IV - Vinja (2/6)

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Im Innern war es angenehm kühl und dunkel. Schwere Vorhänge waren vor die Fenster gezogen. Auf dem Boden lagen schwere Teppiche aus rotem und gelbem Faden zu komplizierten Mustern gewebt. An den Wänden sah Vinja Gemälde, die meist das Porträt einer Frau oder eines Mannes zeigten, mal in Rüstung, mal in aufwendigen Gewändern.

Der Diener führte Vinja in ein großes Zimmer. Hier standen mehrere große Sessel, auf welche zahlreiche Samtkissen verteilt waren. Es gab sogar ein paar gepolsterte Liegen. Der Diener deutete auf einen Sessel, der, wie Vinja bemerkte, der schlichteste von allen war. Sie setzte sich und wartete.

Nach einer Weile betrat ein Junge den Raum. Vinja schätzte ihn auf ihr Alter. Er war groß, hatte kurzes, helles Haar und ein schmales Gesicht. Im Kontrast zu den Temperaturen draußen trug er einen eng anliegenden dunklen Anzug.

»Siero Swyn Morgell!«, sagte der Diener laut.

Ohne Vinja zu grüßen oder anzuschauen, setzte sich der Junge in einen der Sessel. Beiläufig wedelte er mit der Hand und der Diener trat neben den Sessel.

»Ja, Siero?«, fragte er.

»Hast du das Kleid?«

Der Diener hob das Paket hoch.

»Ja, Siero.«

Der Junge betrachtete das Bündel.

»Und?«, fragte er.

Der Diener, der offensichtlich nichts mit der Frage anzufangen wusste, starrte einen Moment auf das Paket in seinen Händen, dann hob er es hoch zu seiner Nase und roch daran. Kurz darauf fiel ein überraschter Ausdruck auf sein Gesicht.

»Es riecht ...es riecht nach Rosen, Siero, und ...« wieder hob er das Paket an die Nase, »und noch etwas anderem, aber was es ist, weiß ich nicht. Es riecht gut, Siero«, sagte er abschließend.

»Wie schön«, sagte der Junge gedehnt, »Pack es aus.«

Vinja musterte Swyn. Er hatte sich im Sessel breit gemacht und ließ ein Bein über die Lehne baumeln. Der spontan schlechte Eindruck den Vinja von Swyn hatte, verstärkte sich noch, wegen seiner Art zu sprechen und seiner Art, den Diener zu behandeln. Swyn hatte sie bisher keines Blickes gewürdigt und Vinja konnte sich denken, dass das Absicht war.

Der Diener, der das Kleid ausgepackt hatte, hielt es hoch und drehte es in der Luft hin und her.

»Wie neu!«, fasste er seine Bobachtungen zusammen.

Auch Swyn musterte das Kleid, stand auf und ging mit dem Gesicht ganz dicht daran.

»In der Tat«, sagte er in gespielt feierlichem Ton und mit ausgebreiteten Armen, »die Flecken des Ungeschicks meiner Mutter sind fort!«

Er drehte sich zu Vinja und zum ersten Mal schaute er ihr direkt in die Augen. Vinja wich seinem Blick aus. Er hatte etwas an sich, das sie nicht gut fassen konnte, etwas ... Unverschämtes.

»Hast du die Flecken gesehen?«, fragte Swyn.

Vinja warf einen Blick zu dem Diener und suchte nach einem Zeichen in dessen Gesicht, was sie auf die Frage antworten sollte. Doch der Diener starrte nur ausdruckslos nach vorne und schien das Gespräch an sich vorbeiziehen zu lassen. Sie wandte sich wieder zu Swyn. Swyn grinste zufrieden. Ihr Blick schien ihm Antwort genug gewesen.

»Weißt du, was es für Flecken waren?«

Vinja senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Sie hatte die Flecken gesehen, doch sie hatte sich nicht weiter damit beschäftigen wollen. Auch jetzt wollte sie es nicht, erst recht jetzt nicht. Doch schon im Laden hatte sie eine Ahnung gehabt, was die dunklen Flecken auf dem sonst makellosen Kleid hinterlassen hatte.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now