FÜNFUNDSIEBZIG - ICH

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Das beste Gefühl auf dieser Welt ist, genau in diesem Moment, wenn Du aufwachst und weisst, dass du heute nach Hause fliegen kannst. Die Sprache wieder zu hören, mit der du denkst. Die traumhafte Landschaft zu sehen, die du dir kurz vor dem Einschlafen vorstellst. Deine geliebten Menschen wieder in den Arm zu schliessen, die du bloss über einen kleinen Bildschirm sehen konntest und dir dabei wünschest sie einfach zu umarmen.

Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf diesen Flug freue. Kurz nachdem ich mit Sofie telefoniert hatte, wollte ich sofort einen Flug buchen, der gleich am selben Tag stattfindet. Was im Nachhinein eine völlige Wunschvorstellung war.

Jedenfalls habe ich über vier Tage darauf gewartet, bis ich endlich nach Hause darf.

Und heute ist der grosse Tag.

Vor lauter Aufregung habe ich heute Morgen beim Frühstück keinen Bissen runterbekommen. Stattdessen habe ich noch meinen Koffer in Windeseile gepackt und mich mehrmals in meinem Apartment umgedreht und mich vergewissert, dass alles in Ordnung ist.

Seit Tagen liegt mein Notizbuch unberührt am Boden. Ich bücke mich, greife danach und hebe es auf. Vielleicht sollte ich doch noch einpacken. Wer weiss, vielleicht bringt mir die ländliche Luft einen Hauch von Inspiration.

Es klingelt an der Tür, was das Zeichen für mein Taxi ist. Also schnappe ich mir meinen Koffer und Tasche und gehe.

Ich steuere den Check-in-Schalter meiner Airline «Swiss» an und gebe mein Gepäck auf. Anschliessend verstaue ich meinen roten Pass und das Ticket in meinen Rucksack.

Nun ist es höchste Zeit, mich auf direktem Weg zum Security Check zu begeben.

Die Menschenmassen vor mir wirken erstaunlich beruhigend auf mich. Denn hier am JFK Flughafen fängt man so viele Emotionen auf, dass man sich selbst nicht mehr ganz so einsam und verloren erscheint.

Als ich den Security-Check durchquere, knurrt mir der Magen. Ich habe immer noch nichts gegessen, schon den ganzen Tag habe ich noch nichts runtergebracht. Vielleicht kann ich während des Flugs noch essen, wenigstens etwas.

Ich nehme Platz im Wartebereich und ziehe mir meine Kopfhörer auf. Musik ist und bleibt Balsam für die Seele. Es gibt nichts, wo ich mich so herrlich fallen lassen kann, wie die Musik. Sie ist auch ein Booster für meine Gefühle und ich ganz allein bestimme mit meiner Playlist, in welche Richtung sich meine Stimmung steigert. Ich lehne mich zurück und geniesse die zu Herzen gehende Stimme von Ryan Tedder.

Plötzlich höre ich, wie mein Name am Gate aufgerufen wird. Ich zucke zusammen und stehe völlig perplex auf.

«Hi, Sie haben soeben meinen Namen aufgerufen.», sage ich etwas aufgewühlt.

«Mona Rochat? Dann kommen Sie bitte rum!», fordert mich der junge Herr am Schalter auf und zeigt mir, wie ich hinter seine Theke gelangen kann. Dann drückt er mir einen altmodischen Telefonhörer in die Hand, tippt ein paar Knöpfe und ein Wahlton erklingt.

«Hallo? Sind Sie Mona Rochat?»

«Ja?! Mit wem spreche ich denn?»

«Gut! Ich bin so froh, dass ich Sie noch vor Ihrem Abflug erreichen kann. Mein Name ist Patric und ich arbeite als Fachkraft beim DKMS. Erst vor kurzer Zeit haben Sie registrieren lassen und wir haben ein Treffen! Sie kommen als Spenderin infrage!»

«Ehmmm...»

«Vielleicht fühlen Sie sich nun mit dieser Situation überfordert.»

«Ja, das bin ich! Ich weiss nicht, was ich sagen soll.»

«Hören Sie zu, normalerweise würde ich nun mit den rechtlichen Aspekten jetzt voll texten, aber die Zeit drängt. Der Patient X liegt im Sterben und dieser benötigt wirklich dringend Ihre Hilfe!»

«Ehhmmm...»

«Bitte entschuldigen Sie, dass ich so unprofessionell bin. Aber es liegt ein Menschenleben in Ihren Händen.»

«Ehmmm...»

Die Luft ist zu stickig und alles fühlt sich wie in einem Traum an, bei dem man weglaufen möchte, die Beine sich jedoch nicht bewegen.

«Mona, Sie haben die Möglichkeit ein Leben zu retten, worauf warten Sie denn noch. Wären Sie bereit dazu?»

«Ich... ehmm... bin dabei! Wo und wann soll es losgehen?»

«Am besten so schnell wie möglich! Ich informiere umgehend das Krankenhaus und werde Sie auf dem Laufendem halten. Mit welcher Nummer und E-Mail sind erreichbar?»

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now