•VIERUNDFÜNFZIG - ER•

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Bereits am frühen Nachmittag sind einige Patienten nach ihrer Chemotherapie Infusion schon wieder nach Hause gegangen. Bei anderen, wie in meinem Fall dauert die Therapie viel länger und intensiver aufgrund meiner Diagnose.

Zu gerne würde ich jetzt ein Schimpfwort sagen - es bleibt mir jedoch im Hals stecken.

Denn die hochwirksame Flüssigkeit fliesst schon kontrolliert durch meinen Körper. Genauer gesagt durch den Port, der mir vor ein paar Jahren in einer kleinen Operation unter der Haut eingepflanzt wurde. Dieser besteht aus einer kleinen Kammer mit einem Schlauch, der in eine herznahe Vene mündet.

Über eine spezielle Nadel erhalte ich das Medikament direkt in den Port. So müssen die Engel in Weiss nicht jedes Mal neu in eine Vene gestochen werden.

du kannst dir nicht vorstellen, wie schmerzhaft diese Angelegenheit zu Beginn war. Damals setzten sich die Pfleger neben mich auf das Bett und stachen wie Bienen zu. Die Nadeln durchbohrten regelrecht meine Haut.

Ich liege im Sessel am Fenster und leide.

Zuerst geniesse ich abermals die tolle Aussicht über den Meatpacking District und die Wasserbehälter hoch über den Dächern von New York. Viel zu oft habe ich meinen Blick über die Dächer, die vielen Lichter, das Leben, streifen lassen.

Während Touristen dafür Geld bezahlen müssen, erhalte ich diesen Ausblick kostenlos inklusive Schmerzen natürlich.

Einer wenigen Vorteile des Krankenhauses, wenn ich es so klarstellen darf.

Meine Handfläche liegt an ihrer, wir halten wie zwei Teenager Händchen. Ich weiss nicht mehr, wann wir damit angefangen haben.

Aber das hier fühlt sich einfach so gut an, wenn nicht diese höllischen Schmerzen wären.

«Wo bist du nur mit deinen Gedanken? So ruhig kenne ich dich gar nicht!», bemerkt Mona.

«Oh! Entschuldige. Ich habe meine Gedanken schweifen lassen.»

«Du hast seit heute Vormittag so unruhig und abwesend gewirkt. Bedrückt dich sonst noch was?»

Wenn Mona wüsste....

«Bei mir ist alles soweit in Ordnung. Ohne meine Gedankenreise hätte ich so einiges nicht überstanden.... Erzähl mir doch lieber, wie du überhaupt zum Schreiben gekommen bist?»

«Während meiner kompletten Schulzeit mussten wir Aufsätze, Gedichte immer zu Papier bringen. Um unseren Wortschatz zu vergrössern beziehungsweise zu verbessern, mussten wir viel lesen. Boah und wie ich es hasste. Jeden Montag verbrachten wir damit, unsere Köpfe in Bücher zu stecken und die Buchstaben wie blutdurstige Vampire aufzusaugen. Zu Beginn - ich sag mal meiner Karriere hatte ich überhaupt nichts damit am Hut. Ja, man könnte fast schon sagen, dass es eine Hassliebe war. Und dann irgendwann während meiner Ausbildung war alles anders. Urplötzlich entdeckte die Leidenschaft zu Liebesromanen. Und weil damals mein Hobby sehr kostenintensiv war, begab ich mich auf die Suche nach einer kostenlosen App. Und so bin ich dann zuerst als stille Leserin auf Wattpad gelandet.»

«Ah, interessant...», sage ich.

«Und was liest du so?»

Und Fuck! Scheisse verdammt! Ich hätte es wissen müssen, dass Mona mir diese eine verdammte fucking Frage früher oder später stellen wird. Als Legastheniker datet man auch nicht eine Autorin.

«Momentan nichts. Aber um ehrlich zu sein.... Da gibt es etwas, was .... ehmm...»

Soll ich es ihr sagen? Soll ich ihr mein langbehütetes Geheimnis offenbaren?

«Ehmmm...»

«Jetzt mach es bitte nicht so spannend!

Ich platze vor Neugier.»

«Ehmm... Shadow Light.» platzt es aus mir heraus. Es war auch der einzige Buchtitel, der mir auf die Schnelle in den Sinn gekommen ist.

Mona sieht mich entgeistert an, dann lacht sie mich aus. «Ja, fast hätte ich es dir geglaubt, du Schlawiner. Jetzt sag schon, ich beisse dir ja nicht gleich den Kopf ab. Zumindest noch nicht.», witzelt sie.

Es ist mir verdammt unangenehm, weil meine Lüge nicht richtig ist.

«Lach mich bitte nicht aus! Jetzt im Ernst.»

«Weshalb sollte ich dich auslachen?», will Mona wissen. «Ich mag dich, Mona, und ich vertraue dir. Glaubst du, ich hätte dir sonst so viel von mir und meiner Welt preisgegeben...»

«Nein, das hättest du gewiss nicht, Louis!»

«Also gut! Ehmm um ehrlich zu sein, habe ich weder ein Lieblingsgenre, noch einen Lieblingsautor, noch einen Lieblingsroman. Jedes einzelne Wort zu entziffern ist für mich eine Herkulesaufgabe.»

«Ich bin auch nicht perfekt, Louis. Jeder von uns hat Stärken und Schwächen, die uns auszeichnen. Aber die wenigsten wissen, wie man mit den Schwächen von anderen umgehen sollte.

«Und jetzt? Was möchtest du mir damit sagen, Mona?»

«Ich mag dich sehr und auch wenn du das sicher nicht verstehst, tue ich das aus genau aus einem bestimmten Grund. Du hast mir gezeigt, dass man unperfekt perfekt für jemand anders sein kann...»

Ich sehe sie etwas merkwürdig an.

«Ach, so ein Mist, aber auch! In meinem Kopf hat sich dieser Satz so wunderschön angehört.»

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now