59| Taubheit - Pin Pin

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»Sie hatten einen Schlaganfall, wir mussten Sie deshalb für einige Stunden in ein künstliches Koma verlegen«

Die Stimme des Weißkittels macht mir Angst, sie kommt von irgendwoher, ich hab nur noch Augen für Jennifer. Sie heult ganz leise und ich wünscht, ich wär nicht wieder aufgewacht. Ich mach bloß Probleme, warum is Gott eigentlich so verdammt ungnädig mit mir? Im Ernst jetzt, fick dich, Gott. Du bist ein selbstgefälliger Arsch und ich will doch wirklich nicht viel von dir. Du musst mich nicht mit Wundern überschütten oder mir ewigen Reichtum aufs Auge drücken, damit ich mir die ganze Zeit über 'n Schuss nach dem anderen setzen kann. Ich möcht bloß sterben. Mir is auch völlig egal, auf welche Art und Weise es passiert, solange es überhaupt passiert. Von mir aus per Tumor oder Herzinfarkt. Is vielleicht 'n bisschen komisch, wenn einer für seinen eigenen Tod betet, aber es unterstreicht nur noch die Dringlichkeit.

»Ihr rechter Arm ist derzeit gelähmt, wir können leider noch nicht abschätzen, wie lange es dauern wird, bis sie ihn wieder spüren können. Es stand die Diskussion über eine Amputation im Raum, da die Wahrscheinlichkeit für eine Regeneration leider sehr gering ist«

Der Arzt hilft mir nicht aus dem Bett, er lächelt auch nicht, da is nich mal der Hauch von irgendeiner verfickten Emotion. Wahrscheinlich muss er jeden Tag so verdammt viele schlechte Nachrichten überbringen, da kriegt man irgendwann so 'ne beschissen monotone Routine rein. Ich versteh trotzdem noch nicht so ganz, was er von mir will. Der Kerl redet irgendwas von wegen mein Arm sei gelähmt, dabei spür ich doch rein gar nichts an mir. Wenn wir mal von meinem Schädel absehen, der brummt wie die Hölle höchstpersönlich. Gott, ich könnt jetzt grad stundenlang im Strahl kotzen. Verdammte Scheiße, könnt ich wirklich, mein Magen dreht sich mir schon die ganze Zeit über in meinem Innenleben und ich kann die Galle schon schmecken.

»Ich fühl mich beschissen, es ist mir egal, ob irgendwas an mir gelähmt is. Bitte helfen Sie mir einfach aus diesen verdammten Kabeln«

Ich hör mich so nasal an, als würde ich gleich zu heulen anfangen. Entweder das, oder ich fall gleich wieder ins Koma. Ich bin so verwirrt, bin ich denn jetzt ganz gelähmt oder nich? Ich kann mich nämlich überhaupt nich bewegen. Es is so seltsam, das hatte ich noch nie und dabei hab ich schon in meiner eigenen Kotze auf der Straße geschlafen. Hab ich wirklich, es existiert meines Wissens nach auch 'n Foto davon. Ich meine, Tonic hat's gemacht, weil er 'n verdammtes Arschloch is, das sich immer wieder gern am Leid Anderer ergötzt. Øyriøn hat ihn mal 'ne notgeile Fotze genannt und ihm unter die Nase gehalten, ihm würde wohl oder übel auch einer abgehen, wenn 'n anderer überfahren wird. Anschließend entstand 'ne ordentliche Prügelei zwischen den beiden und ich bin zwischen die Fronten geraten. Irgendwie vermiss ich Øyriøn. Ich vermiss mein altes Leben, das ich damals noch hatte, als alles zumindest oberflächlich in Ordnung war. Gott, das Heroin macht mich fertig.

Der Arzt zieht leise seufzend und nich minder schockiert 'n paar Kabel aus meinem rechten Arm und ich kann rein gar nichts spüren. Kein Wunder eigentlich, meine Nerven scheinen ja irgendwie nicht mehr so richtig zu funktionieren. Ich würd auf der anderen Seite auch ganz gern wissen, wie man überhaupt in diesen verkackten Zustand gerät. Wie viel Scheißdreck muss man sich über all die Jahre wohl reinpfeifen, um so tödlich gefühlstaub zu werden, dass man es nich mal mehr selbst merkt, wenn man 'nen verfickten Schlaganfall hat? Mein Leben is doch auch bloß die ewige Suche nach 'nem schwarzen Phantom, das sich immer und immer von mir abwendet. Das Phantom heißt Glück.

Zu gern hätt ich dem Arzt an der Stelle noch den Mittelfinger ins Gesicht gedrückt, doch einerseits bin ich zu schüchtern, um Leute zu beleidigen, dir mir eigentlich nur helfen wollen, auf der anderen Seite kann ich meinen rechten Arm wirklich nich mehr spüren. Er hängt einfach nur so an meinem restlichen Kadaver, als hätt man ihn halt aus ästhetischen Gründen angenäht, weil's ja auch irgendwie scheiße aussieht, wenn einem die Gliedmaßen fehlen. Dieser Arm, der gehört nich mehr zu mir, er is mir einfach völlig fremd. Als würd irgendwer bloß seinen eigenen Arm neben meinen Körper halten und sich so im Suff 'n lustigen Scherz erlauben. Mit der Ausnahme, dass das hier kein Scherz is, sondern die Realität und ich wahrscheinlich auf anderem Wege niemals aus dieser Illusion erwacht wär. Natürlich hab ich mich nich wie Tonic für unkaputtbar gehalten, aber 'ne gewisse Hoffnung, den Scheiß ewig durchziehen zu können, war schon irgendwie da.

Jennifer wischt ihre Tränen und all den Rotz, den sie meinetwegen weinen musste, am Ärmel ihres Pullovers ab und fährt sich abermals durch die Haare. Sie is so tapfer und ich fühl mich verfickt nochmal schuldig, weil ich ihr all diese Sorgen angetan hab. Wie schrecklich es sein muss, jeden gottverdammten Tag aufs neue Angst zu haben, jemanden zu verlieren, den man wirklich liebt. Und ich weiß mit zunehmender Sicherheit, dass Jennifer mich liebt, denn täte sie es nich, hätte sie mich längst verlassen. Das is doch eigentlich auch die einzig logische Schlussfolgerung. Ich könnt wahrscheinlich nicht bei jemandem bleiben, der das Heroin mehr liebt als mich, aber ich hasse mich auch selbst und das wird nicht besser. Eher schlimmer, doch das is wohl oder übel der Verlauf des Lebens. Irgendwann geht's halt nur noch abwärts, obwohl es vorher nie aufwärts ging. Es muss auch Verlierer geben.

»Ich kann verstehen, dass Sie große Angst haben und noch nicht wissen, was auf Sie zukommen wird, doch ich versichere Ihnen, dass es kein Weltuntergang ist.«

Dieser Arsch im weißen Kittel macht mich noch ganz kirre. Warum in aller Welt soll es denn auch grauenhaft sein, die Kontrolle über eines seiner Körperteile zu verlieren? Das wünscht sich doch jeder. Ich könnt heulen, bis ich in meinen eigenen Tränen ertrinke, aber ich kann nicht. Das Heulen liegt mir irgendwie so gar nich mehr, ich muss immer nachhelfen, wenn ich mich mal wieder entspannen will und das Heroin mir nich hilft. Ich fühl mich schlecht und könnt dem Arzt auf die Schuhe reihern, doch ich tu es nicht, denn in diesem Moment is nich nur mein nutzloser Arm gelähmt. In meinem Kopf überschlagen sich die Buchstaben, ich bin kein großer Redner und dazu noch Legastheniker, wenn ich 'n Brief schreib, sieht's immer aus, als hätt 'n kleines Kind auf Ketamin den verfasst, doch ich versuch mich einfach dran, schlagfertig zu antworten, denn dieser Kerl macht mich irre, wenn er mich so allwissend anlächelt und mir erzählt, alles wäre in Ordnung, während mein verficktes Leben grad vor meinen entzündeten, wahrscheinlich gelben Augen in die Brüche geht. Ich weiß nich, wie ich jetzt ausseh und vermeide den Blick in den Spiegel auch sonst nach Möglichkeit. Ich kann's nich ertragen, mich selbst zu sehen.

»Ich bin nur praktisch über Nacht zum Krüppel geworden, weil ich 'n scheiß Vollidiot bin und Sie erzählen mir, das wäre alles nich schlimm? Eigentlich haben Sie sogar Recht. Wissen Sie, was in Wirklichkeit schlimm is? Dass ich niemanden dafür beschuldigen kann, denn es is allein mein Verdienst. Ich hab mich zum Pflegefall gefixt, weil ich das verfickte Heroin einfach nich in Ruhe lassen kann«

Ich kann nicht aufhören zu reden, die Worte verlassen meinen Mund wie kleine Brocken Kotze und prallen an den kargen Wänden ab. Sie kommen zurück und erschlagen mich, ich will schon wieder sterben. Mein Arm is ja schonmal vorgegangen. Vielleicht is das ja irgendwie 'n dezent morbides Zeichen, dass ich bald das Zeitliche segne. Ich zerfalle langsam aber sicher in meine zersprungenen Einzelteile. Das wird's sein. Welchen Song sie wohl auf meiner Beerdigung spielen werden? Hoffentlich Nutshell von Alice In Chains. Der Song is mein Leben und das alles Junkies, deshalb existiert er. Nicht, um abzuschrecken oder um irgendwem zu erzählen, wie's is, 'n widerlicher Drücker zu sein. Der verdammte Song is 'ne Ode an all die Junkies dieser Welt, deshalb is er so kurz wie das Leben der Adressaten.

Ich kann nich analysieren und schon gar nich singen, ich hab auch keine Ahnung von Musik oder generell von irgendeiner gottverdammten Sache auf diesem Planeten. Das is dann auch schon alles, was ich wirklich weiß. Gott, ich will endlich nach Hause und mich hinlegen. Vielleicht sollt ich Mike anrufen, wenn er sich nich grad wieder 'ner scheiß Chemo unterzieht, die ihm rein gar nichts bringt. Scheiße, ich muss hier raus, sonst dreh ich durch.

Pin Pin weckt in mir immer den Wunsch, ihn zu umarmen, bis er aufhört sich selbst zu hassen

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Pin Pin weckt in mir immer den Wunsch, ihn zu umarmen, bis er aufhört sich selbst zu hassen. Und bei euch so?

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now