VII - Vinja (4/5)

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Es war ein besonders kalter Tag, der grau begonnen hatte und kaum Licht in die Wäscherei hereinschickte, sodass Vinja am liebsten eine Lampe entzündet hätte, aber ihre Eltern hatten es verboten. Auch abgesehen davon war Vinjas Laune schlecht. Ihre Eltern hatten sie schon früh am Morgen angefahren und ihr Vorhaltungen über ein vergessenes Paket gemacht. Vinja wusste, dass es nicht ihre Schuld war, aber das spielte keine Rolle. Sie hatte sich damit abgefunden, den Mund zu halten und die Ausfälle ihrer Eltern stumm zu ertragen, denn so gingen sie schneller vorbei und waren weniger schlimm, als wenn sie ihnen widersprach. Rigund hatte sich in den Wohnbereich zurückgezogen und Belfonso arbeitete in der Wäscherei, auch wenn Vinja nicht wusste, was genau er dort gerade machte, denn Aufträge hatten sie kaum. Vinja fror und sie sehnte das Ende des Tages herbei, als eine Bewegung draußen auf der Straße sie aufblicken ließ. Wie immer, wenn jemand sich vor der Scheibe bewegte, zuckte sie zusammen und ihr Blick heftete sich auf die Gestalt draußen, doch außer einem breiten Umriss konnte sie nichts erkennen. Die Gestalt stand einen Augenblick still vor der Scheibe, dann bewegte sie sich und einen Moment später wurde die Tür aufgerissen. Vinja erstarrte und einen Moment wagte sie ihren Augen nicht zu trauen.

Es war Helgrin.

Helgrin trug die gleiche Rüstung wie an jenem Tag, als sie mit den Soldaten die Stadt verlassen hatte. Zwischen den Soldaten hatte sie damit imposant und prächtig ausgesehen und auch jetzt fehlte es nicht an Eindruck, den sie machte, aber ihr abruptes Auftauchen hier in der Wäscherei erschien Vinja so unpassend, dass sie einen Moment dachte, sie würde sich irren.

»Hallo Vinja!«

Vinja schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Sie hatte mit einem Mal das Gefühl, ein Faden, der an ihrem Hinterkopf befestigt wäre, würde sie nach hinten Richtung Boden ziehen. In ihren Ohren begann es zu rauschen. Unvermittelt kamen Gedanken und Gefühle in ihr hoch, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Helgrin passte nicht hierher, war einer dieser Gedanken, aber wie Wasser aus einer Quelle sprudelten weitere hervor und es waren so viele, dass Vinja einen Moment schwindelig wurde. Es war, als ob eine andere Vinja plötzlich in ihr auftauchen würde, eine Vinja, die ihre Eltern aus der Wäscherei ausgesperrt hatten, während sie hier drin wie in einem Gefängnis gelebt hatte. Eine mutige Vinja, viel mutiger als das Mädchen, das jetzt verängstigt hinter der Theke stand und bei jedem Besuch zusammenzuckte. Eine starke Vinja.

»Hallo«, gab sie endlich zur Antwort.

Zum ersten Mal seit langem kam sie sich plötzlich seltsam vor, hier im Laden. Sie suchte Helgrins Blick. Helgrin grinste. Einen Moment erwiderte sie Vinjas Blick, dann wandte sie sich ab und schaute sich um.

»Hier arbeitest du also«, sagte sie feststellend. Der Raum kam Vinja auf einmal viel kleiner vor, jetzt wo Helgrin in ihrer großen Rüstung darin stand. Was wollte sie hier? Der Gedanke ließ Vinja erneut zusammenzucken. Was würden ihre Eltern sagen, wenn sie Helgrin hier sähen? Als ob sie die Fragen in Vinjas Kopf hätte lesen können, wandte sich Helgrin zurück an Vinja.

»Erinnerst du dich daran, dass ich dich gefragt habe, ob du immer noch kämpfen lernen willst?«

Vinja nickte langsam. Was hatte sie vor? Helgrin schüttelte den Kopf.

»Ich muss es wissen, Vinja, willst du das wirklich?«

Ohne zu zögern, nickte Vinja erneut, dann zwang sie sich, eine Antwort zu geben.

»Ja!«, presste sie hervor.

Ihr wurde heiß. Sie wollte Helgrin gerade fragen, warum sie hergekommen war, als Schritte auf der Treppe hörbar wurden. Dann kam ihre Mutter ins Sichtfeld, immer noch im Morgenrock.

»Belfonso!«, rief sie laut, während unter ihr die Stufen knarrten, »Ich bin die Zahlen von letzter Woche durchgegangen, wenn wir nicht ...«

Ihre Stimme erstarb, endete mitten im Satz und verwandelte sich dann in ein komisches Geräusch.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu