•ZWEIUNDVIERZIG - ER•

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Meine Lippen sind spröde und mein ganzer Körper glüht. Ich liege wieder im Bett und bin unfähig, auch nur ein Muskel zu rühren. Wie gerne würde ich aufstehen, doch ich schaffe es nicht.

Der Vormittag bestand aus den längsten, qualvollsten Stunden in meinem Leben. Bestimmt fragst du dich, ob es schlimmer war, als der erste Tag ohne Simon?

Ich will wirklich nicht behaupten, dass es schlimmer ist, in einem der Zimmer eines Krankenhauses zu sein und zu wissen, dass du in die Zukunft alles allein überstehen musst.

Aber ja, leider ist es schlimmer.

Ich verabscheue die Erkenntnis und habe sie niemals irgendwem gegenüber eingestanden. So etwas gehört sich nicht als Bad Boy. Die tiefe, endlose Kälte war weit schlimmer.

Ich beginne jeden leichten Atemzug zu fürchten, weil so ein wahrhaft höllisches Feuer in meinen Adern brennen und solche Schmerzen verursacht.

Und was mache ich nun? Tja, ich warte.

So wie ich es die längste Zeit tue.

Ich warte auf die einzige Chance auf Heilung - eine Blutstammzellspende.

Die Blutstammzellspende läuft in zwei Schritten ab. Der erste Schritt ist die sogenannte Aufnahme ins Register für Spender. Dazu werden die Gewebemerkmale bestimmt. Hierbei handelt sich um Strukturen auf der Oberfläche der Körperzellen, anhand dieser kann unser Immunsystem unter anderem zwischen eigenem und fremdem Gewebe unterscheiden.

Zum zweiten Schritt, der Spende, kommt es nur, wenn das Gewebemerkmale zu einem Patienten passen. Und das ist selten - so wie ein 6er im Lotto.

Das heisst so gut wie, Glück schaut nicht so einfach schnell vorbei und sagt: «Hey da bin ich! Jetzt kann es los gehen.»

Es wäre zu schön gewesen, denn Glück muss man sich erst erkämpfen. Zumindest muss ich es. Und was ist mit dir? Kämpfst du oder wird dir das Häufchen Glück in den Schoss gelegt?

Heute Vormittag war der Startschuss einer erneuten Chemotherapie. Wenn meine Werte zu schlecht sind, wird es gefährlich.

Am Freitag wird nochmals Blut abgenommen und sie untersuchen, ob sich die Lymphozyten sich verringert haben. Also ob die weissen Blutkörperchen nicht mehr ganz so extrem viel mehr sind im Gegensatz zu den Roten.

Daran erkennen die Ärzte übrigens auch, ob die Chemo anschlägt. Und wenn sie das nicht tut, dann.... breche ich ab.

Und ja, ich kann es gar nicht aussprechen.

Ich habe die Kraft nicht mehr. Die Kraft nicht mehr zu kämpfen, die Kraft nicht mehr meinen Traum als Fussballprofi zu verwirklichen.

Auch wenn ich krampfhaft bemüht bin, nicht in Selbstmitleid zu versinken und mich abzulenken, lässt mich die Sehnsucht nach Mona nicht los.

Die Tür geht auf, und Clary tritt in das Zimmer.

«Hey Lou!»

Ich versuche mich aufzusetzen, aber die Kräfte in meinen Armen verlassen mich wieder und ich sinke zurück aufs Bett.

«Wie geht es dir?», fragt Clary mitfühlend.

«Schlecht.», bringe ich heraus und deute auf das Glas, das sich in mein Blickfeld geschoben hat. «Was-ser...», krächze ich.

Dann spüre ich wie kalte Flüssigkeit meine Lippen benetzen.

«Ich vermisse ...», setze ich an und hoffe, dass sich der Satz von selbst vollendet. Und dann sprudelt es in einem Sturzbach aus mir heraus, wie einem Rohrbruch, wie nach einem Dammbruch. «Mona.»

«Hast du versucht... sie anderweitig zu kontaktieren?», stammle ich.

«Ja, ich habe ihr eine Nachricht geschrieben. Und auf ihrem Handy angerufen.»

«Ok!»

«Ich versuche mein Bestes und halte dich auf dem Laufendem!», versucht sie mich aufzumuntern.

«Danke!»

Mona will nichts mehr von mir wissen und nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich fühle ihr Leid in meinem Herz, spüre es in meiner Seele.

Meine Worte waren vielleicht sehr verletzend.

Ich will Mona wiedersehen, mehr als alles andere auf der Welt. Mit meiner Aussage wollte ich sie schützen von all dem Schmerz und Leid, denn ich mit Simon hatte.

Vielleicht war meine Rücksicht ein Fehler. Im Nachhinein betrachtet könnte dies durchaus möglich sein.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now