V - Vinja (3/4)

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Zu Hause angekommen, wartete eine unangenehme Überraschung auf sie. Rigund war bereits aufgestanden und stand im Eingang der Wäscherei, als Vinja in ihre Straße einbog.

»Wo warst du schon wieder?«, fragte sie unwirsch, »habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich so früh nicht herumtreiben?«

Vinja senkte schuldbewusst den Blick und gab sich Mühe, ihre Hände hinter dem Rücken zu verbergen. Im gleichen Moment erkannte sie, dass dies ein Fehler gewesen war.

»Was hast du da?«, wollte Rigund wissen und machte einen Schritt auf Vinja zu, die Hände ausgestreckt, um nach ihr zu greifen.

»Nichts«, sagte Vinja und verdammte sich für den schuldbewussten Klang in ihrer Stimme. Sie hielt die Hände weiter auf dem Rücken und schob sie erst nach vorne, als sie sich mit einer gedrehten Bewegung an Rigund vorbeizwängen wollte. Der Versuch misslang. Rigund packte sie grob und zog ihre Arme nach vorn, um ihre Hände zu betrachten. Vinja verkrampfte sich und zog die Arme an sich, aber sie wagte es nicht, sich ernsthaft gegen Rigund zur Wehr zu setzen. Rigund hatte die Handgelenke gepackt und drehte die Hände nun argwöhnisch von oben nach unten. Als sie Vinjas wunde Knöchel sah, stutzte sie. Einen Moment betrachtete sie die Hände mit zusammengekniffenen Augen, dann zog sie die rechte näher an ihre Augen heran.

»Wovon ist das?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Vinja mit hoher Stimme, von der sie ahnte, dass diese sie der Lüge überführen würde.

»Ach was«, sagte Rigund. Noch einmal drehte sie Vinjas Hände herum. Es tat weh, aber Vinja unterdrückte den Impuls, sie zurückzuziehen. Stattdessen machte sie einen Schritt von Rigund weg und wandte den Blick ab. Rigund schaute sie an und ließ Vinjas Handgelenke los. Ihre Stimme war ein leises, bedrohliches Zischen, als sie sprach.

»Ich sage dir jetzt mal was. Wenn du heimlich woanders arbeitest, dann kannst du was erleben, das verspreche ich dir.«

Vinja nickte. Sie hatte den Eindruck irgendetwas sagen zu müssen, aber ihr fiel keine Ausrede ein. Stattdessen antwortete sie einfach auf Rigunds Vorwurf.

»Ich arbeite nirgendwo anders.«

»Das will ich dir auch raten! Und wo warst du dann? Triffst du dich heimlich mit einem Jungen?«

Vinja schüttelte den Kopf. Rigund schnaubte verächtlich.

»Was auch immer du machst, lass es! Ich habe es dir schon einmal gesagt und werde es nicht noch einmal wiederholen: Wenn du früher aufstehst, dann mach dich hier nützlich, da!«

Sie zeigte in den Verkaufsraum der Wäscherei. »Räum auf, mach sauber! Bereite den Tag vor! Was glaubst du, was ich mache, wenn ich morgens aufstehe?«

Vinja blickte zu Boden und sagte nichts. Scharf ausatmend trat Rigund in die Wäscherei und bedeutete Vinja ihr zu folgen. Im Hinterzimmer zeigte sie auf einen Stapel aus Eimern, Töpfen und anderen Gefäßen aus Glas.

»Mach sie sauber!«, wies Rigund sie an und ging wieder hinüber Richtung Verkaufsraum. Als Vinja einen Moment reglos im Raum stand, blickte sie noch einmal zurück.

»Na los, worauf wartest du noch? Von alleine passiert da nichts!«, sagte sie giftig, dann ließ sie Vinja alleine.

Vinja ging zu der großen Pumpe, die sich im hinteren Teil des Raumes befand. Noch immer fand sie es sehr eigentümlich, eine eigene Wasserpumpe im Haus zu haben. Sie war leicht zu bedienen und aus altem, dunklen Metall gefertigt. Es dauerte zwar eine Weile, bis man die Wanne, die darunter stand, mit Wasser gefüllt hatte, aber es war viel bequemer, als alles Wasser vom nächsten Brunnen oder einem Fluss herüberzuschleppen. Noch eigentümlicher als den Brunnen allerdings fand Vinja den Schacht, in den sie verbrauchtes Wasser hineinschütteten. Er befand sich in einer anderen Ecke des Zimmers und war mit einer schweren Holzplatte abgedeckt. Nahm man sie ab, so wurde der Blick frei auf einen glitschigen, feuchten Schacht, der senkrecht nach unten führte und aus dessen Tiefen Gestank aufstieg und ein schweres Gluckern zu hören war. Der Schacht war Vinja unheimlich. Zwar hatte Belfonso ihr erklärt, dass er in einen unterirdischen Fluss führte, der erst weit außerhalb von Ijaria wieder an die Oberfläche kam, aber trotz allem verstand sie es nicht. In der ersten Nacht, nachdem sie den Schacht das erste Mal gesehen hatte, hatte sie davon geträumt, er würde sich öffnen und schleimige Tentakel würden sich herauswinden und sie hatte die ganze Nacht nicht mehr schlafen können.

Auch heute, als sie nach dem Reinigen der Wäschereiutensilien begann, das verbrauchte Wasser den Schacht hinunterzukippen, fragte sie sich, ob es wohl irgendetwas gab, was in den Tiefen unter Ijarias lebte und gluckernd durch den unterirdischen Fluss schwamm und tauchte. Ihr schauderte und sie war froh, als sie nach einer Weile die schwere Holzplatte wieder über den Schacht schieben konnte. Als sie das erste Mal die Platte hatte herunterheben wollen, hatte ihr Rigund helfen müssen, aber mittlerweile schaffte sie es alleine.

Sie wischte sich die Arme und Hände mit einem Tuch trocken und wollte gerade die Tür in den Vorraum öffnen, als sie auf der anderen Seite ein aufgeregtes Stimmengewirr hörte. Was ging dort vor sich? Sie wartete einen Augenblick, bis das Hin und Her sich etwas beruhigt hatte, dann öffnete sie vorsichtig die Tür.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum