III - Elno (5/5)

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Der Palast bestand aus mehreren Gebäuden mit runden Kuppeldächern, die durch lange Gänge miteinander verbunden waren. An Girions Seite trat Elno durch ein Portal, dessen reich verzierte Flügeltüren weit offen standen.

Dahinter lag eine große Halle, an deren Wänden zahlreiche Steinbänke standen.

Sie folgten einer weiteren Treppe und gelangten an eine weitere Flügeltür, die ihnen von zwei prächtig gekleideten Wachen geöffnet wurde.

Dahinter befand sich eine runde Halle. In ihrer Mitte waren kreisförmig einige Sitzpolster verteilt, auf denen zwei Männer und zwei Frauen saßen. Zwischen ihnen waren einige Sitzkissen leer.

Elno machte ein paar unbeholfene Schritte in die Halle hinein und schaute in die Runde. Genau gegenüber von Elno saß ein Mann. Selbst im Sitzen war er groß. Er hatte ein kantiges Gesicht und langes braunes Haar.

Neben Elno machte Girion eine Verbeugung.

»Verehrte Clans«, sagte er laut, »das«, er machte eine Geste mit der Hand »ist Elno.«

Elno schaute nach links und rechts, dann machte auch er eine unbeholfene Verbeugung. Der Mann, der Elno gegenüber saß, erhob sich. Auch er verbeugte sich tief.

»Vielen Dank, Girion«, sagte er, »und einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Elno.« Seine Stimme war weich und freundlich. Trotz allem wünschte sich Elno weit, weit weg.

»Ich bin Estelion«, fuhr der Mann fort. »Ich freue mich, dich kennenzulernen.«

Estelion musterte Elno.

»Du bist sicher müde von der Reise und ich muss mich entschuldigen, dass wir dich noch hier zum Rat gerufen haben. Aber auch für uns ist es etwas Besonderes, wenn ein Außenstehender von einem Drachen als Reiter akzeptiert wird. Wir wollten dich gerne kennenlernen.«

Er machte eine Pause und schaute Elno erwartungsvoll an, doch Elno erwiderte nichts.

»Ich hatte ihn mir größer vorgestellt«, sagte eine Frau links von Estelion. Sie war groß und breit. Selbst durch ihre Kleidung sah Elno ihre Muskeln. Ihr schwarzes Haar trug sie zu zwei kurzen Zöpfen geflochten. Als Elno dem bohrenden Blick ihrer Augen begegnete, senkte er schnell den Blick. Ein Mann rechts neben Estelion stieß ein leises Lachen aus. Er saß zusammengekauert auf seinem Sitzkissen und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte noch sehr jung und hatte schwarzes, kurzes Haar und einen kurzen Bart.

»Also wirklich!«

Elno zuckte zusammen und sein Blick huschte zu der vierten Person im Raum. Es war eine ältere Frau mit grauem Haar und einem schlichten grauen Gewandt, dass Elnos Kleidung sehr ähnlich sah. Sie warf den beiden anderen einen zornigen Blick zu. Der Mann hörte sofort auf zu lachen und schien noch ein wenig weiter zusammenzusinken. Die Frau betrachtete Elno einen Moment, dann wandte sie sich zu Estelion.

»Ich denke, das reicht für heute. Wir haben ihn alle einmal gesehen. Der Junge ist völlig erschöpft und braucht Ruhe.«

»Ob Ihr auch so gnädig wärt, wenn der Junge die Kleidung meines Hauses tragen würde? Verspürt Ihr vielleicht bereits Sympathien für ihn, weil er aussieht, als wäre er einer von euch?«, fragte die andere Frau mit den schwarzen Haaren. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Frau mit den grauen Haaren schnaubte verächtlich, sagte aber nichts mehr. Stattdessen blickte sie erwartungsvoll zu Estelion hinüber.

Estelion zögerte einen Moment, dann nickte er.

