72| Den Dialog suchen - Dimmu

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Wie schön die Sonne aufgeht und wie wenig ich dafür übrig hab. Jetzt, wo ich wieder in der Zelle sitze. Jawohl, ich hab mein verdammtes Versprechen gehalten. Marius is jetzt zwar gefeuert worden, weil es natürlich aufgefallen ist, dass er einen der Häftlinge hat entwischen lassen. Und was ich getan hab, is auf der anderen Seite sicher Beamtenbestechung oder irgendwas in der Art. Kann ja sein, doch mein Leben is vorbei. Wie gern hätte ich der armen Pestkönigin noch 'n bisschen geholfen, sie wirkte so verdammt traurig, als ich ging. Der Haftrichter wird ordentlich auf mir herum hacken, zu welchem Preis eigentlich? Was hat er davon? Ich werde keine Reue für etwas Ermäßigung zeigen, denn da müsst ich lügen und das will ich nicht mehr.

Sie haben 'ne junge Frau mit blondem Zopf zu mir in die Zelle geschickt, damit ich mir nicht das Leben nehmen kann. Versteh ich schon, die Arschgesichter wollen sich ja nich die Möglichkeit entgehen lassen, eine Mörderin vor aller Augen auf die juristische Art und Weise zu ficken. Die Polizistin sitzt mir gegenüber am alibimäßigen Tisch und sucht scheinbar den Dialog. Sie hat keine Angst vor mir, ich kann's fast in ihren Augen sehen. Der Wahnsinn wohnt in den Augen der Menschen, darin kann man die Lüge erkennen. So viel mehr als Tränen und rote Adern, die bei vielen der armen Junkies platzen. Ich muss an Øyriøn und seine Freundin denken. Sie hat sich mir später noch kurz vorgestellt. Shelby is ihr Name. Nettes Mädchen, ich mag sie sehr. Scheint 'n starker Mensch zu sein, wenn sie es mit Øyriøn aufnehmen kann. Die zwei passen irgendwie zusammen. Ich muss lächeln, als ich dran denk, wie die beiden heiraten und Shelby ranzige Jeans und alte Stiefel statt 'nem scheiß Kleid trägt. Sie wäre die schönste Braut, die man sich vorstellen könnte. Und Øyriøn kann sich verdammt nochmal glücklich schätzen, sie zu haben. Die Polizistin grinst mich an.

»Erzählen Sie mir, warum haben Sie's getan?«

»Weil er mich krank gemacht hat, ganz einfach. Sicher, ich bin gestört, aber er war nicht leicht zu handhaben.«

Geb ich zurück und betrachte meine Hände, da hängen Gewebefetzen unter meinen Nägel und es ekelt mich kein bisschen an. Das Stück in zwanzig Teilen, ich hätte all die Stücke von Andreas verkaufen sollen. Oder essen. Ganz egal, einfach besser beseitigen, damit die Bullen mich nicht hätten erwischen können. Ja, scheiß drauf, jetzt is es schon zu spät und nach mir kräht kein Hahn mehr. Oder so ähnlich. Die Polizistin hebt die Augenbrauen, es liegt diese Skepsis in ihren dunklen Augen, als wolle sie bezweifeln, dass ich 'n kaltblütigen Mord begangen hab. Nur zu, ich zeig's dir, sein Blut klebt auf meinem Kleidern und sein Gesicht geistert durch meine Gedanken. Wirklich, ich kann keine verdammte Nacht mehr schlafen, weil ich immer und immer wieder an ihn denken muss. Natürlich, ich vermiss ihn nicht und ich bereue rein gar nichts, aber ich frag mich, was mit ihm passiert wär, hätte ich's nicht getan. Andreas mit seinem kurzen Schwanz und dem zu großen Ego. Und er dachte tatsächlich, ich würd mir beim Ficken nicht wen anders vorstellen. Meistens war's dann Peter Steele. Die Polizistin lächelt mich schon wieder so komisch an.

»Ich will ehrlich zu Ihnen sein, eigentlich bin ich dazu verpflichtet, dem Gesetz nicht abzuweichen, aber ich bewundere Sie. Darf ich Sie Dimmu nennen?«

»Wenn's Sie glücklich macht. Es soll mich jetzt wahrscheinlich freuen wie die Hölle, dass Sie 'ne Art morbides Idol in mir gefunden haben, aber die Wahrheit is, dass ich gelangweilt bin von den Menschen, die mich umgeben. Sie reden nur und handeln nicht.«

Es ist wahr, das Leben, das manch Anderer als lebenswert bezeichnet, geht mir am Arsch vorbei. Kinder wollt ich nie und all die Scheiße von wegen 'n verdammtes Haus kaufen und sich für immer an ein und denselben Kerl binden hätte ich doch sowieso nicht durchgehalten. Ich kenn mich doch nur allzu gut. Sicher doch, es mag unglaublich arrogant klingen und im Grunde genommen ist es das auch, aber was ich denke und für mich in meinem verstörenden Schädel weiter spinn, lass ich mir ganz bestimmt nich verbieten. Es is ja nicht so, dass ich mich auf'n nächsten Marktplatz stell und gegen sämtliche Ethnien hetz, die sich irgendwie von meiner eigenen unterscheiden. Die Polizistin legt den Kopf schief wie 'n dummer Köter, dem man seit Jahren vergeblich beizubringen versucht, sich auf seinen Arsch zu setzen. So 'n Vieh hatte ich als Kind mal, irgendwie kann ich mit den meisten Tieren nicht viel anfangen, bloß Charlies Katze find ich ziemlich lustig. Muschi heißt das Tier und das is auf irgendeine Art und Weise so richtig rotzig schön ironisch.

