DREISSIG - ER

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Ich habe so wenig Zeit und bin von so vielen Idioten umgeben, trotzdem kann ich mich einfach nicht verpissen.

Clary hat ihre Worte in die Tat umgesetzt. Unglaublich, wie stark diese Frau sein kann. Jetzt kann ich auch Simon langsam verstehen.

Nein, im Ernst? Welche Frau zeigt solche Eier?

Ich bin schwer beeindruckt. Nun dann und jetzt sehe ich stur die Decke an. In der Hoffnung eine Eingebung zu bekommen.

Verdammt! Meine Lieblingsmannschaft spielt und was mache ich? Ich sitze bloss hier und darf nicht mitfiebern. Das nervt!

Mensch, bin ich wütend.

«Hi Louis. Wie gehts?!», begrüsst mich Mona sehr herzlich. Sie versucht scheinbar zu vermitteln, dass sie freundlich sein kann.

Bei uns heisst das nicht kriechen, sondern gleiten. Wenn little Heidi kriechen will, dann in den Arsch.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und schiebe das Kinn vor, woraufhin sie genervt den Kopf schüttelt. Ganz egal, was sie will, ich hasse sie.

«Okay. Wenn Du meinst.», sagt sie.

Schwungvoll pfeffert Mona meine dreckige Wäsche in die Ecke, setzt sich auf das Bett, genauer gesagt an das andere Ende des Bettes und starrt mich an.

Wir schweigen uns minutenlang an.

«Soll das den ganzen Tag so laufen? Na dann eben, Louis. Wut lohnt sich nicht!» antwortet sie mir mit einem harschen Ton, aber sie macht keinen Ansatz zum Gehen.

Ich atme aus und lasse alles los, was mich belastet. Oh Mann, wie ich es hasse ihr recht zu geben.

«Willst du mir nicht recht geben?»

«Mona, Du übertreibst. Echt jetzt, du übertreibst. Hörst Du?»

«Erinnerst du dich an unsere Abmachung!? Ich bin deinetwegen hier ... wegen keinem anderen. Und Fussball ist nicht alles!»

«Ich will ja niemanden beleidigen«, antworte ich zögerlich. »Aber kannst du überhaupt Fussball spielen. Können das überhaupt Schweizer?»

«Kannst du eigentlich nie etwas sagen, das keine Anspielung ist?»

«Das ist mein unbedachtes Mundwerk, Mona. Gewöhne Dich daran.»

Dann sagt Heidi etwas, was ich gar nicht verstehe. Ich sitze wie bestellt und nicht abgeholt da. ... Ich schaue sie entgeistert an, was sie wohl zum Lachen bringt. In diesem Moment wirkt sie so unbeschwert und eigentlich recht sympathisch. Mona lacht glücklich und stösst einen kleinen Freudenschrei aus.

Ihr herzliches Lachen steckt an. Und dieses zuversichtliche, optimistische Lachen ist wohl auch ein Teil dessen, was die anderen mitreisst - sowie auch mich.

«Sorry!» und irgendetwas mit «spät», ist das einzig zumindest einigermassen logische, was ich aus den Wortfetzen zusammenbasteln kann.

«Schon in Ordnung! Solche Tage hat jeder. Warum spielst du denn nicht selber Fussball?»

Ich würde sehr gerne in Selbstmitleid und in Bedauern versinken. Mona trifft den Nagel auf den Kopf. Wie macht sie das bloss?

«Ich habe früher gespielt....»

«Und warum spielst du jetzt nicht mehr?»

Ich setze mich auf, hebe die Decke hoch und werfe sie zur Seite.

«Fussball spielt man bekanntlich mit zwei Beinen.»

«Und wie wäre es mit einer Prothese? Sowas schmeisst man doch nicht weg.»

«Manche Träume muss man halt begraben, damit sie ewig leben... »

«Was erzählst Du da? Man soll um das kämpfen, was man liebt?»

«Ah tatsächlich? Deshalb schleppst Du überall dein Notizbuch mit dir herum. Nimmst du es etwa auch mit aufs Klo?»

«Was? Nein! Willst du mich absichtlich provozieren?» fragt sie und vor lauter Erregung bleibt ihr die Stimme weg.

«Ich habe dich wohl auf dem richtigen Fuss erwischt.», ich zwinkere ihr zu und warte.

«Angriff ist die beste Verteidigung, lieber Louis. Das trifft es wohl am besten.»

Verdammt. Sie ist gut! Aber hey, ich bin definitiv besser.

Ich wackle mit den Augenbrauen und lächle sie an. «Also was machen wir heute, little Heidi?»

Mona lässt ihre braunen Augen mit einem langen Blick durch das ganze Zimmer gleiten.

Dann steht sie auf und geht auf die Kommode zu.

Sie will doch nicht....

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. In Sekundenschnelle sehe ich zu, wie sie die UNO-Karten in der Hand hält und mit ihren Lippen diese eine Frage stellt.

Erschrocken betrachte ich Mona, die mich prompt angrinst. «Was ist?», fragt sie.

«Du guckst so seltsam.»

Ich zucke zusammen. «Nein, lass mal!»

«Hast Du etwa Angst zu verlieren?»

«Du träumst! Ich hasse UNO.»

Heidi steht reglos vor mir und sieht mich vollkommen entgeistert an. «Wenn Du meinst... Was sollen wir dann machen?»

«Darf ich Dir den anderen Teil meines Schlosses zeigen?»

Sie nickt und schiebt wortlos den Rollstuhl zu mir.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt