88| Familienmord - Øyriøn

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»Du siehst ja schrecklich aus, Oliver.«

Gackert meine Tante Christine, als wär ich mal irgendwann 'ne verfickte Augenweide gewesen und ich halt einfach meine Fresse, weil ich bereits Kopfschmerzen hab und Shelby unter dem Tisch meine Hand hält.

»Mein Gott, hast du aber abgenommen, Oliver.«

Kommentiert meine Schwester ganz erschrocken, als wär ich nich schon immer so dünn gewesen und ich halt einfach meine Fresse, weil ich hier nich sein will und Shelby mit ihrem Daumen kleine Kreise auf meiner Hand zieht.

»Oh, du bist das Klischee, das man im Kopf hat, wenn man an einen Junkie denkt, Oliver.«

Mault mein Bruder mit 'nem gefährlichen Tick Übermut in seiner verdammten Stimme, als wär ich früher 'n braver, kleiner Kerl gewesen, der immer so verfickt systemkonform agiert wie er selbst und ich halt einfach meine Fresse, weil's sich schon wieder anfühlt, als würd mein Magen sich nach außen stülpen und Shelby mich mit ihrer bloßen Anwesenheit beruhigt.

»Warum bist du überhaupt hergekommen? Überlegst du etwa die ganze Nacht, was du tun kannst, um mir das Leben schwer zu machen, Oliver?«

Schnauzt mein Vater vorwurfsvoll, als wär es denn 'n scheiß Verbrechen, sich zu ihm und seiner verdammten, elitären, aber deshalb nich minder an wunderbar getakteten Tragödien zerbrochenen Familie an den Tisch zu setzen, nur weil ich 'n dreckiger Fixer bin und ich halt einfach meine Fresse, weil ich in diesem Moment am liebsten sofort verrecken würd und Shelby mir vorhin in 'nem unbeobachteten Moment ins Ohr gehaucht hat, wie gern sie meinen alten Herrn für seine Arroganz in den Arsch treten würd.

»Nun hört gefälligst auf, den Ärmsten so zu belagern und ganz besonders du, Michael. Er ist dein Sohn und außerdem gerade erst zur Tür rein gekommen.«

Schimpft meine Großmutter und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Alle Anderen senken die Köpfe und widmen sich wieder ihrem Essen, von dem ich nich einen Bissen die trockene Kehle runter gewürgt bekomm. Es schmeckt anscheinend auch wie Scheiße, denn Tante Angelika hat gekocht. Ich kann sie nich besonders leiden, weil sie mich als Jugendlichen immer an meinen Vater verriet, wenn sie mich beim Rauchen erwischte und der schlug mich hinterher grün und blau. Einmal, das weiß ich noch genau, da kam er in mein Zimmer, als ich grad meine Crackpfeife draußen hatt und er drohte meinem damals 13-jährigen Ich, es ins Heim zu stecken. Hätt er vielleicht tun sollen, dann hätt mich unter Umständen 'ne Familie adoptiert, die mich liebt, denn meine liebe Großmutter hat sich als Einzige gefreut, als ich neulich anrief und verkündete, ich würd auch zum Familienessen kommen. Shelby hab ich aus Prinzip nich erwähnt, die Blicke waren göttlich. Und Onkel Thomas meine vor dem Essen noch zu mir, er hätt mich davor für schwul gehalten, was er nich hätt verkraften können. Sicher doch, denn was der Bauer nich kennt, das fickt er nich. Das Sprichwort ging nich so, ich weiß, aber ich musste grad irgendwie an Tonic denken und daran, wie er Charlie von hinten nimmt. Was für 'ne seltsame Vorstellung. Meine Schwester scheint zu verstehen, sie legt die Gabel nieder und lächelt mich an.

»Du hast Recht, Oma. Tut mir leid. Oliver, erzähl mal, wie hast du denn deine Freundin kennengelernt?«

»Das war in 'ner Straßenbahn. Ich war grad auf'm Weg zu 'nem Kumpel, um mir 'n Hit zu holen, da saß sie im Wagon mit ihrem Hund, so kamen wir ins Gespräch. Später fiel ich im Delirium die Treppe runter und kam ins Krankenhaus, als ich entlassen wurd, ging mit Freunden feiern und hab Shelby im Club wieder getroffen. Einer meiner Kumpels hat 'se angebaggert, da hat 'se ihm Jack Daniels ins Gesicht geschüttet und wir sind gegangen.« 

Während ich noch am Reden bin, muss ich immer mehr grinsen, bis es sich fast anfühlt, als würden meine Mundwinkel reißen. Shelby hat für heut ihr wunderschönes Punk Image abgelegt, jedenfalls das äußere. Innerlich is 'se natürlich noch immer das, was die scheiß Gesellschaft 'ne Zecke nennt. Denn Punk is 'ne Lebenseinstellung, scheißegal, wie man aussieht. Shelby hat sich zum Beispiel das Haar nach unten gekämmt statt nach oben und irgendwie hab ich das Gefühl, es würd selbst ganz gern wieder in die Höhe schießen, wird's doch von Taft gehalten, damit man die ausrasierten Seiten nich gleich sieht. Sie is trotzdem die schönste Frau der Welt und ich würd mit niemandem eher sterben als mit ihr. Ich mein's ernst, wenn Shelby vor mir sterben sollt, folg ich ihr, denn ohne sie wär mein Leben keines mehr. Sie is doch so viel mehr als mein Seelsorger und meine Therapie. Mir gegenüber verzieht mein Vater angewidert das glatt rasierte Gesicht und ich denk an Familienmord. Vielleicht. Nur 'n bisschen. Okay, ich würd gern 'n paar Leute in diesem Raum ausweiden und mich in Unschuld waschen, in ihrem Blut also. Mein alter Herr wär der Erste und meine Großmutter würd ich am Leben lassen, denn sie is 'n guter Mensch. Die Krawatte meines Vaters erinnert mich schon 'n bisschen an 'nen Strick, den man sich umbinden könnt, um dieser scheiß Feier zu entkommen. Vater stellt zum ersten Mal an diesem Abend direkten Blickkontakt her.

»Und wirst du endlich aufhören, ein solch peinlicher Idiot zu sein? Ich meine, langsam geht es mir gegen den Strich, ständig gefragt zu werden, ob mein Sohn noch dieses Teufelszeug nimmt. Du bist ein erwachsener Mann und ich will mich nicht für dich schämen, denn ich habe einen Ruf zu verlieren, verstehst du mich?«

»Klar und deutlich, Sir. Und ich sag dir eins, es is mir scheißegal, was du von mir denkst. Selbst, wenn du mich enterbst, geb ich 'n Fick drauf, ich will dein Geld nich. Es widert mich an, denn ich weiß, dass du Existenzen zerstörst, um dieses bedruckte Papier zu kriegen.«

Schieß ich sofort zurück und meine Großmutter lächelt stumm weiter. Ich muss ich irgendwie dran erinnern, dass sie mich vor vielen Jahren mal vor 'ner Ohrfeige bewahrt hat. Die kaputtgestrittene Familie war essen und ich hab wohl etwas zu laut gefragt, was die Tabletten im Schrank von meiner Mutter bewirken, davon abgesehen, dass 'se dafür sorgen, dass sie vergisst, wer Vater is. Er selbst hat schon ausgeholt und meine Großmutter brach ihm fast das Handgelenk. Kinder solle man nich schlagen, meinte sie, besonders dann, wenn 'se die Wahrheit sagen. Gott, wie schlau sie is und mein Vater wird nur noch wütender, weil sie ihm nich zustimmt. Nur gut so, bescher dem alten Wichser 'n Herzinfarkt. Ich würd so gern aufstehen und mich verziehen, weil mich jetzt am Tisch abgesehen von zwei Leuten sowieso alle hassen, doch ich bleib einfach sitzen und fang wieder an, mit der Gabel in diesem wiederlichen Braten herumzustochern. Mein Magen rebelliert gegen all diese scheiß Nahrung, die ich mir normalerweise nich gönne, weil ich einfach nich das Geld dafür hab. Meistens gibt's bei mir einfach Ravioli aus der Dose. Natürlich kalt, denn ich hab weder 'ne Mikrowelle noch 'n funktionierenden Backofen. Schmeckt zwar scheiße, hält mich aber am Leben. Und Shelby klopft mir unter dem Tisch auf'n Oberschenkel. Mein Vater erhebt die Stimme wieder:

»Oliver! Ich hab mir nicht jahrelang den Arsch für dich aufgerissen. Ich hab so viel für dich getan und so dankst du es mir? Ohne mich wärst du doch schon längst obdachlos.«

»Und es wär weitaus besser als in dieser verfickten Wohnung zu vergammeln. Die scheiß Wände sind dreißig Prozent Schimmel und ich hab seltsame Punkte auf der Leber, die nich vom Heroin stammen. Aber keine Sorge, du machst mich auch in anderen Arten krank und das wird auch immer so bleiben, denn du hast kein Verständnis für das, was ich denk und kein Mensch sollt laut dir Gefühle haben.«

Ich steh auf, lass das Besteck einfach in den Teller fallen und verlass den Raum. Die liebe Familie bleibt zurück und flüstert. Nur Shelby folgt mir auf den Balkon. Ich werf erst mal zwei Blumentöpfe in die Einfahrt. Bin ja schließlich bloß zum Pöbeln hier. Mir is schlecht, das Methadon fickt meine Eingeweide und mir schießt die Magensäure in den Rachen. Die kleinen Stückchen kitzeln meine Speiseröhre und Shelby hält mir die Haare zurück, als ich mich über die Brüstung lehn und den Schlussverkauf behinn. Denn alles muss raus, dieser Körper stirbt nämlich und wird nich wiederbelebt. Die Bröckchen in der Milchstraße sehen zauberhaft aus, ich bin im siebten Kotzhimmel und setz mich apathisch zitternd auf den Boden. Ich hab keine Angst, will bloß nich mehr. Mir is alles zu viel. Mein System geht auf Glatteis und der Teich bricht unter ihm ein. Ich fall in die Ewigkeit. Erlösung is für Gläubige und ich bin der Anti-Christ.

Findet ihr, Øyriøn sollte ein Gespräch mit seinem Vater führen? Und wenn ja, wie sollte es eurer Meinung nach aussehen?

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Findet ihr, Øyriøn sollte ein Gespräch mit seinem Vater führen? Und wenn ja, wie sollte es eurer Meinung nach aussehen?

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now