»Gut. Wenn es keinen dringenden Gesprächsbedarf gibt, dann würde ich vorschlagen, wir entlassen Elno und besprechen dann das weitere Vorgehen.«

Er warf einen Blick in die Runde. Einen Moment sah es aus, als wollte die Frau neben ihm noch etwas sagen, doch sie schwieg.

Estelion wandte sich an Girion.

»Würdest du Elno in eines der Gästezimmer begleiten?«

Girion nickte. Er verbeugte sich kurz und legte Elno dann eine Hand auf die Schulter.

»Komm mit!«

Schweigend folgte ihm Elno. Girion führte ihn aus der Halle hinaus und einen langen schmalen Gang hinunter, der zu beiden Seiten viele Fenster hatte. Elno sah, dass hinter der Halle ein Garten lag. Sie waren noch nicht weit gelaufen, als ihnen ein alter Mann mit einem krummen Rücken und einer Glatze entgegenkam.

»Oh, Girion, welch freudige Überraschung Euch zu sehen. Wurdet Ihr doch endlich zu einem Mitglied des Rates benannt?«

Girion schüttelte den Kopf und lächelte. Er deutete auf Elno.

»Wärt Ihr so freundlich, Elno ein Gästezimmer zu geben?«

»Elno?«, fragte der Mann verwirrt. Erst jetzt schien er Elno zu bemerken. Verwundert sah er ihn an.

»Nun, wenn Ihr es wünscht, Girion, selbstverständlich!«

Girion wandte sich an Elno.

»Das hier ist Kammermeister Tymot. Er wird sich von hier an um dich kümmern. Wenn du etwas brauchst, dann lass es ihn wissen.« Er verbeugte sich vor Elno. »Wir sehen uns sicher bald wieder.« Dann drehte er sich zum Gehen.

»Auf Wiedersehen, Girion«, rief Tymot ihm hinterher, dann drehte er sich zu Elno.

»Elno, wie?«, fragte er, aber er schien keine Antwort zu erwarten. »Nun gut, nun gut.«

Er machte eine umständliche Geste.

»Hier entlang bitte.«

Tymot führte Elno ein weiteres Stück den Gang hinunter, bis er an einer Tür Halt machte.

»Wir sind da«, sagte er.

Hinter der Tür lag ein großes Zimmer, mit einem ebenso großen Bett. Neben dem Fenster stand ein kleiner Sessel. Der Boden war mit weichem Teppich ausgelegt. Zögernd machte Elno ein paar Schritte in das Zimmer.

»Wenn du noch etwas brauchst, dann zieh einfach an diesem Klingelzug, ich komme dann«, sagte Tymot und deutete auf eine aus goldenem Stoff geflochtene Kordel. »Möchtest du noch etwas zu essen?«

Ohne zu überlegen, nickte Elno.

»Gut, gut.«

Tymot verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Elno seufzte. Jetzt, wo er alleine war, spürte er, wie erschöpft er war. Die Geschehnisse der letzten Tage drangen mit einem Mal ungefiltert auf ihn ein und er musste sich setzen. Wieder seufzte er und auch wenn er es nicht wollte, so rollte eine Träne über sein Gesicht. Auf die erste folgte eine zweite und als Tymot zurückkam und ein Tablett mit frischem Obst und eine Kanne Wasser mitbrachte, rannen Elno die Tränen über das Gesicht.

Tymot stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch neben dem Bett. Dann setzte er sich neben Elno und legte ihm zögernd seinen dünnen Arm um die Schultern.

»Ist ja gut«, sagte er, »ist ja gut.«

Doch für Elno war nichts gut. Er war am anderen Ende der Welt gelandet, kannte niemanden und wusste nicht, wie es weitergehen würde. Er dachte an Bolg, Ana und Nela und fast wünschte er sich, er würde aufwachen und wieder auf dem staubigen Boden ihrer alten Hütte liegen.


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now