EINUNDSIEBZIG - ICH

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Anmerkung: Ab jetzt begleitest du ausschliesslich noch Mona.

Du weisst, dass du wach bist, aber du hoffst, dass du gleich aufwachst.

Mir ist nicht bewusst, wie lange ich schon hier sitze und diese elende Schikane der Medien über mich ergehen lassen muss. Am liebsten würde ich gleich jetzt mich schweigend erheben und einfach das Zelt verlassen. Damit würde ich bloss wieder Paper Heart oder die Sponsoren von diesem Event verärgern, was ich mir nicht leisten kann. Nicht schon wieder!

Ich hasse Medien. Ich verabscheue sie für ein und allemal.

Der komplette Medienzirkus sind wie Geier, sobald du aus der Reihe tanzt, fliegen scharenweise über deinen Kopf empor und warten auf den passenden Moment, bevor sie treffsicher auf dir landen und sie mit ihren Schnäbeln und Klauen deine zartbesaitete Haut zerfleischen. Das ist nicht schön anzusehen.

Glaub mir, ich weiss, wohin ich spreche.

Es war auch einer der Gründe, weshalb ich eine sehr lange Zeit geschwiegen habe. Zum einen ist es mir jetzt noch sehr unangenehm, darüber zu sprechen, zum anderen hatte ich an jenem Tag keine andere Wahl - keinen Ausweg oder noch besser ein Skript in einem Theaterstück, wie man mit penetranten Paparazzi/Journalist umgehen muss.

Carl, so nenne ich ihn mal, hat mich auf Schritt und Tritt verfolgt. Er klebte wie ein Kaugummi an meinen Fusssohlen. Weshalb ich ihn schlichtweg als widerwärtige Person beschreiben muss.

Sobald du ein aufstrebender Stern bist, präsentieren sich schlagartig alle von ihrer besten Seite. Deine Feinde werden zu Freunden oder sogar umgekehrt. Irgendwann war dann der Moment gekommen, als ich im Garten des Ruhms die aufwachsenden Pflanzen vom lästigen Unkraute unterscheiden konnte.

Das war auch bei Carl so. Zu Beginn war er sehr aufrichtig und wollte alles über mich wissen. Um bei der Wahrheit zu bleiben, war ich zu naiv und einfach dumm, ihm etwas aus meiner Vergangenheit zu erzählen. Wenig später hat er begonnen daraus Wortfetzen zu sammeln und verletzende Gerüchte über mich und meine Familie zu verbreiten.

Als ich ihm dann das allererste Mal wieder begegnet war und ihn zur Rede stellen wollte, was ihm überhaupt einfalle, so ein Schwachsinn zu behaupten, da hatte er mich bloss ausgelacht und gemeint, dass das meine neue Welt wäre. Immerhin gehörte ich nun zur Oberschicht und da könnte man sich so ein Spässchen als Journalist erlauben.

Beim Wort Spässchen sind mir die Sicherungen durchgebrannt und ich habe ihm eine Ohrfeige verpasst. Dabei ist er ausgerutscht und nach hinten gefallen. Sein Kopf fiel zu Boden. Sein Blut umgab ihn in einer riesigen roten Lache und rann über den Asphalt.

Klar, habe ich mich entschuldigt und sofort den Notarzt gerufen, was hätte ich dann tun sollen. Hätte ich davonrennen sollen, so wie ich es immer tue, wenn mich die Panik von innen auffrisst. Ein paar Stunden später habe ich Parker samt dem Paper Heart Team darüber informiert und innerlich mit meiner Karriere abgeschlossen. Ich war bereit alles hinter mich zu lassen und sogar unter einem anderen Namen irgendwo unterzutauchen. An einem neuen Ort elegant auf die Resettaste drücken und so tun, als wäre das gestern nie geschehen, schien so einfach.

Doch Parker und Mia waren diejenigen, die mir aus der Patsche geholfen hatten. Max meinte, dass es in unserem Business immer solche hinterhältigen Menschen gäbe und dir als Autor etwas Schlechtes antun würden. Am Ende des Tages kommt es immer darauf an, was du daraus machen willst.

Entweder hörst du auf sie, lässt dich auf ihr Niveau herab und gehst daran kaputt. Oder du baust einen Schutzwall um dich, versuchst alles um dich herum zu ignorieren und hörst nur noch auf den Rat der Profis.

Die zweite Variation schien mir die sinnvollste Lösung von allem. Also tat ich genau das, was mir Parker und Paper Heart von mir verlangten. Besonders hat mich unser Marketingleiter aka Tom aka mein Ex zu Events verdonnert, bei denen ich zu 100 % dahinterstehen konnte. Ich tat es einfach. Wortlos, herzlos und kopflos.

«Mit dieser Frage schliesse ich Ihre Fragerunde ab und möchte mich ganz herzlich für Ihr Kommen bedanken! Damit wir unser Ziel der 15'000 Spender und Spenderinnen erreichen, fordere ich Sie ebenfalls auf, eine Probe anzugeben. Jeder Mensch, damit meine ich besonders an Leukämie erkrankte Menschen. Sie haben nämlich das Anrecht auf eine zweite Chance im Leben.», verabschiede ich mich von der Versammlung und erhebe mich schliesslich aus dem unbequemen Stuhl.

Jetzt will ich schleunigst Louis sehen und mein Versprechen einlösen. Er hat mich absichtlich herausgefordert, ihm noch einen grösseren Knutschfleck zu verpassen. Sein Wunsch sei mir zu Befehl.

Jedenfalls habe ich mich auf die Suche nach ihm begeben. Ich bin durch das Areal auf und abgelaufen und habe ihn nirgends gefunden. Louis kann doch nicht wieder spurlos verschwunden sein. Bitte nicht schon wieder! Ich hasse nämlich seine Versteckspiele.

Also bin ich dann schleunigst zur Terrasse gerannt. Louis liegt in der Hängematte und schaukelt.

«Na, Mister Knutschfleck!», begrüsse ich ihn charmant und trete näher.

«Möchtest du wieder mit Gefühlen von anderen spielen, du verlogenes Stück.» faucht er bestimmt.

«Ehm? Was meinst du? Ich kann dir nicht ganz folgen.»

«Ha! du bist schon die schlimmste Lügnerin von allen, die mir jemals begegnet ist. Währendem du mir schöne Augen machst, hast du gleichzeitig mit einem anderen geschlafen, du Sch...!»

«Wie bitte? Wer hat das erzählt?», will ich schliesslich wissen.

«Jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst, kommt bloss Scheisse raus. Also halt einfach deinen Mund und verpiss dich aus meinem Leben!»

«Aber Louis.... ich ...», stammle ich.

«Und Eure fucking Aktion hier im Krankenhaus war alles nur Show, bloss um deinen scheiss Ruf zu retten! Man muss halt vorher sein Hirn einschalten, wenn man ein Paparazzo spitalreif schlagen möchte.»

«Ich kann das erklären...», stammle ich.

«Ach hör bloss damit auf. Und geh doch dahin, wo der Pfeffer wächst! Ich will dich nie wiedersehen. Lebewohl!»

Ich nicke und verlasse die Terrasse wortlos.

Seine Worte verletzen mich gewaltig. Ein Dolchstoss hätte mir nicht weniger Schmerzen zugefügt. Es tut mir so weh, denn ich habe mein Herz erstmal jemanden geöffnet und ihn in meine komplexe Gefühlswelt eintreten lassen. Und jetzt mit seinen Beleidigungen hat er genau die offenen Stellen getroffen, die nicht berührt werden durften.

Ich bin weinend davongerannt.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt