II - Jorian (1/3)

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Die Luft war staubig. Im Scrivorium wurde nicht oft sauber gemacht, aber wenn es dazu kam, hatte Jorian den Eindruck, dass es mehr schadete, als nutzte. Sicher, der gröbere Teil des Drecks und Staubs, der sich auf dem Boden und den Regalen sammelte, wurde hinausbefördert. Trotzdem würde es den ganzen Tag dauern, bis sich der feine Staub, der jetzt durch den Arbeitsraum tanzte, wieder gesenkt hatte. Bis es soweit war, würde er auf die frische Tinte nieder rieseln und beim Atmen in Mund und Nase eindringen. Jorian hatte sich schon öfters gefragt, wieso Tevius nicht daran dachte, das Scrivorium vor einem der Tage reinigen zu lassen, an dem nicht gearbeitet wurde. Er musste niesen, rieb sich die Augen und versuchte sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren.

Er war froh, dass er die Arbeit an den Werbeschriften abgeschlossen hatte. Wie es der Zufall wollte, hatte er sie sogar persönlich übergeben. Ein Mädchen war da gewesen, um sie abzuholen.

Jorian war mit den Gedanken die ganze Zeit zu Hause gewesen, denn Helma ging es noch schlechter als zuvor. Er hoffte, in den nächsten Tagen genug Geld zu verdienen, dass er danach ein paar Tage zu Hause bleiben konnte.

Seine Hoffnung ging auf, zumindest bis jetzt, denn nachdem er im öffentlichen Teil des Scrivoriums gearbeitet hatte, gab Tevius ihm einen weiteren Auftrag. Er sollte den Brief einer gewissen Alota Finegan abschreiben. Sie hatte ihn mit schneller und ungeschickter Hand geschrieben. Für jemand Ungeübtes wäre er kaum zu lesen gewesen. Jetzt war es an Jorian, ihn in eine ansehnliche Form zu bringen. Normalerweise eine leichte Aufgabe, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Seine Nase war trocken und seine Augen juckten. Außerdem schien es ohnehin nur um Belanglosigkeiten zu gehen. Ein Bericht an Verwandte auf dem Land, was es Neues in der Stadt gab, welche Beziehungen sich auftaten und die übliche Einladung, in welcher die Verfasserin sich nichts mehr wünschte, als dass ihre Verwandtschaft sie doch endlich mal besuchen kommen möge. Alles in allem war der Inhalt fast schon übertrieben langweilig.

Das war nicht unüblich. Wenn es um speziellere Inhalte ging, dann gaben sich die Verfasser meistens selbst genug Mühe, den Brief zu schreiben, um keine Informationen an einen Unbekannten weiterzugeben. Oder aber sie beauftragten einen Schreiber ihres Vertrauens. Bei diesem Brief hatte die Verfasserin offensichtlich kein Interesse gehabt, ihn überhaupt zu schreiben. Es irritierte Jorian immer wieder, dass jemand einen Brief schrieb, der den Eindruck vermittelte, man würde den Empfänger mögen und vermissen, während man eigentlich gar keine Lust hatte, den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Mädchen, das die Werbezettel abgeholt hatte. Es war ihr offensichtlich peinlich gewesen, die Zettel abzuholen. Sie hatte die Kosten für die Arbeiten nicht ganz bezahlen können und Jorian hatte aus eigener Tasche den fehlenden Teil dazugegeben. Warum um alles in der Welt hatte er das getan? Seine Mutter hätte an seinem Verstand gezweifelt, wenn sie es erfahren hätte. Und nicht nur das, er hatte sich sogar die Mühe gemacht, einige selbst gemachte Gutscheine vom Vater des Mädchens neu zu machen. Irgendetwas an ihr hatte Jorian angerührt, auch wenn er nicht genau sagen konnte, was es war. Ohne sie zu kennen, hatte sie ihm leidgetan, wie sie in ihrer viel zu warmen Kleidung und mit dem lächerlichen Gutschein ihres Vaters vor ihm gestanden hatte.

Er seufzte und musste erneut niesen. Als er zusammenzuckte, machte seine Hand einen Ruck nach vorne und seine Feder hinterließ einen dicken Klecks auf dem bisher kopierten Teil des Briefes. Rasch breitete sich der Fleck aus und zerstörte die bisher geleistete Arbeit. Einen Moment saß er da, betrachtete das Papier, legte es dann zur Seite und nahm einen neuen Bogen zur Hand. Alvik würde es ihm von seiner Bezahlung abziehen. Ärger stieg in ihm auf und er atmete einige Male ein und aus, um sich zu beruhigen.

Jorian wusste, dass er nur eine Möglichkeit hatte, aus dem Kreislauf von Fehlern, verlorener Zeit, Ärger und erneuten Fehlern, herauszukommen. Er musste langsamer arbeiten, sich stärker auf seine Arbeit konzentrieren, statt Satz für Satz und Wort für Wort, Buchstaben für Buchstaben zu kopieren.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWhere stories live. Discover now