IV - Jorian (4/4)

1 0 0
                                    

Der Maegro neigte den kahlen Kopf zum Gruß und sah sich um. Als sich sein Blick mit Jorians kreuzte, erstarrte Jorian für einen Moment. Der Maegro hatte einen finsteren und durchdringenden Blick und Jorian wäre am Liebsten hinter dem Sessel in Deckung gegangen.

Er weiß es, schoss es ihm durch den Kopf, er weiß alles.

Doch der Maegro trat ins Zimmer, ohne dass er einen Hinweis darauf gab, irgendetwas zu ahnen. Hinter ihm kam Beotrum herein und Tevius gab ihm einen Wink, sich neben die Tür zu stellen.

»Wollt Ihr vielleicht etwas trinken?«, fragte Tevius den Maegro. Seine Stimme war trocken und klanglos.

Der Maegro nickte.

»Aber gerne«, sagte er ruhig. Er lächelte dünn. »Wenn Ihr etwas da habt?«

Tevius nickte und trat an den Schrank hinter seinem Schreibtisch. Während er langsam und umständlich Gläser und eine Flasche Wein herausholte, trat der Maegro zu Jorian. »Du bist mit deiner Arbeit fertig geworden?«, fragte er, den rechten Mundwinkel nach oben gezogen.

Jorian nickte unsicher. Sein Kopf kam ihm schwerer vor als sonst. Matt deutete er auf die Bündel, die er auf den Tisch gepackt hatte. Maegro Kallvas trat an Jorian vorbei.

Als Erstes packte er das Buch aus, betrachtete es einen Moment, wickelte es dann wieder ein und legte es zurück auf den Tisch.

»Hat es dir gefallen?«, fragte er.

Fast hätte Jorian mit »Nein«, geantwortet, bis er merkte, dass er sich damit verraten würde. Stattdessen zuckte er mit den Schultern. Der Maegro musterte ihn einen Moment mit funkelnden Augen, doch schien es ihm fürs Erste Antwort genug zu sein. Dann nahm er sich Jorians Kopie vor und begann, sie zu begutachten.

Tevius trat mit einem Glas Wein an den Tisch, aber Kallvas bedeutete ihm nur mit einer kleinen Handbewegung, das Glas auf den Tisch zu stellen. Er selbst blätterte durch die Seiten und hielt hin und wieder inne, um etwas genauer zu inspizieren.

Jorian wurde heiß und kalt. Beim Blick über die Schultern des Maegros konnte er sehen, wo er schlampig gearbeitet hatte. Er wünschte sich, noch einmal Zeit zu haben, seine Arbeit auszubessern, noch einmal einige Korrekturen vorzunehmen oder Seiten neu zu schreiben, vielleicht alles noch einmal neu zu schreiben, besser zu machen. Er wartete auf das vernichtende Urteil des Maegros, doch es blieb aus. Nachdem er Jorians Seiten von vorne bis hinten durchgegangen war, nickte er.

»Die Arbeit ist ...«, er machte eine Pause, »in Ordnung«, beendete er mit seinem dünnen Lächeln. Er sah Jorian an. »Ich hatte es besser erwartet, aber das wäre wohl zu viel verlangt, von jemandem, der den Text nicht versteht.«

Hatte Jorian es sich nur eingebildet oder hatte er die letzten Worte besonders betont? Der Maegro fixierte ihn mit kalten Augen, lächelte ihn aber weiter an. Jorian wurde klar, dass er eine Antwort erwartete, irgendeine Reaktion.

»Vielen Dank«, sagte er schnell und verbeugte sich müde.

Der Maegro nickte.

»Ich werde dich angemessen entlohnen lassen. Und ich habe einen weiteren Auftrag für dich.«

Jorian erstarrte. Einen weiteren Auftrag? Daran hatte er nun wirklich kein Interesse. Er hatte sich vorgestellt, nach getaner Arbeit erst einmal nichts zu tun, nur ein paar kleinere Aufträge zu übernehmen. Mit Sicherheit hatte er nicht daran gedacht, einen weiteren Auftrag für Maegro Kallvas zu übernehmen.

»Ich ...« setzte er mit trockenem Mund an, verstummte dann wieder, als der Maegro mit einer Geste auf die Sessel der Sitzgruppe wies.

»Wollen wir uns nicht setzen?«

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz