97| Generation Endstation - Øyriøn

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Zur Information:
Bei diesem Kapitel handelt es sich lediglich um eine Erinnerung aus Øyriøns Jugend, die kein Teil der eigentlichen Geschichte ist.

×××

Heut die Nacht der Nächte. So 'ne Nacht, die's wahrscheinlich in dieser Konstellation niemals wieder gibt. Pin Pin gönnt sich noch 'n Zug von der Alufolie, er hat Schiss und raucht das H nur. Er is 'n guter Mensch und genau deshalb wird er einst ganz schrecklich abstürzen. Ich weiß es einfach. Um uns schert sich doch ohnehin kein Schwanz, denn wir sind Generation Endstation. Nach uns wird's niemanden mehr geben, weil wir's ganz bestimmt schaffen werden, uns diese Welt unterzuordnen und sie ein für allemal zerstören. Neben mir fickt 'n echter Junkie seine Freundin. Er nimmt sie von hinten und trotzdem ungeschützt, weil er meint, auf diese Weise könne er sich keine Geschlechtskrankheiten einfangen. Vollidiot. Ich zieh das Tourniquet fester, die Venen treten blau hervor. Fast wie kleine Bäche, in denen meine krebsigen Gedanken fließen. Und ich mach sie alle krank. Die Nadel sticht mir ins Fleisch.

Einatmen.

Leichter Schmerz füllt meinen Schädel. Er is schön, denn es is der von schwarzem Herzen stammenden Pein der sich selbst verschluckenden Welt und ich kann ihn mit Fledderleib und Kohlseele genießen.

Ausatmen.

Die Sicht wird wieder klar, die Pupillen schrumpfen auf Stecknadelgröße und ich schau trotzdem durch fremde Galaxien. Die Sterne schmiegen sich wie Sommersprossen an mein Gesicht. Ich bin im Himmel.

»Generation Endstation! Nach uns liegt die Erde stumm.«

Der Scotch, den ich auf meine Worte hin trink, war unsagbar teuer. Doch wir sind Arschlöcher, die sich was sie brauchen, nich leisten können und deshalb haben wir die Flasche gestohlen. Jetzt brennt der Scheiß wie Hölle in meiner Kehle. Ganz so, als wär's die Strafe dafür, was ich getan hab. Ich bin 'n Sünder, allerdings gibt's kein Karma mehr für diese Menschen hier um mich herum. Und das wissen sie. Vorhin haben wir noch 'ne Winzigkeit unreines Koks auf der Schnauze von 'ner Bullenkarre gezogen und all die Normen über Bord geworfen, denn wir haben sie in unserem Leben noch nie gebraucht. Scheiß drauf. Pin Pin lacht ganz leise in den Pullover seiner hübschen, einäugigen Katharina hinein. Es is so schön warm neben dem schwarz mattierten Bentley von Herrn Beck. Wir haben das Auto angezündet, denn der Besitzer is 'n verdammter Hurenbock. Und wir haben uns selbst in ihm gesehen. Wollen wir's doch nich zugeben. Wollen lieber für 'n Nacht so tun, als wären wir unsterblich.

Nach uns liegt die Welt stumm im Stuhlgewitter und den verreckten Gedanken der Menschen, die nich ein einziges Mal überhaupt versucht haben, etwas dran zu verändern. Pin Pin hustet blutverschmierte Kotze und wischt sich schief grinsend mit dem Ärmel über den Mund. Die Bröckchen bleiben dennoch auf seiner Haut kleben. Dieses langgezogene Stück Leder, das irgendwie fast Porzellan gleich kommt und dennoch so schlecht durchblutet wird. Vielleicht. Ich hab die Schnauze voll. Mir steckt 'ne Nadel in der Armbeuge und es is so schön schmerzfrei, dass es mich rein gar nich stört. Von mir aus könnt's auch gern für immer so bleiben und es wär mir völlig egal. Es geht mir gut. Für 'n kurzen Moment nur. Und das vergammelnde Fleisch is für mich nich im geringsten von Relevanz. Der Mensch verrottet wie 'ne Leiche, wenn er nichts zu tun hat und seine Gedanken wiederholen sich immer und immer wieder, als wären sie auf 'ner Klopapier Rolle aufgespannt und irgendein Verrückter zieht dran wie 'n Sack Knochenmehl an den Nerven eines Nekrophilen.

Pin Pin klopft mir fast schon aufmunternd auf die Schulter, ganz so, als würd das alles hier jemals wieder besser werden und es gäb 'ne verfickte zweite Chance für jeden von uns, doch dem is nich so. Immer mal wieder bleibt mir nur kurz die Luft weg, weil meine Organe sich schon wieder zusammen ziehen wie in 'nem Schraubstock. Das kaum noch recht arbeitende Hirn is verklebt, als wären meine Sorgen und Ängste die verseuchte Spucke der halbstarken Schwächlinge, die wie wir auch auf den Straßen von scheiß Neukölln herum lungern und sich ebenfalls nich davor scheuen, mal auf'n Boden zu rotzen. Ziellose Zielvorrichtungen für zielfernes Leben und zielgerichtetes Ficken, doch Ziele haben sie alle miteinander keine, so auch ich. Und ich schlepp 'n scheiß schweren Koffer mit mir durch die Gegend, 'n abgefuckter scheiß Koffer, der mit Selbstzweifeln und Unsicherheit gefüllt. Bis oben hin. Leise erbrech ich mich in meine Mundhöhle und spuck's aus. Pin Pin verzieht das Gesicht und klagt, ich hätt ihm auf die Alufolie gereihert, der Fickmensch an meiner Seite sagt gar nichts dazu. Vielleicht, weil er weiß, dass ich auch seine Körperflüssigkeiten auf meiner Kleidung erdulde. Denn wie viel is so 'ne Jeans schon wert und wer is dieser Kerl überhaupt? Eigentlich is es egal, denn er hat guten Stoff und der schwarz mattierte Bentley von Herrn Beck brennt in aller Ruhe aus. Er lässt sich Zeit, denn wo muss 'n Bentley, der seit Jahren ausgedient hat, schon sein?

Das Heroin macht mich für mich selbst erträglich und ich bin ein einziges verficktes Mal in meinem Leben in der Lage, mich auszuhalten. Und das, obwohl sie zu mir sagten, ich sei dazu gar nich stark genug und würd mir unter Garantie irgendwann die Kehle in irgendeinem verranzten Keller durchschneiden oder mich mit 'ner scheiß gestreiften Krawatte um den Hals erhängen, um dem zu trotzen, wofür mein alter Herr mit ach so breiter Brust steht. Doch nein, heut bin ich gut drauf. Lasst uns feiern, die ganze Welt in Schutt und Asche legen und im Anschluss auf die letzten Fetzen der verbliebenen Scheiße pissen. Das Feuer des Verlangens mit unserem sauren Urin voller Blut löschen. Die Typen in den Anzügen, sie lachen die ganze Zeit über uns, dabei sind ihre Westen getränkt von Lebenssaft und Gedärm. Auf unseren klebt lediglich Kotze und Wichse, vielleicht auch noch Unschuld, wenn's reicht. Und wir laufen der Unendlichkeit stumm, dafür mit offenen Armen entgegen. Für immer. Weil die Sucht ein einziger, langer Todesmarsch is und wir nich viel mehr sind als unsere eigenen Henker. Was bleibt, is die Furcht, die uns formt und umgräbt wie 'n scheiß Acker. Der vergiftete Acker der Sucht. Es is gut so. Denn die Spreu trennt sich vom Weizen, wenn der Rauch und die schwangeren Wolken am Himmel eines Tages wieder eins werden. Pin Pin schnippt vor meinem Gesicht herum, scheinbar hat er jetzt den Gefallen an der Kriminalität verschmeckt.

»Hey, Øyriøn! Was meinst du, sollen wir uns noch 'ne Karre suchen, die wir anzünden können? Die hier brennt so schön, da wird mir ganz warm ums Herz.«

»Nein, Mann. Lassen wir den anderen Leuten ihr Hab und Gut. Vielleicht brauchen sie's noch, um morgen früh zur Arbeit zu fahren und ihre Familie zu versorgen. Ich will niemandem die Existenz zerstören, denn das passiert früher oder später sowieso.«

»Ach, komm schon, Alter! Wo is der Typ, mit dem man 'ne Band ausrauben könnte, weil ihm einfach alles scheißegal is?«

Will er wissen und steht auf, er kann nich mehr grad laufen und stößt sich das Knie an 'ner alten Mülltonne, die ebenfalls Feuer gefangen hat. Scheiße, das hier is so ziemlich alles, was mich glücklich macht, in Kombination mit dem Heroin. Doch in diesem Moment geht's mir ehrlich gesagt recht gut. Braune Brocken machen mich glücklich, solange sie vorhanden sind. Das Leben kann so einfach sein, man macht's sich nur aus reiner Langeweile schwer. Ich dreh den Kopf und spuck zur Seite, dem Weib des fremden Junkies versehentlich zwischen die Beine. Aber keiner von beiden interessiert sich dafür, sie sind zu beschäftigt damit, sich gegenseitig die Seele aus'm gequälten Leib zu ficken und nur, weil er sich für 'n kurzen Augenblick aufgerichtet hat, heißt das noch lange nich, dass ihr im Rausch die Rotze auffallen muss.

»Ich hab nie gesagt, dass mir alles scheißegal is, da musst du schon zuhören, Kumpel. Ich mein nur, dass mir andere Dinge wichtig sind.«

»Okay, ich versteh schon, aber dann lass uns besser mal nach Hause gehen.«

Mischt sich die schöne Katharina ein, ihre Jeansjacke riecht angenehm nach Gras, aber sie is immer so verdammt unentspannt. So extrem aufgekratzt und Pin Pin steht offenbar drauf. Er hat wirklich 'n mehr als komischen Geschmack, was Frauen angeht. Jede seiner Freundinnen war bis jetzt irgendwie 'n bisschen unvollständig in der Optik, aber dafür überbesetzt in Sachen innerer Werte. Wo er die nur immer findet? Ich weiß es nich, doch ich steh langsam aber sicher wieder auf und lass den fickenden Fixer hinter mir. Nur ihn, nich das Heroin. Das wird für den Rest meines Lebens an meiner Seite bleiben.

Stellt euch mal vor, Øyriøn würde sich als euer neuer Nachbar vorstellen

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Stellt euch mal vor, Øyriøn würde sich als euer neuer Nachbar vorstellen. Wäre das erfreulich für euch oder eher nicht?

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now