Kapitel 28

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Wie als hätte ich einen Geist reden gehört, gleiten meine Augen nach oben zu ihren, die mich schon voller Liebe und Zuneigung anstarren. Einer ihrer Mundwinkel zuckt leicht nach oben. Ihre Stimme ist so sanft, lieb und fürsorglich, so dass es mir wie im Traum vorkommt, weil ich sie auch das erste mal reden gehört habe, geschweige denn bewegen gesehen habe. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob ich mir das alles nur eingebildet habe und einfach in diesem Haus den Verstand verliere und schon halluziniere, doch ihre Bewegung auf meinen Haaren beweisen mir das Gegenteil. Sie ist so nett zu mir und hat sogar mit mir geredet. Sie wusste genau wer ich bin, sie hat alles immer mitbekommen doch keine Mimik verzogen. Außer jetzt. Jetzt lächelt sie mich sogar an, zeigt keinerlei Hass mir gegenüber und tröstet mich indirekt.

Sie hasst mich nicht...

Immer wieder rufe ich das in mir vor, denn sein Sohn zeigt genau das Gegenteil. Er verachtet mich, so wie eigentlich auch seine Tante indirekt. Aber seine Mutter, der alles hautnah zugestoßen ist, stößt mich nicht von sich weg und sieht mich nicht als Feind.
Ich möchte, dass sie wieder mit mir redet, auch wenn es schwer ist aber vielleicht öffnet sie sich jetzt. Vielleicht ist heute der richtige Moment, auf dem sie gewartet hat.

Bevor ich aber etwas erwidern kann, kommt mir eine Stimme zu vor. "Anne..?"

Mein Kopf dreht sich nach hinten und ich sehe einen fassungslosen Umut, der am Türrahmen steht und das Szenarium vor sich ansieht. Eigentlich ist das der Moment, wo er ausrasten müsste, doch er steht wie versteinert da und sieht seine Mutter an. Er hat es mitbekommen, er hat mitbekommen wie sie geredet hat. Wer weiß, wann sie das letzte mal überhaupt was gesagt hat, wie lange es schon her ist.. Denn Umut's Reaktion zeigt mir, dass es eine Ewigkeit schon sein muss.

"Anne du hast geredet" redet er dann weiter und scheint aus seiner Trance erwacht zu sein, denn mit großen Schritten kommt er auf uns zu und hockt sich neben mich, vor seine Mutter, hin. Dabei ignoriert er mich oder nimmt mich in den Moment gar nicht wahr. "Komm sag noch etwas, sag meinen Namen" er nimmt ihre Hände, die meine Haare schon längst verlassen haben und wieder auf ihren Schoß ruhen, in seine Hände und drückt leicht zu. "Lass mich deine Stimme noch mal hören"

Meine Augen kleben an Umut und können nicht weg schauen. Dieses Bild, dass sich grad vor mir gebildet hat, zerstört mich. Denn ich sehe einen kleinen verzweifelten Sohn, der seine Mutter anbettelt mit ihm zu reden, nur um ihre Stimme zu hören. Ich sehe, wie sehr er sich danach sehnt seine Mutter zurück zu haben, die nicht in einer völlig anderen Welt ist. Und diese Sehnsucht habe ich noch nie bei ihm gesehen. Ich fühle mich schuldig, denn nicht ich sollte die erste sein, die sie reden hört. Es sollte ihr Sohn sein.

Instinktiv hoffe ich, dass sie zu ihren Sohn spricht, doch all die Mimik, die ich vorher gesehen habe, ist weg. Als wäre sie vom Wind weg geweht worden.

"Anne ich bin hier. Ich bin's dein Sohn Umut" er betont dabei sein Namen, aber wieder nichts.

Sie schaut direkt über seine Schulter und hat macht nicht den Anschein reden zu wollen. Jetzt wird mich Umut mehr dafür hassen, dass ich es geschafft habe seine Mutter reden zu bekommen, auch wenn es nur mein Name war, und er nicht. Ich denke aber, dass Umut es sogar ausreichen würde, wenn sie seinen Namen sagen würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihn das ausreicht glücklich zu werden. Leider Gottes verstehe ich ihn auch, auch wenn ich schadenfroh sein sollte, weil er es verdient hat.

Eigentlich.

Ich kann es nicht, denn ich will nicht, dass er das verdient. Ich hätte ihn jetzt lächeln sehen wollen, vielleicht hätte ich ihn auch vor Freude in die Luft springen gesehen. Ein Augenblick, denn ich zu gerne festgehalten hätte.

RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt