II - Jorian (2/3)

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Als Jorian eintrat, nickte der Maegro ihm zu.

»Das ist Jorian«, stellte Tevius ihn vor und seine Stimme war unruhig und höher als sonst, »und Jorian, das hier«, er deutete auf den Maegro, »ist Maegro Kallvas. Er ist hier im Auftrag unseres geliebten Königs.«

Der Maegro lächelte dünn.

Jorian musste schlucken. Unter dem durchdringenden Blick des Maegros beschlich ihn erneut das seltsame Gefühl von Müdigkeit und Schwäche.

»Maegro Kallvas sucht jemanden, der ein Buch für ihn kopieren kann«, begann Tevius in Jorians Rücken erneut zu sprechen, »und er sucht jemanden mit bestimmten Voraussetzungen.«

»Voraussetzungen?«, wollte Jorian fragen, aber seine Zunge war schwer und wollte seinem Willen nicht folgen. »Voraus ...?«, war alles, was er schaffte. Ihm fiel auf, dass er den Maegro gar nicht wirklich begrüßt hatte und neben die Müdigkeit und Schwäche trat die Angst, sich nicht angemessen zu verhalten.

»Sprichst du die alte Sprache?«, fragte ihn der Maegro. Seine Stimme war tief und leise und hatte etwas Bedrohliches an sich.

Jorian wollte sich räuspern, doch es misslang und er musste husten. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet, aber sie war leicht zu beantworten. Er konnte die alte Sprache nicht sprechen, aber ein wenig konnte er sie lesen. Stumm blickte er den Maegro an und ihm wurde klar, dass es für einen Hofzauberer des Königs sicher nicht reichen würde, es ein wenig zu können. Wenn er die Frage mit »Ja« beantworten würde, würde sein Gegenüber wohl davon ausgehen, dass er es besser konnte, als es bei ihm der Fall war.

»Nein«, sagte er heiser.

Der Maegro sah ihn durchdringend an und Jorian hatte mit einem Mal das Gefühl, ihn angelogen zu haben.

»Kannst du sie lesen?«

»Nein«, antwortete Jorian. Das stimmte zwar nicht ganz, aber Jorian wagte es nicht, die Wahrheit zu sagen. Seine Stimme war noch leiser geworden und nun kaum mehr als ein Flüstern.

Der Maegro nickte.

»Zeigt mir eine seiner Arbeiten«, sagte er zu Tevius gewandt.

Tevius nickte und machte sich daran, ein dünnes Büchlein aus dem Regal zu ziehen. Jorian erkannte es sofort. Es war die Kopie einer Sammlung von lustigen Texten, zusammengetragen von zwei Schwestern, Joka und Wema. Die beiden hatten eine Forschungsreise quer durch das ganze Land unternommen und dabei die Texte zusammengetragen, eigentlich um Jokas Kinder zu belustigen, die zu Hause auf sie warteten. Es war eine seiner früheren Arbeiten, die Jorian für Tevius einmal erledigt hatte und sie war ein gutes Beispiel seines Könnens.

Maegro Kallvas blätterte durch das Büchlein. Hin und wieder hielt er inne, um einige Textpassagen zu lesen. Für einen Moment hatte Jorian den Eindruck, ein wehmütiges Zucken auf dem Gesicht des Maegros zu erkennen, das jedoch sofort verschwand.

»Sehr gut«, sagte der Maegro, als er fertig war. Er stand auf und reichte das Buch zurück an Tevius.

»Ihr besprecht alles Weitere mit dem Jungen?«

Tevius nickte unterwürfig.

»Natürlich, natürlich.«

»Gut.«

»Beotrum wird Euch hinausbegleiten.«

Ein beinahe gequälter Ausdruck fiel in Beotrums Augen. Er nickte und löste sich aus seiner Position vor dem Bücherregal. Der Maegro wartete, bis Beotrum vor ihm das Zimmer verlassen hatte, zog sich dann seine Kapuze wieder über und folgte ihm hinaus. Tevius wartete noch einen höflichen Moment, dann schloss er die Tür beinahe ruckartig und stieß einen Seufzer aus. Jorian konnte ihm nachfühlen.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now