50| Verwirrungsgefickt - Tonic

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Charlie ist dicht und er lehnt sich an mich, sein Atem fühlt sich so unnatürlich warm auf meiner Haut an und riecht irgendwie nach Verfall. Das Heroin zirkuliert in uns beiden und kapselt uns vom Rest der Welt ab. Ich genieße es, denn ich weiß, dass diese verdammte Zeit bald schon wieder vorbei sein wird und uns dann nur noch die deprimierende scheiß Realität bleibt, die Menschen reihenweise krank macht. Ich will nicht, dass dieser Augenblick je endet. Charlie ist eiskalt, doch ich kann ihn nicht wärmen, weil ich selbst friere wie der Wichser, der ich nun mal bin. Irgendwer hat den Plattenspieler angeworfen, denn Layne Staley singt schon wieder, als wäre er noch am Leben. Allerdings hat er sich bestimmt schon längst aus der Öffentlichkeit gefixt. Er ist doch tot, oder?

»I'd like to fly but my wings have been so denied«

Murmelt Charlie vor sich hin und ich hätte nie gedacht, dass seine Stimme so schön ist. Irgendwie klingt er fast so traurig, wie Staley es selbst war und auf der anderen Seite wieder fröhlich, aber das liegt vielleicht am Heroin. Wenn ich drauf bin, werde ich nämlich immer glücklich, weil ich dann perfekt bin, jedenfalls augenscheinlich. Eigentlich bin ich vollkommen im Arsch und seit Jahren nur noch müde, doch das Heroin täuscht stets darüber hinweg und ich kann mich im Spiegel wieder ertragen. Zumindest für eine Weile, was danach ist, kann ich schon wieder nicht beurteilen und es ist mir ehrlich gesagt auch völlig egal. Mir geht so ziemlich alles am Arsch vorbei, denn nichts ist für mich von Relevanz. Abgesehen von der Frage, ob ich noch Heroin zu Hause hab, natürlich.

Charlie ist anhänglich und ich versuche erst gar nicht, ihn loszuwerden. Vielleicht schläft er gleich wieder ein, es wäre besser für ihn. Seine Augen scheinen nicht mehr sonderlich schnell zu reagieren, das Heroin macht ihn lahm und färbt seine Iris so ekelhaft gelb wie Eiter. Das ist die hässliche Wahrheit, vor die manche Hurensöhne immer noch die Augen verschließen, obwohl deren Glotzmurmeln nicht mal gelblich mit Milchfilm obenauf werden. Drogen sind nicht cool und schon gar keine Alternative für irgendetwas, verdammte Scheiße. In diesem Moment hasse ich Ladja unglaublich. Scheiß Wichser. Er hätte mich mehr abschrecken müssen, wem wäre denn das Zittern aufgefallen? Das hätte auch Parkinson sein können und ich bin ein beschissener Lügner.

Mein Magen rebelliert gegen meinen Heroinkonsum und ich verspüre, das Bedürfnis, mich zu übergeben. Das passiert mir um ehrlich zu sein gar nicht so oft. Ich bin nämlich kein Kotzer wie Øyriøn. Ein Kotzbrocken vielleicht, aber doch kein Kotzer. Mein Pech, denn alles muss jetzt unbedingt raus und ich springe vom Sofa. Irgendwie sind meine Beine aber auch nicht mehr das, was sie einmal waren, denn sie knicken unter mir wie verschissene Grashalme und ich knalle wie ein Behinderter, der aus dem Rollstuhl geschubst wird, auf den Boden. Der riecht so komisch alt und warum fällt mir das erst jetzt auf? Charlie scheint nicht zu verstehen, was nicht mit mir stimmt, doch dafür hab ich jetzt keine Zeit.

Das Bad liegt gegenüber und ich muss nur noch hinkriechen, meine Arme funktionieren nämlich nach wie vor. Mein Kopf pocht dennoch und das Gefühl, meine Schädeldecke würde gleich nach oben hin aufgehen, verschwindet nicht so einfach. Es ist seltsam, nach so langer Zeit mal wieder in eine Kloschüssel zu starren, dabei bemerke ich außerdem diese Flecken auf dem weißen Keramik. Woher sie wohl stammen? Alles hier drin stinkt erbärmlich und ich bin schon wieder viel zu konfus. Was ist denn nun falsch mit der Abhängigkeit? Scheiße, ich bin sprunghaft und es stört mich. Komisch, sich selbst nach all der Zeit wieder selbst zu hassen, aber dennoch kein schönes Gefühl. Charlie ist mir wohl gefolgt, denn er klopft mir aufmunternd auf den Rücken.

»Was is los? Geht's dir nicht gut? Irgendwie is es amüsant, wenn das mal wem anders passiert«

Feixt er und fängt an zu lachen. Bevor ich ihm sagen kann, dass er sich doch bitte ins Knie ficken soll, wird er allerdings von einem Husten geschüttelt und beugt sich über den Rand der Badewanne. Während er sich da so schön übergibt, fällt meinem Körper offenbar auch wieder ein, weshalb ich hier bin und wir beide reihern synchron. Charlie in die Badewanne und ich in die Toilette. Ich hab ganz vergessen, wie befreiend es ist, wenn man eine Weile würgt, schier elend an den Magenschmerzen verreckt und sich all der Unrat plötzlich von einem lossagt. Unfassbar. Das kann man nicht beschreiben, man muss es einfach selbst erleben, nur besser nicht von Heroin. Oder doch, es ist mir schlicht und ergreifend egal. Meine Krämpfe verlieren langsam die Absicht, mich töten zu wollen, jedenfalls fühlt es sich mit viel Fantasie so an.

»We chase misprinted lies. We face the path of time and yet I fight, and yet I fight this battle all alone. No one to cry to, no place to call home«

Winselt Charlie mit einem Mal röchelnd, als er sich wieder aufrichtet. Erst als er mich herausfordernd angrinst, fällt mir ein, dass er Nutshell von Alice In Chains singt. Was für ein beschissener Song, er erinnert mich an alles, was mich manchmal zu einem Verlierer macht. Ich hätte Charlie eine Ohrfeige verpassen können, doch seine Stimme ist zu schön, um sie zu unterbrechen. Schöne Stimmen wollen geliebt werden, wie Øyriøn einst sagte, als wir alle vollkommen zugeknallt waren und gemeinsam mit der Pestkönigin und ein paar anderen Arschlöchern Silvester feierten. Gott, ich verachte Silvester von ganzem Herzen, es ist laut und sogar die verfickten Amateure saufen. Auf der anderen Seite kenne ich auch den ganzen scheiß Song auswendig und muss irgendwie mitsingen.

»My gift of self is raped, my privacy is raked. And yet I find, and yet I find repeating in my head - if I can't be my own, I'd feel better dead«

Warum auch immer hört sich meine Stimme kacke an, dabei bin ich doch auf irgendeine Art und Weise perfekt, nicht wahr? So eine Scheiße, es ist leicht, andere zu belügen, wenn man kein kompletter Vollspast ist, nur zu sich selbst ist man unterbewusst die ganze verfickte Zeit über ehrlich. Selbst dann, wenn man vorgibt, zu lügen. Es funktioniert einfach bloß in eine Richtung und ich sollte wissen, wovon ich da rede. Eigentlich ist mein ganzes scheiß Leben doch eine Lüge. Angefangen mit der Liebe. Die ist einzig und allein ein Mythos, um den Kindern die Wartezeit auf den Tod ein wenig zu verkürzen. Etwas wie Liebe existiert nicht wirklich und ist nur ein von Menschen gesetzter Parasit, der sich durch meinen Kopf frisst. Doch in Wahrheit ist da bloß der Drang, seinen Schwanz in etwas Warmes zu halten.

Charlie rutscht von der Badewanne und betrachtet mich von der Seite, er sieht so traurig aus. Ich würde ihn zu gern trösten. Vielleicht. Also rein theoretisch natürlich. Nicht, dass ich irgendetwas für ihn empfinden würde. Nun, abgesehen von tiefem Mitleid. Arme Transe, die mit ihrem gesamten Leben so viel glücklicher, als ich es unter Umständen jemals sein könnte und zu allem Überfluss auch noch mit sich selbst im Reinen ist. Verdammt, ich bin wirklich ein verdammter Neider. Langsam entferne ich mich von der vollgekotzten Toilette, die jetzt mit den Fetzen meiner letzten Mahlzeit gesprenkelt ist und lehne mich ebenfalls gegen die Badewanne. Charlie überlegt nicht lange und lässt den Kopf auf meine Schulter sinken. Es fühlt sich irgendwie vertraut an. Fast schon heimisch. Ich muss gleich wieder kotzen, so schön ist das.

»Du bist schon 'n Arsch, das steht außer Frage, aber du hast 'n weichen Kern und das is etwas, das mir davor gar nich aufgefallen is. Weißt du, ich dachte, du wärst irgendwie unzerstörbar oder so, aber es is doch ganz nett, wenn du mir beweist, dass dich das Heroin genauso fickt«

Meint Charlie und seufzt kaum hörbar. Er ist auch so ein verdammter Arsch, wie ich einer bin. Ich sehe die Parallelen zwischen uns beiden und kann sie fast mit den Händen greifen, doch sie gleiten mir durch die Finger und werden wieder eins mit dem Universum, aus dem sie gekommen sind. Charlie riecht nach kaltem Rauch und teurem Tabak. Das ist wahrscheinlich das Seltsame an uns Junkies. Wir haben eigentlich kein Geld und geben das wenige für Gift aus, das uns tötet, denn wenn wir uns schon kaputt fixen, dann auch bitte richtig. Wir haben ja auch sonst in unserem armseligen Leben, das uns Freude macht und Liebe ist im Grunde genommen ein Fremdwort für uns. Vielleicht verstört es mich deshalb so, dass Øyriøn plötzlich eine Freundin hat und ich tatsächlich Charlie statt Charlotte liebe.

Zwei Junkies kotzen synchron und in meinem Kopf lief die ganze Zeit Billy Idol

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Zwei Junkies kotzen synchron und in meinem Kopf lief die ganze Zeit Billy Idol. Sind sie mit ihrer Anti-Romantik nicht irgendwie süß?

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now