VI - Vinja (2/8)

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Entsetzt ließ Vinja ihr Schwert fallen. Sie hatte Helgrin getroffen, sie hatte Helgrin in den Hals geschnitten. Helgrin, die immer noch ihr Schwert festhielt, griff sich mit der linken Hand an den Hals. Es dauerte nicht lange, da quoll auch zwischen ihren Fingern das Blut hervor.

Helgrin hob die Hand hoch und betrachtete sie beinahe nachdenklich, dann presste sie sie erneut auf die Wunde.

»Was soll ich tun?«, stammelte Vinja voller Panik.

»Sei so gut und hol aus meiner Tasche ein Tuch«, sagte Helgrin und wirkte dabei viel weniger aufgeregt als Vinja. Vinja starrte sie an, verwundert und erleichtert zugleich. Helgrin lächelte und wedelte dann mit ihrem Schwert in Richtung der Tasche, die nicht weit von ihnen entfernt an einem Baum lehnte.

»Das Tuch, Vinja.«

Es war mehr ein Lappen als ein Tuch und Vinja war sich sicher, dass er eher dazu diente, ein Schwert zu reinigen, als eine Wunde abzudecken, aber etwas anderes gab es nicht. Indes tat auch der Lappen seinen Dienst und nachdem Helgrin ihn einige Zeit fest auf die Wunde am Hals gedrückt hatte, hörte die Blutung auf. Vinjas Herz raste immer noch und sie wagte kaum, Helgrin anzusehen, auch wenn diese ihr keinen Vorwurf machte.

»Das war sehr, sehr gut«, sagte sie nach einer Weile. »Viel besser, als ich erwartet hatte.«

Endlich wagte Vinja, Helgrin wieder anzuschauen.

»Ich wollte nicht ...«, begann sie, »Es tut mir ...«

Helgrin machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, nein«, sagte sie, »entschuldige dich nicht dafür. Du warst besser, als ich dachte und das ist mein Fehler, nicht deiner.«

Sie hob den Lappen an und betrachtete ihn. Vorsichtig fühlte sie über den Schnitt an ihrem Hals. »Blutet es noch?« Vinja schaute auf das trockene Blut. Es hatte sich bereits dunkel verfärbt und es kam kein frisches Blut mehr nach. Den Blick immer noch auf den Schnitt gerichtet, den sie Helgrin zugefügt hatte, fiel ihr mit einem Mal etwas ein. Sie sprang auf und begann das Gras nach dem Anhänger abzusuchen, der auf den Boden gefallen war. Als sie ihn fand und aufhob, glitt die durchtrennte Kette durch eine kleine Öse am oberen Ende des Schmuckstückes. Es war ein Hammer, klein und schlicht, aber dafür überraschend schwer und nicht aus Gold oder Silber, sondern aus Eisen. Vinja gab ihn zurück an Helgrin.

»Was ist das?«, fragte Vinja.

»Das ist eine Nachbildung Throngs, dem Hammer Skelvors.«

Vinja sah Helgrin verständnislos an. »Wer ist Skelvor?«, fragte sie.

»Skelvor ist der Gott des Eisens und der Schmiede«, antwortete Helgrin.

»Du glaubst an einen Gott?«, fragte Vinja überrascht. Gleichzeitig schämte sie sich für die Frage, die ihr einfach so über die Lippen gekommen war. Sie wusste, dass die Frage nach ihrem Glauben vielen Menschen peinlich war, zumal sie oft dafür belächelt wurden, dass sie an einen oder gleich mehrere Götter glaubten.

Helgrin schüttelte den Kopf und machte ein brummendes Geräusch.

»Ich nicht, aber mein Vater glaubte an ihn. Das hier ist mehr eine Erinnerung an ihn als an Skelvor.«

Sie ließ den Anhänger in einer Tasche verschwinden.

»Für heute machen wir wohl besser Schluss, in Ordnung?«, fragte sie.

Vinja nickte, sammelte die Schwerter ein und übergab sie Helgrin, die sie in den blutigen Lappen einwickelte und in ihrer großen Umhängetasche verstaute.

»In ein paar Tagen ist Frydag«, sagte sie zu Vinja gewandt, »wenn du willst, können wir länger üben, sofern deine Eltern dich lassen.«

Vinja nickte nachdenklich. Sicher, sie hatte sehr große Lust, den nächsten Frydag zum Üben zu nutzen, aber sie hatte es noch nicht überwunden, Helgrin verletzt zu haben. Helgrin schien ihre Gedanken zu erraten und schüttelte den Kopf.

»Mach dir wegen des kleinen Schnitts bloß keine Sorgen!« Sie grinste. »Noch einmal wird mir das sowieso nicht passieren. Ich unterschätze selten jemanden, aber nie ein zweites Mal!«

Trotz des mulmigen Gefühls im Bauch freute sich Vinja über das Lob, das in Helgrins Worten verborgen war.

»Also gut, dann Frydag«, sagte sie. Dann, mit einem Mal, wurde ihr klar, wie spät es schon war. »Ich muss los!«

Helgrin nickte.

»Bis Frydag!«

Vinja winkte zum Abschied. Sie lief den Weg, der aus dem Park zurück zum Platz der Sonne führte, entlang. Gerade wollte sie die Südstraße zurück nach Hause laufen, als jemand hinter ihr ihren Namen rief.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now