ELF - ICH

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Ein Jahr später

Wer hat das wohl gedacht, dass ich vor rund einem Jahr der wunderschönen Schweiz den Rücken kehren würde, um meinem grossen Traum ein Stück näherzukommen.

Ich jedenfalls nicht. Vor allem nicht an jenem Abend, der mein Leben komplett veränderte.

Als Max Parker – CEO von Paper Heart Verlag urplötzlich vor meiner Haustüre auftauchte, war ich mit dieser Situation total überfordert. Es war einer dieser Momente, bei denen ich damals nicht genau wusste, ob ich nun schreien oder weinen sollte. Bestimmt wäre ich als Versuchskaninchen in einer wissenschaftlichen Institution für unerklärliche Reaktionen gelandet, wenn ich beides gleichzeitig konnte.

Und nun weiss ich allerdings nicht, wie ich es erzählen soll. Es gibt so viel, dass ich einfach den Überblick verloren habe.

Beginnen wir mit HEUTE: Mittwoch, 25. August 8:00 Uhr

Hier in New York– eine Millionenstadt, die 24 / 7 spannende Geschichten schreibt. Jede ist so individuell und besonders wie das Leben selbst – erlebe ich so einiges.

Ich konnte anfangs gar nicht an das Schöne und Interessante meiner neuen Heimat denken, sondern musste mich zuerst an meine neue Situation gewöhnen. Ja, ich litt sehr an Heimweh. Hinzu kamen noch Nachrichten von zu Hause, die Anlass zu ernster Sorge gaben. Es machte die ganze Situation schwierig, als ich alleine in meinem Apartment war. Ich war eine Gefangene in einer fremden Welt.

Noch blöder war, dass ich dauernd über meinen Schweizer Akzent stolpere und sich bestimmte Menschen köstlich darüber amüsieren. Wie beispielsweise jetzt:

„Oh! Bitte Mona! Sag das nochmal!", fleht Tom förmlich, als wir in das gelbe Taxi steigen.

Das Ziel der Fahrt wurde mir nicht bekannt gegeben, da es anscheinend eine Überraschung sein sollte. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich solche Aktionen überhaupt nicht mag. Genau dann, wenn mir jemand eine Überraschung verkündet hatte, hatte ich nie ein gutes Gefühl dabei.

Ja, ich gebe es zu. Ich bin ein kleiner Kontrollfreak – der Typ von Mensch, der alles unter Kontrolle haben muss. Und egal worüber – ich muss die Macht haben.

In den letzten Monaten hat sich so einiges verändert. Ich führe nun einen Jahresplaner und trage meine Termine sorgfältig ein. Aus Angst davor, dass es irgendwann ein Super-GAU gibt, schreibe ich alles in mein Notizbuch auf.

Und jetzt... erst beim Gedanken daran, was mich wohl erwarten würde, wird es mir ganz flau im Magen. Ich muss mich gleich übergeben.

„Nein! Jetzt hör endlich damit auf! Das ist wirklich schrecklich mit dir!", zische ich genervt.

„Schrecklich?"; wiederholt sich Tom belustigt.

Ich nicke.

„Bitte! Mona!", sagt er.

„Nein! Bitte hör jetzt endlich damit auf! deine Sprüche sind sowas von schlecht!"

„Haha! Nicht dein Ernst oder?", wiederholt er meine Worte.

Ich nicke erneut.

„Bitte, Mona", fleht er förmlich.

„Du nervst echt, Tommy!", wimmele ich ihn ab.

Mein Nachbar lacht sich schlapp und trocknet sich mit dem Taschentuch die Tränen. „Verdammt! Mona, ich liebe dich, Mona! Ehmm nein. dein Akzent meine ich. Nur dein Akzent!", schwärmt er.

Ehe ich noch etwas sagen möchte, unterbricht uns eine tiefe Männerstimme: „Unglaublich! Ich kann es immer noch nicht fassen!"

Fast zeitgleich blicke ich auf und mustere mein Gegenüber – ein gutgekleideter Mann, der ein blaues Jackett und eine hellbeige Hose trägt.

„Was ist los? fragt Tom und ich fast gleichzeitig.

Tom ist unser Grafiker aka Marketingleiter aka meine persönliche Nervensäge.

„Ich muss mich erst mal wieder beruhigen!", äussert sich Parker ausser Atmen und tippt mit einer Hand nervös auf seine grosse Stirn und mit der anderen hält er immer noch sein Handy fest.

Max Parker – CEO von Paper Heart Verlag ist und bleibt eine männliche Dramaqueen.

„Was ist denn los?", erkundigt sich Tom besorgt und rückt seine schwarze Brille zurecht.

„Tom, wenn du fluchen möchtest, dann bitte mach es richtig!", stöhnt Max und klatscht sich in die Hände, um so für Ruhe zu sorgen. „Meine Güte! Das hört wohl nie auf zwischen Euch! Tom, sei kein Schweizer und flirte nicht mit meiner Schriftstellerin. Und du, Mona...Sei einfach du selbst."

„Wie? Ich flirte ja gar nicht!"

In diesem Moment kann ich genau zusehen, wie seine Wangen rot werden.

„Doch! Das tust du, Tom! Und jetzt zurück zum wesentlichen und wichtigerem Teil! Um es kurzzuhalten... Das Buch hat eingeschlagen wie eine Bombe!"

„Und von welchem Buch sprechen wir jetzt?", frage ich etwas irritiert.

„Oh! Entschuldige! Shadow Light, natürlich! Ich kann es einfach nicht fassen. Kaum hast du den deutschsprachigen Markt im Nu erobert, schon spricht die New York Times von dir, Mona. Ich liebe dich!"

„Mhmmm...also wie war das nochmals Punkto Flirten mit Mona?", ruft Tom dazwischen und verschränkt die Arme beleidigt vor seiner Brust.

Plötzlich hält das Taxi. „Was ist los, warum halten wir hier?", frage ich.

„Sie haben ihr Ziel erreicht!", meint der Fahrer schliesslich. „Welches Ziel?"

„Das deutsche Sankt Martin Hospital!"

„Hospital?", wiederhole ich und verziehe mein Gesicht. „Ich bin doch gesund!"

„Du schon, aber andere hingegen nicht, was mich zu folgendem Entschluss brachte.", entgegnet mir Parker, ohne dabei seinen Satz weiterzufahren.

«Was willst du damit sagen?»

„Komm einfach mit!", fordert mich die beiden Herren auf und steigen aus dem Auto.

«Ok», murmle ich, blicke aus dem Fenster und frage mich ernsthaft, ob ich mich nun richtig verhalte. Ich weiss genau, was mich quält.

Es ist das reinlichste Spital, das ich je gesehen habe, ohne den fürchterlichen Desinfektionsmittelgeruch, oder irgendetwas, das Ekel erregt. Normalerweise würde ich davonlaufen, da ich Krankenhäuser über alles verabscheue.

Leider habe ich keine andere Wahl mehr, da uns schon eine Gestalt im weissen Kittel entdeckt hat. Hoch erhobenen Hauptes eilt sie uns entgegen.

Mir wird schlecht und ich denke wieder jetzt muss ich mich gleich übergeben, obwohl es nicht stimmt.

Krankenhäuser, Blut, Spritzen und ich – das ist wirklich ein Thema für sich. Es kriecht mir wie ein kalter Schauer über den Rücken, mein Magen krampft sich zusammen. Und als der Engel im weissen Kittel näherkommt, fühle ich mich völlig ausgeliefert.

Was mache ich eigentlich hier?

«Du musst wohl Mona Rochat sein!», begrüsst mich die blondhaarige Dame freundlich und reicht mir die Hand. «Meine Kolleginnen und ich schwärmen nur so förmlich von deinem Buch! Es bedeutet uns sehr viel, dass du extra für uns Zeit nimmst und eine Buchlesung halten wirst.»

Warte... Buchlesung? Da habe ich mich wohl verhört. Soviel zum Thema «Überraschung».

Ich bin völlig aus den Wolken gefallen, da ich mich gar nicht darauf eingestellt habe heute eine Lesung zu halten. Vor allem nicht in einem Krankenhaus, was mich natürlich mehr beunruhigt.

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich gar kein Fan von Krankenhäusern bin?

«Ja, welche Überraschung!», sage ich und schaue dabei Parker und Tom abwechselnd finster an. Jetzt würde wohl der Satz «Wenn Blicke töten können» eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Das Namensschild an ihrer Brusttasche verriet, dass sie Doktor Lucy William heisst.

«Folgt mir!», sagt Lucy und eilt mit grossen Schritten davon.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