Kapitel 17

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Er geht mit langsamen Schritten auf seine Mutter zu und kniet sich vor sie hin, während meine Augen das Szenarium fassungslos beobachten. Er hatte immer behauptet, dass beide seiner Eltern gestorben sind, doch nun sitzt seine Mutter in einem Rollstuhl vor meinen Augen. Ich traue mich nicht zu bewegen und ich bin ehrlich gesagt überwältigt. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht, dass er mich zu seiner Mutter bringt.

Was war noch alles gelogen?.

Mir brennt auch zu sehr auf der Zunge, was mit seiner Mutter passiert ist, dass sie trotz so eines Alters auf einem Rollstuhl sitzt. Sie gibt nicht mal eine Reaktion von sich, als Umut ihre Hände in seine großen Hände nimmt und sie leicht drückt. Mit seinem Daumen streicht er über ihren Handrücken und schaut sie mit so einem liebevollen Blick an. Diesen Blick habe ich zuvor noch nie bei ihm gesehen. Der Blick seiner Mutter ist immer noch mit einem leeren Ausdruck auf das Fenster gerichtet. Es ist so, als wäre sie hier gar nicht anwesend. Als wäre sie in einer völlig anderen Welt, weit weg von dieser.

"Du bist doch nicht sauer, weil ich die letzten Tage nicht so oft bei dir war oder?" redet er zu ihr und hinterlässt einen sanften Kuss auf ihren Händen. "Ich hatte viel zu tun, aber jetzt bin ich öfters hier"

Dieser Anblick lässt mein Herz dahinschmelzen, weil ich Umut nie so liebevoll gesehen habe. Nie habe ich diesen sanften Unterton aus seiner Stimme raushören können. Vor seiner Mutter ist er ganz anders. Ich habe schon vorher gemerkt, dass sich hinter seinem harten Geschichtsausdruck viele anderen Fasseden verbergen.

Sein Blick fällt auf die Kommode, wo ein Tablett voller essen abgesetzt wurde. Leicht verärgert zieht er seine Augenbrauen zusammen. "Du hast wieder nicht dein Essen gegessen?" er seufzt leise auf und steht auf, um das Tablett in seine Hand zu nehmen und sich mit einem Hocker vor ihr hinzusetzen.

Mir schenkt er keinerlei Beachtung. Ich komme mir überflüssig in diesem Zimmer vor, doch ich kann nicht anders, als die beiden zu beobachten. Ich frage mich zu sehr, warum seine Mutter kein Ton aus sich bringt und diesen ständigen leeren und schmerzerfüllten Blick hat. Sie schaut nicht mal ihren Sohn an und gibt kein Lebenszeichen von sich. Umut hat behauptet, dass sein Vater vor den Augen der Mutter umgebracht wurde, als sie noch mit ihm schwanger war.. Ist das die Ursache für ihren Zustand? Sagt Umut doch die Wahrheit?.

Umut füllt den Löffel in seiner Hand voll mit der Suppe und führt sie zu den Lippen von seiner Mutter, doch diese öffnet nicht ihren Mund. "Komm schon für mich?" seine Augen glänzen sie hoffnungsvoll an und ihre Augen weichen endlich in seine Richtung und ganz leicht öffnet sie ihren Mund einen Spalt, weshalb Umut zufrieden lächelt.

Er füttert sie und ich lasse die beiden nicht mal eine Sekunde aus den Augen. Dieses Ebenbild lässt mein Herz ein Tick schneller schlagen und ich weiß nicht mal warum. Es sollte eigentlich keinerlei Gefühle in mir erwecken, aber wer würde nicht bei so einem Blick dahin schmelzen?. Wer würde sich nicht fragen, was sich hinter der Geschichte seiner Mutter versteckt?. Hat meine Mutter oder mein Vater wirklich ihre Finger da im Spiel?. Aber wieso kann ich dem keinen glauben schenken?. Es kommt mir absurd und unrealistisch vor. Ich habe meinen Vater immer als meinen Helden gesehen, doch das was ich die letzten Minuten zu hören bekommen habe, lässt mich erschüttern.

Nachdem sie zu Ende gegessen hat, stellt Umut das Tablett wieder zur Seite und erhebt sich dann. "Ich komme nachher wieder" flüstert er ihr zu und küsst sie auf die Stirn.

Ohne es zu merken, schleicht mir ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Als dann aber Umut's Augen auf mich fallen, verblasst sofort mein Lächeln und ich schaue hektisch weg. Ich habe kein Recht zu Lächeln, nicht nach alldem. Auch wenn das alles stimmen sollte, was ich stark bezweifle, hat Umut immer noch kein Recht dazu, mir so viel leid zuzufügen. Hass mit Hass zu bekämpfen führt zu nichts. Es macht den Menschen nur genauso schlimm.

RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt