SECHS - ER

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Inzwischen geht's mir wieder etwas besser.

Der Arzt meint, bei solchen Untersuchungen seien Angstattacken völlig normal.

So ein Quatsch!

Nun sitze ich hier auf einer Parkbank hinter dem Krankenhaus und warte ab, bis irgendetwas passiert. Mittlerweile bin ich schon 5 Stunden hier, 4 davon war ich abwesend und die letzte habe ich mir wortwörtlich die Seele aus dem Leib gekotzt.

Überall ist dieser ekelerregende Geruch nach

Desinfektionsmittel oder sonstigem Scheiss.

Diesen grauenvollen Gestank habe ich einfach nicht mehr ausgehalten.

Ich lege den Kopf in den Nacken.

Über der Baumkrone schweben Vögel. Lautlos ziehen sie ihre Kreise, die kleinen Flügel so weit als möglich ausgebreitet.

Ich wünschte, ich könnte fliegen und für eine Weile alles hinter mir lassen. Diese Ungewissheit ist es, die mir Angst macht. Die Fragen zu meinen Schmerzen, die keiner beantworten kann....

Ich zucke zusammen. Für den Bruchteil einer Sekunde verkrampft jeder Muskel in mir. Meine Beine werden zittrig. Plötzlich schiesst mir ein Gedanke in den Kopf.

Und was wäre, wenn ich nicht mehr Fussball spielen kann? Was, wenn ich meinen Traum als Profi für immer und ewig begraben muss?

Ich erwarte, dass alles das Schlimme passiert, was ich mir nur vorstellen kann. Zwangsläufig treten alle möglichen schlimmen Szenarien vor meinem geistigen Auge auf.

Jemand tippt mir auf die Schulter und sagt

irgendwas, das ich durch die Musik nicht verstehe, also zieht die Person mir einen Stöpsel aus dem Ohr. Überrascht blicke ich auf und entdecke ein Frauengesicht. Meine Rettung sozusagen vor dem sich immer gleich drehenden Gedankenkarussell.

Dank der Krankenpflegerin schiebe ich weitere Bilder, Gedanken und ungewöhnlichen Gefühle zur Seite und folge ihrer Stimme.

Clarissa, so wurde sie mir ganz kurz vorgestellt, hat eine breite, schöne Stirn, ihre blonden Haare gehen an den Spitzen leicht ins Bräunliche über.

„Wollen wir hineingehen, Louis? Es ist ziemlich kalt, für August, aber um ehrlich zu sein, friere ich ständig." Clarissa deutet mit dem Kinn zum Eingang.

„Besser nicht!", gebe ich kleinlaut zu.

Eigentlich will ich nicht, dass jemand merkt, wie schnell mein Herz rast, meine Knie schlottern und mir der kalte Angstschweiss auf meine Stirn tritt.

„Du bist das erste Mal hier, oder?", fragt sie.

„Ja, das erste und hoffentlich auch das letzte Mal in meinem Leben. Ich bin nur kein grosser Fan von Krankenhäusern. Der Geruch, die Atmosphäre ...", ich lasse den Satz in der Luft hängen, während dem ich meinen Blick in die Weite schweife.

„Wenn du dich erst an das alles gewöhnt hast, dann wirst du sehen, dass alles halb so schlimm ist."

„Halb so schlimm?", wiederholte ich.

Clarissa schielt auf den freien Platz neben mir.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setzte?"

„Nein überhaupt nicht. du bist mir die Sympathischste von diesen Pappenheimern da drin."

„Du kennst mich doch gar nicht! Und vielleicht bin ich die Schlimmste von allen!"

„Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung."

„Du hast echt einen merkwürdigen Humor, Lou!", gibt sie mir zur Antwort und drückt sich ihre Hand vor dem Mund, um nicht vor Lachen herauszuplatzen.

„Du bist auch nicht von schlechten Eltern, spiel dich bloss nicht so auf!", scherze ich.

„Vielen herzlichen Dank für die Blumen. So, was meinst du, wollen wir jetzt gehen?

Ein kalter Augustwind zieht auf und fegt zwischen den Bäumen und deren Blättern hindurch. Die Luft hat sich wie der abweisende Wolkenhimmel verdunkelt und ist erfüllt vom schweren Geruch des Regens. Nicht mehr lange und die schweren Wolken würden wieder für einen Regenguss sorgen.

Aber ehrlich gesagt, kümmert es mich nicht. Nichts kümmert mich im Moment.

Mein Kopf ist wieder so leer wie eine taube Nuss, meine Augen brennen wie Feuer und meine Haut juckt, so als würden mich die Flöhe beissen.

Vielleicht hat es Clarissa bemerkt, dass mir die nackte Angst ins Gesicht geschrieben steht.

Aber ich will da nicht hineingehen und mich von einer Untersuchung zur nächsten schieben lassen. Aber ich will endlich die Diagnose wissen. Dieses Warten ist so quälend, dass ich sogar einen schlecht ausfallenden Befund der Ungewissheit vorziehen würden.

Hastig schüttle ich den Kopf, weil ich nicht weiss, wie ich auf eine solche Nachricht reagieren soll, deren Auswirkungen ich mir noch nicht einmal ausmalen könnte.

„Du musst keine Angst haben, ehrlich nicht.

Die Ärzte sind gut, glaub mir."

Dann stupst mich Clarissa an.

Jetzt lass doch nicht den Kopf hängen, Louis. Wir werden schon dafür sorgen, dass es dir wieder gut geht. Besser als gut. Ich versprech's dir."

Für einen Moment lang schaue ich ins Leere.

„Jetzt lach' doch nochmal!", fordert sie mich streng auf.

„Ich tue alles, was du sagst, sofern du hier länger bleiben musst, „kichert sie und boxt mich in den Arm. „Aber da es nicht der Fall sein wird, kehren wir den Spiess und das heisst, dass du mir vertrauen und meinen Anweisungen befolgen musst."

„Sag mal, Clarissa, muss ich jetzt auch Angst vor dir haben?"

Jetzt steht sie direkt vor mir und schaut auf mich herab. „Ich denke schon, immerhin bin ich die Sympathischste von allen in diesem Verein", wiederholt sie meine Worte und zwinkert mir zu.

„Kommst du?", dann streckt sie die Hand aus.

Ich starre bestimmt fünf Sekunden lang darauf...

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mich dem zu stellen..."

„Und bitte nenne mich Clary. Clarissa mag ich nicht besonders..."

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now