82| Leichensandwich - Øyriøn

119 20 30
                                    

»Ich schätze, es wäre vielleicht ganz hilfreich, wenn ich Ihnen etwas Blut abnehmen würde. Ist das in Ordnung für Sie?«

Fragt der Arzt, Maynard heißt er zum Nachnamen und Shelby hält meine Hand. Sonst wär ich sicher längst aus'm Fenster gesprungen. Ich will nich hier sein, es riecht so sehr nach Desinfektionsmittel, dass mir fast die Galle hochkommt. Dennoch nick ich langsam und kratz mir die zerstochene Armbeuge durch den Pullover. Ich hab das Gefühl, dass das Universum auch durch meine Venen fließt und das Heroin hilft mir, ihm 'nen größeren Freiraum zu geben. Mir is schlecht. Schaut mich an, ich bin 'n räudiger Junkie und ich sitz hier beim Arzt, der mir sagt, er wolle mir helfen. Dabei is mir nich mehr zu helfen. Lasst mich einfach allein sterben, ich hab's ja irgendwie verdient. Mich hat keiner gefragt, ob ich Heroin will, ich hab's gefunden und fand die Idee spannend, obwohl ich als Kind die Toten gesehen hab. Zugedeckt vom Schnee und verzerrt vom Stoff. Es is Kunst für mich und ich bin 'n scheiß Poesieficker. Guten Tag.

»Dann setzen Sie sich doch bitte schonmal hier rüber und krempeln Sie den Ärmel hoch. Ich schreibe Ihnen solange ein Antibiotikum auf, das dürfte Ihre Gelbsucht ein wenig eindämmen.«

Fordert Maynard freundlich und ich steh auf. Zweiter Stock, für 'ne scheiß Querschnittslähmung würd's auf jeden Fall reichen, land ich so richtig schön verhängnisvoll, dass alle, die mich sehen, die Hände vor den Mund schlagen und sich lieber einen aufs Drama von der Palme wedeln, als 'n verfickten Krankenwagen zu rufen. Wenn nich, dann gibt's halt 'n extrem schickes Leichensandwich, wenn ich unten wie 'ne scheiß Melone aufschlag, meine Organe mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf Gesichtern und Schuhen verteil und Leute mit meinem Körper treff. Oder halt damit, was dann noch davon übrig is. Doch wer kümmert sich dann um Shelby? Letzte Nacht sagte sie mir, sie würd mich brauchen. Und nur weil 'se mich liebt, bringt 'se mich liebt, bringt 'se mich zum Arzt. Das hat mir die Scherben, die einst mein kaputtes Dornennadelherz zu sein versuchten, nochmals fein säuberlich zertreten und ich musst ganz bitter anfangen zu heulen. Weil ich sie auch liebe. Wahrscheinlich könnt ich ohne sie nicht leben und selbst das Sterben und der Versuch von selbigem hätte keinen Reiz.

Nichts wär von Bedeutung, die Welt so trist und Grau in Grau. Genau wie jetzt, nur ohne meinen Lichtblick. Meinen Anarchostern. Meine liebe Punkprinzessin. Wortlos setz ich also mich auf die Liege und schieb den Ärmel hoch. Die Einstiche, die darunter zum Vorschein kommen, verstören mich nich mehr, obwohl 'se rötlich und zum Teil auch lila sind und nach Gift schreien, weil das Methadon ihnen nich reicht. Sie spüren den Unterschied, meine Freunde, die ich besser nich hätt treffen sollen. Der Arzt legt mir 'n Tourniquet an, sagt man das so? Is mir ehrlich gesagt scheißegal, ich brauch Hilfe. Bitte schießen Sie mir in den Schädel, es is nich auszuhalten, ich will nich sein wie alle anderen, will ich brüllen, doch mir fehlt die Kraft. Ich hab das Bedürfnis, mit der Spritze, die Maynard in der Hand hat, zur Pestkönigin zu rennen. Meine Adern treten blau und heulend hervor, ich hör ihr Klagen. Und kein Kommentar darüber, wie heftig diese Einstiche sind. Maynard lächelt mich nur an und kündigt sich an. Hätt er auch sein lassen können, ich spür es ja ohnehin kaum noch. Mein Arm is zwar nich taub, aber es beruhigt mich irgendwie, das Kratzen in den Venen zu fühlen. Ich bin 'n Sklave meiner eigenen Zwänge und Shelby hält mir schon wieder die Hand, während Maynard die Kanüle mit meinem schwarzen Blut füllt. Dabei lächelt er. Netter Arzt.

»Ihre anderen Werte sind leider nicht die besten, da kann ich Sie nicht belügen. Ich weiß nicht, wie lange ihre Leber und Nieren das noch mitmachen, auch die restlichen Organe sind sehr mitgenommen von Ihrem Drogenkonsum. Um es kurz zu sagen: es sieht nicht gut aus, tut mir leid.«

»Wie lautet die Prognose? Sie wissen schon, wie viel Zeit bleibt mir, bis ich qualvoll verreck?«

Fall ich ihm ins Wort, ich wär zu gern aufgestanden, doch mir is so schwindelig, die ganze Welt tanzt vor meinen Augen und sie kann so gar nich tanzen. Ich schätze, ich bin schon wieder high. Allein davon, dass ich zu lange weg war. Wo is das Rauschland abgeblieben? Ich will wieder zurück und mich wie 'n Mensch fühlen, nich wie 'n lebendig gewordener Tumor. Doch das is, was ich bin. Ich bin krank und kann mich nich kontrollieren, bin 'ne wütende Gottheit und zugleich die schreiende Opfergabe, die Höllenqualen leidet. Und meine schwarze Poesie is eher Kotze gemischt mit scheiß braunem Blut. Manchmal wünscht ich, ich wär hirntot, doch ich denke, funktioniere und muss somit existieren. Es war schon wieder zu lang. Ich bin 'n scheiß Pill Head, hab den Teufel im Schrank und fress regelmäßig Planeten, die mir so schwer im Magen liegen, dass ich sonst nichts mehr fühlen kann. Ich zieh mich selbst außer Gefecht, weil ich niemanden verletzen will und dennoch tu ich's immer wieder. Wichtig werd ich irgendwem, dann stell ich das Heroin über die Person. Das muss aufhören, ja, ich weiß, doch wo anfangen, wenn man sich nich zu helfen weiß? Natürlich, ich bin niemand, den man bemitleiden sollt, denn es is allein meine Schuld. Heroin zerstört den ganzen Körper und ich hab's für böse Kunst gehalten. Hab 'n paar Stunden des Glücks und dafür meinen Verstand verloren. Maynard scheint zu überlegen. Wahrscheinlich wusste er schon, als ich reinkam, wann ich draufgeh, will's mir nur nich direkt sagen. Umsichtiger, menschlicher Mensch.

»Vielleicht ein halbes Jahr, mit Glück. Sie scheinen zäh zu sein, ich gebe Ihnen ein dreiviertel Jahr, Sie müssen Ihr Leben unbedingt umkrempeln und auf Methadon umsteigen reicht da nicht, befürchte ich.«

»Dann helfen Sie mir, was soll ich tun, wenn ich überleben will? Wo soll ich anfangen? Sagen Sie's mir, denn ich weiß es nich. Ich kann mir nich selbst helfen, das is es, was mich zum Süchtigen macht.« 

»Sie könnten sich zur Suchtberatung einschreiben, nicht einmal stationär. So, wie ich Sie nämlich einschätze, würde Ihnen das nicht helfen, aber reden Sie mit Anderen, tauschen Sie sich aus. Gehen Sie zum Beispiel auf Ex-Junkies zu und wenden Sie sich an Ihre Familie. Machen Sie kleine Schritte, aber denken Sie auch daran, dass eine Bluttransfusion Wunder bewirken könnte.«

Rät mir Maynard und setzt die Brille ab, ohne das Ding wirkt er 'n bisschen jünger. Mit dieser Erkenntnis will ich mich davon ablenken, dass ich nich über meine Familie nachdenken kann. Jedenfalls hab ich das nich vor. Ich weiß, kleine Schritte machen und so, aber mir liegt das nich und meine Familie hasst mich. Is morgen nich dieses scheiß Familienessen? Meine Großmutter will immer, dass ich dort bin, mein Vater würd mich wahrscheinlich am liebsten verjagen. Ich bin schließlich seine große Enttäuschung und meine Mutter war so edelmütig, es mit ihm auszuhalten. Ja, vielleicht sollt ich dorthin gehen. Maynard scheint drauf zu warten, dass ich was zu seinen Vorschlägen sag, doch meine Zunge is von der Sonne verbrannt, die ich verschluckt hab und mein kompletter Rachen gleich mit. So verabschieden wir uns, Shelby is still, bis wir auf'm Parkplatz neben ihrem Wagen stehen. Sie sieht mich an, aus ihren Smaragdaugen und weint 'ne stille Träne aus hochprozentiger Liebe und Trauer.

»Du hast ihn gehört, ein dreiviertel Jahr höchstens, mein Gott. Was wirst du denn jetzt tun?«

»Meine Familie besuchen, gleich morgen. Is 'n Haufen Arschlöcher und deshalb kommst du mit, damit ich mich unterwegs nich umbring. Denn ich vertrau dir und ich leg mein wertloses Leben in deine Hände.«

Sag ich ganz leis zu ihr und sie küsst mich. Wenn Shelby in meiner Nähe is, hab ich das Gefühl, ich war unsterblich und unkaputtbar, schöner Trugschein, ich bin 'n kleiner Lügner und meine Leber drückt. Kein Wunder, ich piss stets Blut und sprenkel meine Schüssel jeden Tag aufs neue. Eigentlich müsst es doch längst vorbei sein, doch irgendeine ungnädige Macht hält mich auch nach so vielen Jahren noch am Leben. Ich weiß nich, vielleicht bin ich verflucht wie Dead von Mayhem und kann mich nur selbst erlösen. Wahrscheinlicher is es aber, dass ich einfach Pech hab, denn der Tod wär um so vieles gnädiger als die Sucht, die zieht dich aus bis aufs letzte Hemd und du stehst seelisch nackt vor 'ner Masse an Menschen, die den Finger auf dich richten. Ich will ehrlich sein, ich will den Befund gar nich haben. Maynard meinte, er würde sich melden, wenn das Labor mein Blut untersucht hat. Ich wünschte, die Hütte würde vorher in die Luft fliegen, dann bin ich Schrödingers Junkie.

Wer von euch kennt eigentlich Doktor Maynard noch? Ich habe ihn sehr vermisst und musste dem Bedürfnis nachgehen, ihn wieder einzubauen

Ups! Ten obraz nie jest zgodny z naszymi wytycznymi. Aby kontynuować, spróbuj go usunąć lub użyć innego.

Wer von euch kennt eigentlich Doktor Maynard noch? Ich habe ihn sehr vermisst und musste dem Bedürfnis nachgehen, ihn wieder einzubauen.

Die üblichen Verdächtigen [✓]Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz