FÜNFUNDZWANZIG - ICH

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Sein Lachen ist echt ansteckend. Es hat etwas Magisches an sich. Irgendwie. Louis ist sich dessen ansatzweise wahrscheinlich nicht einmal bewusst.

«Poesie ist die Sprache der Liebe», diesen Satz könnte ich durchaus in mein Notizbuch eintragen. «Sie kann dich nicht beherrschen, weil die Liebe in dir wohnt. Sie ist die stärkste Waffe auf der Welt...»

Louis kotzt. Schnell halte ich ihm eine Schüssel unter seinen Mund und Erbrochenes rinnt in die Schüssel.

Er zittert. Der Verwesungsgestank macht mich schwindelig. Es stinkt fürchterlich. Walker hebt mühsam sein Shirt vor seine Nase und zwingt sich, die Augen öffnen.

Eine spürbare Aura der Panik umgibt mich.

Ich renne was meine Beine hergeben. So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gerannt, wie in diesem Augenblick.

„Hilfe!", schreie ich immer wieder.

Ich renne weiter, immer weiter, bis meine Lungen fast explodieren. Geradeaus, gejagt von dem Gefühl, Louis helfen zu müssen.

Schon von weitem ist zu sehen, wie Besucher, darunter vermutlich Krankenschwester, versuchen mir aus dem Weg zu gehen.

„Hilfe!", krächze ich irgendwie.

Ich habe sofort einen Arzt aufgesucht, das heisst ich habe einfach einen Typ mit weissem Kittel am Ärmel gepackt und ihn zu Louis gezerrt. Als wir in der Küche sind, hat er mir erklärt, dass das nichts Schlimmes sei. Louis sollte mich hinlegen und erst mal abwarten.

Nichts Schlimmes? Louis hat mich volle Kanone angekotzt. Und das soll nicht schlimm sein? Eines muss man den Ärzten lassen, Humor haben sie.

Nachdem sie Louis ins Zimmer gebracht haben, bin ich nach Hause gegangen. Ich kann es nicht ertragen, Lou so leiden zu sehen.

Ich gehe sofort ins Bad und schlucke sofort zwei Beruhigungstabletten, die ich jeweils vor meinem Auftritt nehme.

Dank meiner Mutter habe ich diese homöopathische Arznei entdeckt. Grundsätzlich ist Homöopathie eine alternativmedizinische Behandlungsmethode, bei der man sich über die Wirksamkeit streiten kann. Unter der lauwarmen Dusche erinnere ich mich an einzelne Bilder der letzten Stunden. Ich shampooniere mein Haar und reibe mit einem Waschlappen so lange über die Haut, bis ich endlich die Bilder aus dem Kopf habe.

Nach den Anstrengungen der letzten Tage schmerzt jeder Muskel und mein Körper brennt förmlich danach, endlich wieder zu schreiben. Als ich endlich fertig bin, ziehe ich meinen geliebten Bademantel an, setzte mich an den Schreibtisch und spanne mal richtig aus. Ein überwältigtes Gefühl umgibt mich, als ich den Laptop aufklappe und diesen einschalte.

Mein Herz klopft wie wild und ich musst peinlicherweise kurz tief und verkrampft Luft holen. Ich liebe es so zu schreiben. Verdammt! Ich bin einfach süchtig danach.

Ja, Schreiben ist wie eine heimliche Droge für mich. So auch meine Lieblingsband OneRepublic. Deshalb drehe ich die Lautstärke so weit hoch, dass fast meine neu gekauften Lautsprecher zerreisst.

Die Musik donnert kreischend aus den Lautsprechern, als ich das Schreibprogramm starte und schon loslegen will.

Ich muss unbedingt den zweiten Teil von Shadow Light fertig schreiben. Wie soll ich das bloss anstellen?

Ich weiss nicht so genau warum, aber es gibt Blockaden in mir, die plötzlich da sind und dann geht gar nichts mehr. Einfach nichts, Nada. Es ist gelegentlich beim Schreiben so, aber auch häufig bei anderen Dingen, dass ich plötzlich ein ungutes Gefühl habe und dann einfach unter keinen Umständen weitermachen kann.

Jetzt ist gerade so ein Zeitpunkt.

Ich sitze auf meinem Stuhl und kann mich nicht konzentrieren. Mir fällt auch momentan absolut nichts ein, worüber ich denken soll.

Mein Kopf ist komplett leergefegt.

Ich möchte nicht über einen Einheitsbrei schreiben, sondern etwas Besonders und noch nie Dagewesen. Die meisten Autoren langweilen mich und das, was die Massen gut findet, ist selten gut. Wenn ich es so sagen darf.

Habe ich etwa zu hohe Ansprüche?

Habe ich auch deswegen gerade meine erste Schreibblockade? Jeder Schriftsteller kennt das wohl, ich habe auch schon davon gehört und sogar darüber gelacht. Hätte ich doch bloss nicht dümmliche Sprüche darüber gemacht...

Ich sehe auf das leere Dokument.

Meine Gedanken drehen sich nur um Lou und die Angst, ihn nie wiederzusehen. Meine Hände sind schweissnass und kalt.

Beginne ich etwa, diesen arroganten Mistkerl zu mögen?

Was ist bloss mit mir los? Ich kann nicht mehr denken, dabei möchte ich doch nur Shadow Light weiterschreiben.

Im letzten Buch - dem Durchbruch - habe ich mich vor allem auf die Liebe zwischen Oliver James Light und Amélie Miller konzentriert. In meinen Augen beinhaltet die Liebe eigentlich alles, was uns ausmacht.

Oliver, der Traummann schlechthin, ist die Kirsche auf der Sahnenhaube. Er macht das Leben von Amélie besser. Ein wahrer Gentleman, der sie hochzieht und ihr ein wunderbares Gefühl gibt und sie stärkt. Die beiden führen definitiv keine Schönwetterbeziehung, wie es im Bilderbuch steht.

So ein Typ von Schriftsteller beziehungsweise von Mensch bin ich auch nicht, der nur über das Positive berichtet. Fakt ist, es gibt auch negative Dinge, sogenannte Schicksalsschläge, die uns komplett aus der Bahn werfen.

Ich bin kein Pessimist, aber hin und wieder hinterfrage ich so manche Sachen. Von der Natur aus bin ich fröhlich, fast verzweifelt fröhlich.

Ich liebe es zu lachen und andere zum Lachen zu bringen. Ich liebe es, wenn die Augen vor Freude ganz schmal werden und wir Glücksgefühle versprühen.

Wenn wir gerade beim Thema wären: Louis ist das komplette Gegenteil von mir.

Er ist negativ veranlagt, was ich zum einen durch seine Krankheit verstehen kann. Aber warum nennt er mich immer little Heidi?

Auf mich wirkt er sehr selbstverliebt und auch seine unerschütterbare Selbstsicherheit gefällt mir nicht. In mir tobt ein Kampf, ich will weg von Walker und gleichzeitig zieht er mich magisch an.

Es muss einen wesentlichen Grund geben, warum er so eine dicke Mauer um sich selbst zieht und niemanden an sich heranlässt.

Mein Gefühl sagt mir, dass ich allein dieses Rätsel knacken kann.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now