84| Verhandlungssache - Dimmu

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»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«

Das ist dann wohl oder übel diese eine bescheuerte, aber nun mal leider auch berühmt berüchtigte Frage, die ich jetzt offenbar nicht mehr beantworten muss, denn ich hab im Gericht ganz fest auf Unzulässigkeit plädiert und werd sicher bald getestet. Im Gegensatz zu 'nem echten Knast is mir so 'n Aufenthalt auf Zeit in 'ner Psychiatrie doch irgendwie lieber. Ich weiß auch nicht, warum. Is beides scheiße, aber diese Scheiße stinkt halt am wenigsten. Hier in scheiß Neukölln ändert sich ja sowieso bloß die Tiefe der Scheiße, in der man steckt. Scheiße übrigens, nur für den Fall, dass ich das noch nicht oft genug erwähnt hab. Ich bin ja schon fast 'n bisschen aufgeregt wegen diesen Test, den man angeordnet hat, als ich im Saal plötzlich von Stimmen zu sprechen begann, die mir befohlen hatten, Andreas zu töten. So gesehen is das auch gar nicht gelogen, Andreas' Stimme war es wirklich, die mich dazu brachte, ihn zu erschlagen. Er hat doch förmlich darum gebettelt, zu sterben, mit seinem Geschrei und dem ganzen Scheiß, den er so abgezogen hat. Von Vergewaltigung bis Misshandlung, da war so ziemlich alles mit von der Partie.

Aber was denk ich jetzt so genau darüber nach? Die Arschgesichter können ja doch nicht in meinen Kopf sehen, um zu überprüfen, ob ich lüg oder nicht. Also, kein Stress, Dagmar. Ganz ruhig, du hast sowieso nichts mehr zu verlieren und die nach Pisse stinkende Zelle is wieder leer. Ich müsse darauf warten, bis mich der Psychologe besuchen kommt, hat man mir gesagt, und wenn ich mir in der Zwischenzeit das Leben nehm, sei es nicht schlimm, weil sich nämlich keiner um mich scheren würd und es am Ende vollkommen egal is, ob ich lebe oder sterbe, mal davon abgesehen, dass diese ekelhafte Zelle ohnehin der beste Ort zum Verrecken wär für mich, jedenfalls, wenn man den bärtigen Gefängniswärter nach seiner Meinung fragt. Und dabei war ich noch so unnötig höflich, ihm 'n Lächeln zu schenken. Verdammtes Arschloch, da war all meine gespielte Freundschaft dann doch wieder für die Katz, scheiße aber auch. Er meinte nur, ich würd ihn anwidern und ich antwortete ihm, das würde auf erschreckender Gegenseitigkeit beruhen. Vor allem, weil er 'ne verblasste Erinnerung seinerselbst is, sicher einer von denen, die früher in jeder Demo in der ersten Reihe standen und heut behaupten, sie seien ach so erwachsen geworden. Miese Heuchler.

Mit einem Mal geht die Tür und ich tue mein Bestes, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mir bei diesem ekelhaften Geräusch, das irgendwie schon ein bisschen an brechende Knochen erinnert, fast in die Hosen geschissen hab. Das einzige, das ich noch 'n wenig schlimmer find, is ja nach wie vor immer noch das Geräusch, das entsteht, wenn man jemanden 'n scheiß Zahn zieht. Das is mir schonmal passiert, als ich acht Jahre alt war und mein hinterer Backenzahn ganz leicht kariös war. Es waren höllische Schmerzen, die ich da hatte und aggressiv war ich deswegen auch noch, denn Zahnschmerzen steigen einem irgendwann ins Hirn. Mein Zahnarzt war allerdings 'n verdammter Hurenbock, denn hielt es irgendwie nich so wirklich für nötig, mich zu betäuben. Vielleicht war das das erste Mal, dass man 'n kleines Mädchen Fuck durch 'ne Praxis hat schreien hören. Im Anschluss hab ich dann irgendwann angefangen, mich auf'm Schulhof zu prügeln, wenn mich einer 'ne Schlampe nannte und ich konnte mir nich anders helfen, ich fand's einfach faszinierend, wie die Arschgesichter litten und es zählte auch nicht zu meinen Stärken, aufzuhören, wenn einer vor Schmerzen schrie, denn sie hatten es alle verdient.

»Guten Tag, Frau Wiehland, ich bin Herr Dietz, der Psychologe. Wie geht es Ihnen heute?«

Fragt mich da ein Mann mittleren Alters, der gerade bestimmt nicht so ganz freiwillig die Zelle betreten hat, in der ich vom Rest der Welt getrennt werd, damit ich niemandem Schaden zufügen kann, der eigentlich leiden sollte, für all seine Missetaten. Der Unbekannte trägt 'ne Brille und 'n extrem generischen, schwarzen Topfschnitt in Kombination mit 'nem grauen Anzug, der in mir den Wunsch wachsen lässt, meine gute alte Pfanne mal wieder zur Hand zu haben. Was für ein unsympathisches und obendrein auch noch unechtes Lächeln, das er da aufgesetzt hat, damit ich ihn vielleicht nicht sofort in eine Schublade stecken kann. Pech gehabt, in meinem Kopf is er jetzt der ewige BWL Student, seinem Aussehen nach. Er setzt sich mir gegenüber an den Tisch und ich will ihn einfach nur erwürgen, ich kann sein verficktes Aftershave riechen. Ekelhaft. Andreas hatte kein Aftershave, er roch entweder nach Rauch oder Kotze, manchmal auch so 'ne magendrehende Mischung aus beidem. Gott, wie oft ich ihn am Fuße der Treppe gefunden hab, den Döner vom letzten Abend in flüssiger Form über sein hässliches Gesicht verteilt. Wie sehr ich's gehasst hab. Ich entscheide mich dazu, dem Psychologen zu antworten, indem ich einfach Øyriøn zitiere:

»Ziemlich gut, den Umständen entsprechend. Die Stimmen sind stumm, das Schweigen so laut. Sie verstehen und wenn nicht, dann sind Sie glücklich.« 

»Man trug mir auf, Sie zu testen, nachdem Sie im Gerichtssaal darauf bestanden, unzulässig zu sein. Deshalb stelle ich Ihnen jetzt ein paar Fragen. Hören Sie die Stimmen nur dann, wenn Sie Drogen konsumieren?«

Erwidert er trocken, ohne groß darauf einzugehen, was ich eben zu ihm gesagt hab. So 'n verdammter Hurensohn und ich mach mir noch die Mühe, diesen einen Satz, den Øyriøn mal vor so langer Zeit vom Laster gelassen hat, aus der hintersten Ecke meines Verstandes zu kramen. War ja dann offensichtlich doch wieder umsonst. Scheiße aber auch. Das hier is 'n Test und er will herausfinden, ob ich simulier. Das weiß ich allerdings schon, ich hab ihn durchschaut, statt er mich. Er is Glas und ich bin Beton, undurchsichtig und tödlich, wenn's dir auf den Kopf fällt. Herr Dietz wartet noch immer auf 'ne Antwort von mir. Die kann er gern haben. Oh, warte nur, gedulde dich, ich hab ja Zeit und du nicht. Deine Frau fragt dich bestimmt, wo du so lange warst, wenn du nach Hause kommst und nicht mich. Wenn ich die Drogen vorzieh, wird's als Psychose abgetan, ob das reicht? Keine Ahnung, ich will's nicht riskieren, deshalb spiel ich einfach weiter mit.

»Ich nehm den Scheiß, damit ich die Stimmen eben nicht mehr hören kann. Wenn ich high bin, kann ich sie unterdrücken. Ich weiß, ich weiß, zum Tatzeitpunkt war ich breit wie 'n Spiegelei, aber das war nur Speed. Das hält bei mir nicht lange und die Wirkung ließ gerade wieder nach.«

»Und sind Sie sich im Klaren darüber, dass Sie eine schwere Straftat begangen haben? Die schlimmste und abscheulichste, zu der ein Mensch fähig ist?«

Will der Psychologe von mir wissen. Er schreibt ganz kräftig mit. Scheiße, hör doch mal nur für eine verdammte Sekunde auf damit, du machst mich ganz nervös. Nun gut, wahrscheinlich is das ja auch Sinn und Zweck der ganzen Sache hier. Scheiß drauf, ich kann doch jetzt nicht einfach aufhören und mich in den Knast werfen lassen. Ja, ich bin 'ne scheiß Mörderin. Nein, ich werde es auf gar keinen Fall zugeben. Denn das wird's sein, was mein Schicksal besiegelt. Ein Geständnis dieser Art. Was könnt ich denn nur sagen? Verdammt, wär doch nur Øyriøn hier. Er weiß schließlich so gut wie immer einen Ausweg. So hat er's mal vor 'ner halben Ewigkeit geschafft, die Bullen davon zu überzeugen, dass das weiße Pulver in meiner Jackentasche nur Mehl is. Am Ende hatten die Freunde und Helfer wahrscheinlich den Trip ihres erbärmlichen Lebens und wir unsere Ruhe. Oder so ähnlich. Der Psychologe sieht mich eindringlich an. Fuck, ich muss etwas sagen. Nur was? Komm schon, du schaffst das, du hast 'ne Leiche zerlegt, da wirst du das hier doch mit Leichtigkeit meistern. Einfach das Gesicht ohne jede Emotion halten und gewinnen. Egal, was du sagst, gib bloß nicht zu, dass du es bereust, denn das tust du nicht. Und erzähl ihm nicht, dass du es als Verbrechen ansiehst.

»Ich hab wohl mal irgendwann davon gehört, dass es 'ne Straftat zu sein scheint, aber es hat sich irgendwie nicht so angefühlt. Eher wie mein kleiner, persönlicher Triumph. Wissen Sie, jeder Mensch sollte einmal in seinem Leben die frischen, dampfenden Eingeweide eines Anderen halten und somit erkennen, wie viel das eigene Leben wert ist. Die Person die ich gerade bin, sieht das jedenfalls so, wenn Sie mich in ein paar Stunden nochmal fragen, kann es auch sein, dass es in der Hinsicht schon wieder ganz anders aussieht.«

Um auf die Passage mit dem Zahn zurückzukommen, welches ist das ekelhafteste Geräusch, das ihr kennt und weshalb? Ich bin gespannt

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Um auf die Passage mit dem Zahn zurückzukommen, welches ist das ekelhafteste Geräusch, das ihr kennt und weshalb? Ich bin gespannt.

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now