ZWEI - ER

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Es ist ein nasskalter Tag im August.

Der Rasen ist matschig und aufgewühlt. Dreckbollen bleiben an den Stollen kleben und machen die Fussballschuhe schwer. In wenigen Minuten ist die erste Halbzeit vorbei. Marco mit der Nummer Elf bekommt den Ball zugespielt. Und dann zieht er in Windeseile los. Leichtfüssig, als ob er keine Kilos schweren Dreckschuhe anhätte, vorbei an dem Verteidiger, die Aussenlinie entlang.

Der Schiedsrichter pfeift. Abrupt stoppt er den Ball, dreht sich fragend um. Einwurf, zeigt der Schiedsrichter an.

«Was? Der Ball soll im Aus gewesen sein?»

Die Nummer Elf stampft wütend mit dem Fuss auf, fuchtelt wild mit den Armen.

«Niemals war der im Aus, Fehlentscheidung.»

Der Schiedsrichter pfeift nochmals, läuft auf Marco zu, der erhobene Zeigefinger zeigt die Gelbe Karte in die Höhe.

«Wenn du noch einmal den Mund aufmachst... Bist du der Erste, der vom Platz fliegt, verstanden?»

Der Schiedsrichter pfeift erneut und deutet auf das Ende der ersten Halbzeit hin.

Mit gesenktem Kopf laufe ich über das Feld und schaue keinem in die Augen. Fast stosse ich mit jemanden von der gegnerischen Mannschaft zusammen.

Ich will mich umdrehen und will ihn anbrüllen.... ihm etwas an den Kopf knallen, damit sie nicht gewinnen werden. Aber da ist dieser Kloss in meinem Hals, der mich davon abbringt etwas Dummes zu tun.

Ausserdem bin ich der Kapitän, denn die Mannschaft hatte mich trotz meiner Verletzung wiedergewählt.

Das war ein besonderer Vertrauensbereich für mich, aber auch eine Verpflichtung.

Im Training vor Saisonbeginn passierte es in der zweiten Einheit. Ich war schon ausgelaugt, wollte aber unbedingt noch eine Übung am Tor machen - so quasi den Macho raushängen und die Weiber am Spielrand mit meinen Künsten beeindrucken.

Die Übung bestand daraus, über eine Hürde zu springen, dann unter dieser in die entgegengesetzte Richtung durchzukriechen und mit dem Kopf ein Tor zu schiessen.

Für mich sollte das keine grosse Hexerei, schliesslich bin ich der Topscorer der Liga.

Es passierte bei einem Sprung nach links über die Hürde. Bei der Landung machten meine Muskeln zu, meine Beine blieben allerdings gestreckt, während sich mein Oberkörper in Richtung Ball bewegte. In diesem Moment spürte ich einen starken Schmerz im Unterschenkel, der sich aber relativ schnell wieder legte.

Doch leider blieb es nicht dabei. Vor allem bei bestimmten Bewegungen, wie zum Beispiel Sprünge nach rechts, tat es wieder weh, sodass ich nach dem Training zum Physiotherapeuten ging. Er vermutete eine muskuläre Verspannung oder etwas Ähnliches und gab mir Schmerzmittel.

«Die Schmerzen müssen innerhalb von wenigen Tagen weg sein.» meinte Paddy, unser Physiotherapeut.

Mittlerweile sind rund 5 Wochen, ja fast 6 Wochen vergangen. Na ja, was soll ich sagen.

Der Schmerz ist immer noch da, stechend, er durchbohrt jede Faser meines Körpers. Jeder Schritt kostet mich Mühe, jede Bewegung ist ein Stich mehr.

Ich sauge scharf zwischen den Zähnen die Luft ein und laufe weiter zur Garderobe.

«Reiss dich zusammen, Louis,», ermahne ich mich und hoffe inständig, dass ich die zweite Halbzeit überstehen werde.

Fussball ist mein Leben. Das Spiel, die Gier nach dem Leder, die Energie, der Wettkampf, Sieg oder Niederlage - das pralle Leben auf dem grünen Rasen.

Seit ich denken kann, spielt Fussball eine grosse Rolle für mich. Ohne Fussball hätte ich mein Leben nicht gelebt, wäre ich nicht der, der ich geworden bin. Und ein Leben ohne diese Sportart ist für mich unvorstellbar.

Inzwischen sind alle Spieler in der Garderobe. Hier drin herrscht fast schon tödliche Stille. Der Trainer verliert keine zehn Worte. Ich spüre den Schmerz der Niederlage in seiner Stimme.

Wie wollen wir den 0:2 Rückstand aufholen?

Die gegnerische Mannschaft ist stark und hat uns in den ersten Spielminuten wortwörtlich überrollt. Sie spielen aggressiver und scheuen sich nicht vor dem Zweikampf in unserer Hälfte.

Der Coach klatscht in die Hände und versucht uns durch seine sonderbaren Worte zu motivieren. „Ihr geht jetzt wieder aufs Spielfeld zurück und gebt alles.", brüllt er laut.

Mein Kopf dröhnt und ich fühle mich von den weiteren Schmerzmitteln benebelt.

Dass die erste Halbzeit meine letzten gewesen waren, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst.

Ich versuche, mich zu erheben und sofort wird mir schwarz vor Augen und schwindelig.

Im nächsten Moment verliere ich mein Gleichgewicht. Die grösste Gefahr, sich zu verlieren, kann in der Welt so ruhig vor sich gehen, als wäre es nichts gewesen.

Und dies ist erst bloss der Anfang meiner Geschichte....

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now