. Ethan war so zuvorkommend, nett und freundlich, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Dass er aber zwischendurch immer wieder seine Scherze mit einlaufen lies, machte die Unterhaltung total toll, vor allem weil ich nie etwas unerwidert lies.

"Ich glaub's nicht! Euer Haus ist riesig! Dagegen ist unseres wie eine Miniatur!", rief ich nachdem wir die nächsten zwei Stockwerke besichtigt hatten. Ehrlich, oben war ein Sportbereich mit Laufband und so, außerdem gab es noch eine Menge Bäder und mehrere Arbeitszimmer sowie eine eigene kleine Bibliothek, in der ich am liebsten für immer geblieben wäre. Ich hatte eine Erstfassung von Tolstoi's Anna Karenina entdeckt, sowie mehrere russische alte Werke und war fast ausgeflippt. Ethan hätte mit erhobenen Händen wegrennen müssen, aber er blieb ganz cool im Türrahmen stehen und sah mir mindestens 15 Minuten beim Stöbern sowie rumkreischen zu. Dafür verdiente er ehrlich Respekt, denn ich war total nervig manchmal. Mein Endresultat dieser Besichtigung war, dass diese Familie steinreich sein musste. Außerdem wunderte ich mich, wie normal sie wirkten und dass Ethan gar nicht so protzig und überheblich war, wie von Reichen immer die Rede ist. (Nur ein kleines bisschen.)

"Warte bis du den Keller gesehen hast, dort halte ich mich am liebsten auf.", sagte Ethan zu mir und wir mussten die ganzen drei Stockwerke wieder herunterlaufen. Nein, Sport war immer noch nicht mein Ding.

"Also hier..", meinte er und stieß die erste Tür auf. "Ist sozusagen ein kleiner Chillraum, mit Sofa und Fernseher und so." Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus, abgesehen davon erklärte er das so selbstverständlich als erwartete er das bei jedem zu Hause.

Er lies eine Tür zwischendrin aus. "Und die?", fragte ich interessiert. Sein Blick versteifte sich kurz, dann lockerte er sich wieder. "Nichts, was dich etwas angeht." "Sorry, ich wollte dich nicht angreifen.", erwiderte ich ein wenig verletzt. Er bemerkte meine Verletztheit. "Es ist privat. Aber vielleicht zeige ich ihn dir ein anderes Mal.", versuchte er er wieder gut zu machen. "Wenn du nett bist." Er zwinkerte und hackte das Thema ab, obwohl ich noch jede Menge Fragen gehabt hätte. Im Gegensatz zu allen anderen weißen Türen, war die Geheimnisvolle nämlich schwarz, und ich konnte es kaum erwarten, zu erfahren was dahinter war. Vielleicht würde er es mir zeigen, wenn er mehr Vertrauen zu mir hätte, wovon beim ersten Treffen natürlich nicht die Rede sein konnte. Er lief weiter und dann war die nächste Tür fällig. Sie öffnete mir die Sicht auf einen großen Saal mit einer Fensterfront zum Garten. "Das ist unser, oder eher mein Musikzimmer."

Ich musste einfach reinlaufen und ihn mir ansehen. Fein säuberlich aufgehängt hingen mehrere Gitarren, die ich in E-Gitarren und normale unterordnen konnte an der Wand an dafür vorgesehenen Stützen. Es gab noch Elektrozeug und einen Verstärker und in der Ecke stand ein rotes Schalgzeug, aber was meinen Blick anzog war ein großer schwarzer Flügel, der mitten im Raum stand. Ich lief sofort hinüber und musste meine Hand darüber gleiten lassen.

"Traumhaft schön.", flüsterte ich, während ich darum herumlief. "Spielst du?", fragte Ethan mich von der Tür aus.

"Nein.", meinte ich nur kurz, und hoffte das meine Lüge nicht auffiel. "Wem gehört es?" "Mir.", meinte er und kam zu mir. Dann klappte er die Tastatur auf und spielte eine leise, und traurige Melodie, eine so schöne, wie ich sie noch nie gehört hatte. Fast hätte ich angefangen zu heulen, aber ich riss mich zusammen. "Versuch es doch mal!", forderte er mich auf als er geendet hatte. "Du siehst aus als hättest du Talent." Vielleicht war ich doch offener als ich dachte.

Ich trat einen Schritt zurück. "Ähm..nein muss nicht sein, ein anderes Mal. Ich habe kein musikalisches Talent, im Gegensatz zu dir.", redete ich mich raus. Ja, ist klar. Du und kein musikalisches Talent, lüg ihn doch noch mehr an., raute meine innere Stimme, doch ich ignorierte sie einfach.

"Wann immer du willst. Ich geb dir gerne Klavierstunden." Er stand auf und bedeutete mir rauszugehen, was ich auch tat. Er schloss die Tür hinter uns, und ich konnte er mir gerade noch verkneifen erleichtert aufzuseufzen, denn eigentlich mied ich jedes Klavier in meiner Nähe, um Erinnerungen zu verdrängen. "Ich spiele übrigens genauso gut Gitarre wie Klavier, falls ich dann cooler rüberkomme."

"Ja klar, und Geige und Schlagzeug beherrscht du auch im Schlaf, was?", meinte ich ironisch. "Klar, eine meiner leichtesten Übungen." sagte er und zwinkerte, während ich die Augen verdrehte.

"Und jetzt meine Damen und Herren, der ganze Stolz der Familie Hawn.", kündigte Ethan an und blieb vor der letzen Tür stehen. Sie war verglast, aber man konnte trotzdem nicht hindurchsehen. "Eure persönliche Folterkammer?", machte ich mich über ihn lustig.

"Nein, noch besser.", meinte er und öffnete die Tür. "Unser eigener..."

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