DREI - ICH

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Zuerst denke ich, dass ich träume. Aber dann höre ich meine Mutter erneut und ich bin mir sicher, dass ich definitiv nicht mehr fantasierte. Etwas rüttelt mich unsanft an den Schultern. Schlafbetrunken hebe ich die Augenlider und sehe Mom vor dem Bett stehen. Draussen muss es doch stockfinster sein.

«Lass mich doch in Ruhe.», brumme ich genervt.

«Mona!»

Ich rolle mich einfach zur Seite und ziehe mir die Decke bis zu den Ohren hoch.

Wieder rüttelt sie an meiner Schulter. «Mona, wach auf!»

Ich drehe mich zu ihr um und setzte mich stöhnend im Bett auf.

«Hat das nicht Zeit bis morgen früh?», gebe ich ihr zu Antwort.

Ihr energischer Blick ist mir die Antwort genug. «Ja, selbstverständlich. Nicht! dein Studium kann ja auf dich warten!»

Ich stöhne ein wenig. Als ich dann noch einen Blick auf den Wecker neben meinem Bett werfe, seufze ich laut.

Punkt 6:45 Uhr.

Verdammt! Ich kann es nicht wahrhaben....

Kaum haben die Ferien erst richtig angefangen, da sind sie auch schon wieder vorbei.

Einfach so! Zack! Boom! Bang!

Das Schlimmste an der ganzen Sache daran ist, wenn der ganze Spass für die einen vorbei ist, geht er für die anderen in unserem Land erst dann los. Das Leben als Student ist unfair. Aber sowas von!

«Mom, warum hast du mich nicht früher geweckt?»

«Mit bald 23 Jahren müsstest du eigentlich die Funktion eines Weckers kennen!», gibt sie mir zickig zur Antwort.

Seufzend reibe ich mir die Augen. Als ich aufstehe, tritt sie einen Schritt zurück.

«Tut mir leid! Ich beeile mich. Danke fürs Wecken!», sage ich mit gebrochener Stimme und versuche dabei zu lächeln.

Sie erwidert es dann zögerlich. Ich hole tief Luft und renne ins Badezimmer, um mich schnell vorzubereiten.

Als Erstes stelle ich mich unter die dampfend heisse dusche und versuche meine Muskeln zu entspannen, bis ich endlich wach bin. Danach steige ich aus der dusche und binde mir ein Handtuch um mich und eile wieder zurück in mein Zimmer.

Nachdem ich mit Umziehen fertig bin, ist es schon kurz vor halb Acht.

Widerwillig nehme ich meine schwarze Tasche und gehe hinunter in die Küche. Auf dem Weg bemerke ich, dass mein Telefon vibriert. Auch noch das. Drei verpasste Anrufe von meiner besten Freundin Sofie. Das fehlt mir noch. Wollen wir mal hoffen, dass sie nicht gleich in Panik geraten ist.

Ich lasse meine Tasche auf den Boden gleiten, wähle die Nummer meiner besten Freundin und sie hebt direkt nach dem ersten Klingeln ab. «Mona, endlich mein Gott! Ich habe schon panische Angst um dich!»

Genervt verdrehe ich die Augen – na, habe ich es nicht gesagt.

«Sofie, mach dir keine Sorgen!»

«Wie ich soll mir keine Sorgen machen? Hallo?! Du warst nicht da!»

«Wo sollte ich denn sein?», frage ich verwirrt nach.

Sie atmet einmal tief durch und antwortet: «Beispielsweise bei mir?»

Genau, da war doch was! Plötzlich habe ich einen Geistesblitz und erinnere mich an das gestrige Telefongespräch mit ihr. Sofie, die während ihren Ferien den Führerschein erfolgreich absolvierte, bekam am selben Tag ein Auto geschenkt. Und was für eines erst!

Ich kann mich genau an jenen Tag in den Ferien erinnern, an dem sie jauchzend vor Glück mit ihrem rotem VW Golf vorfuhr.

Meine Güte, wie sehr sie sich freute, als sie von ihrem Vater das nagelneue Auto bekam.

Doch dieses Geschenk hat auch seine Schattenseite. Auf diese Weise erkauft sich ihr Dad die Liebe seiner Tochter. Das erklärt so einiges.

Denn ihr Familienverhältnis und vor allem die verkorkste Tochter-Vater-Beziehung sind schwierig – es mangelt an Zärtlichkeit und Zuneigung.

Das Schlimmste aber daran ist, dass der Vater unmittelbar nach ihrer Geburt untertauchte und sich nur einmal im Jahr meldet.

«Mona, hörst du mir überhaupt noch zu?», reisst mich Sofie aus den Gedanken.

«Wie bitte? Ja, selbstverständlich!», lüge ich und verdrehe meine Augen erneut.

«Also, was jetzt? Kommst du nun raus oder nicht? Nein, warte! Kommst du gefälligst jetzt raus! Ich friere mir gleich den Arsch ab!», beklagt sie sich.

«Ja, gleich! Ich muss noch etwas...»

«Das kannst du auch unterwegs!», schlägt sie vor. Ihr Ton ist sehr bedrohlich.

«Okay, bis später.»

Abrupt ist die Verbindung unterbrochen. Einen Moment lang starre ich nun mein Handy an und gehe kurz in die Küche. Dort trinke ich schnell ein Glas Milch, packe mein Lunch ein und gehe mit meinen roten Chucks zur Tür. Ehe ich die Tür öffne, überlege ich mir, ob ich eine Jacke mitnehmen soll. Ich könnte wetten, dass Sofie wieder ihre Klimaanlage zu kühl eingestellt hat.

Wenn ich schon an den fahrenden Kühlschrank denke, wird es mir bereits frostig zumute.

Schnell schnappe ich meine blaue Jeansjacke und verabschiede mich von meiner Mutter.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now