II - Elno (2/5)

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»Höida!«

Elno zuckte zusammen, duckte sich, machte einen Schritt nach vorn und drehte sich um.

Vor ihm stand eine Gruppe aus Kindern, manche kleiner, manche größer als er. Ein paar von den größeren hielten ein kleineres Kind an den Händen.

Ein Junge aus der Gruppe war vorgetreten. Er trug ein helles Hemd aus Leinen und eine Lederhose. Seine rechte Hand lag auf einem Stock. Auf dem Rücken trug er eine Tasche, die von einem Seil über der Brust gehalten wurde. Er war kleiner als Elno, aber dafür deutlich breiter und kräftiger gebaut. Er grinste.

»Haben wir dich erschreckt?«, fragte er.

Elnos Atem beschleunigte sich und er machte einen weiteren Schritt rückwärts. Außer Nela kannte er kaum andere Kinder und die meisten Begegnungen mit ihnen waren sehr unschön gewesen. Nervös fixierte er den Jungen vor sich. Dieser machte nun seinerseits einen Schritt zurück und das Grinsen auf seinem Gesicht verblasste. Elno fürchtete, der andere würde sich auf ihn stürzen und ihn mit dem Stock schlagen. Gehetzt warf er einen Blick von Wegesrand zu Wegesrand. Einen Stein, dachte er, einen Stock! Doch er sah nichts, was er hätte nehmen können, um sich gegen den anderen Jungen zu verteidigen.

»Immer mit der Ruhe«, sagte dieser plötzlich und hob beschwichtigend die Hände. »Ich will mich nicht schlagen. Tut mir leid, wenn wir dich erschreckt haben.« Er blickte Elno erwartungsvoll an, doch Elno wusste nicht, was er erwidern sollte. Mit einem Mal wirkte die Situation nicht mehr bedrohlich. Trotz allem kam er sich seltsam vor und am liebsten wäre er weggelaufen.

Der fremde Junge und die Kinder hinter ihm beobachteten Elno. Gerade als der Impuls, einfach loszulaufen, so stark wurde, dass Elno ihm nachgeben wollte, begann der Junge wieder zu sprechen.

»Also, ich bin Keff«, sagte er und deutete mit der freien Hand auf sich.

»Und das hier«, er machte eine Pause und eine weit ausholende Geste mit seinem Stock, »sind mein Bruder Hein und sein Freund Jingo, das ist meine große Schwester Gaer, meine kleine Schwester Jula und ...«

Elno hörte nicht genau hin. Was passierte hier? Er war fest davon ausgegangen, dass es zum Kampf kommen würde, dass ihn die anderen Kinder überwältigen und ihm weh tun würden. Andere Kinder hatten es bereits getan, hatten mit Steinen nach ihm geworfen, hatten ihn verfolgt, ihn in den Bach gestoßen und Lieder über ihn gesungen. Doch nichts von dem passierte. Nervös trat er von einem Bein auf das andere. Dann schien der Junge vor ihm mit der Vorstellung der Kinder fertig zu sein und wandte sich wieder Elno zu.

»Und wer bist du?«, fragt er.

»Elno!«, platzte es aus ihm heraus. Seine Stimme war laut, viel lauter, als er es beabsichtigt hatte, und in seinen Ohren klang sie wie das Krächzen eines Vogels.

»Elno«, wiederholte der Junge vor ihm mit gesenktem Blick, als dächte er über etwas nach. »Noch nie von dir gehört.« Nachdem sein Blick wieder einen Moment zu Boden gerichtet war, schaute er auf.

»Bist du von Galwigs Hof? Da kenne ich kaum jemanden.«

»Ja!«, stieß Elno hervor, auch wenn es gelogen war. Er kannte keinen Galwig, aber trotzdem schien es ihm eine bessere Antwort zu sein, als zu sagen, wo er tatsächlich herkam.

Keff schien mit der Antwort zufrieden zu sein, denn ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Na schau mal einer an, dann ist ja gut!«, sagte er. »Für einen Moment dachte ich, du würdest gleich auf mich losgehen. Bist du auch auf dem Weg in die Stadt?«

Ehe Elno wusste, was er tat, hatte er auch schon geantwortet.

»Ja!«, sagte er.

Keff nickte zufrieden.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now