»Es geht mir einfach auf den nicht vorhandenen Sack, wenn sich die ganze Zeit jemand über 'n Anderen auskotzt und davon spricht, ihn umzubringen, es dann aber nicht tut. Ich hab nie davon gesprochen, es stattdessen getan. Mein Schicksal selbst in die Hand genommen, verstehen Sie?«

Sie versteht, jedenfalls tut sie so und nickt eifrig. Scheiße, ich brauch dringend wieder Speed, ich vermiss es so sehr. Oder einfach bloß 'ne verdammte Zigarette, sonst dreh ich durch. Komm schon, irgendwas. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Ich kratz mir die Unterarme 'n bisschen auf, das eigentlich mehr so 'ne Sache, die Fixer auf Turkey tun. Vor 'n paar Monaten hab ich Øyriøn gefragt, ob's denn wirklich weh tut, auf Turkey zu sein und hat bloß gelacht wie 'n Verrückter. Hat dann gemeint, dass nichts mehr so richtig schmerzt, wenn man mal 'ne eingewachsene Nadel im Arm hatte, aber 'ne Turkey-Phase sei trotzdem die Hölle auf Erden. Der Mann is irre, denn er geht nich zum Arzt, wenn ihm die Nadel abbricht und in seinem entzündeten Fleisch aus Narbengewebe stecken bleibt. Irre, aber sonst schwer in Ordnung, würd ich sagen. Ich kenn ihn ja schließlich schon echt lang. Jetzt find ich's irgendwie dermaßen schade, dass ich sein trauriges Gesicht nicht mehr sehen werd. Wie heißt er eigentlich mit bürgerlichem Namen? Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass 'ne Mutter ihren Sohn Øyriøn nennen würde. Andererseits sind wir auch hier in scheiß Neukölln, da is alles möglich, was schadet und schmerzt. Die Polizistin lehnt sich 'n Stück nach vorn und ihre Stimme wird etwas leiser.

»Ich hab gehört, Sie hätten ihn mit einer Pfanne erschlagen, stimmt das denn?«

»Ich hab auch seine Augen gegessen, seinen verschissenen Kadaver durch den Fleischwolf gedreht und ihn dann in Stücken in der Tiefkühltruhe aufbewahrt. In meiner Küche kann so ziemlich alles passieren. Aber er hat's verdient. Ich weiß, dass Sie und Ihre Kollegen da ganz anderer Meinung sind, doch Mord is nun mal die Selbstjustiz der Unterdrückten.«

Red ich so vor mich hin und mir kommt irgendwie der Gedanke, dass ich vielleicht damit anfangen sollte, 'n paar Bücher zu schreiben. Wenn ich doch ohnehin inhaftiert werd für weiß Gott wie lange, hab ich ja garantiert genügend Zeit. Wahrscheinlich bin ich tief in meinem Inneren 'ne müde Emanze, die sich selbst für die Emanzipation zu fein geworden is. Ja, das könnt es sein. Entweder das, oder ich werd schlicht und ergreifend verrückt und renn in Kürze nackt durch halb scheiß Neukölln.ich kenn mich doch, verwirrend bin ich allemal und ob's krank is, zu morden, wenn die Regierung das täglich tut, darüber lässt sich diskutieren. Scheiße, ich will jetzt verdammt nochmal 'ne Zigarette rauchen und nur 'n bisschen frische Luft schnappen. Allerdings wird mir Letzteres wahrscheinlich eher nicht vergönnt sein. Ich könnt ja lügen und sagen, ich hätt Asthma, aber das müsst ich am Ende unter Garantie schon wieder nachweisen. So viel Lust, den Bullen auf die Eier zu gehen, hab ich dann jetzt doch auch nicht. Vor allem, weil ich mal irgendwo gehört hab, dass die Schweine in Uniform echt super unentspannt reagieren, wenn man ihnen 'n bisschen zu sehr auf die Nerven geht. Schade eigentlich, mir is nämlich schon wieder langweilig. Irgendwie. Die Polizistin unterbricht meine Gedanken, ihre Stimme klingt so distanziert, als wär sie in 'nem völlig anderen Rauch und würd durch die Wand mit mir sprechen, doch das kann nicht sein. Ich weiß doch, dass sie verdammt nochmal ganz genau vor mir sitzt, denn ich kann sie sehen. Sie atmet mir ruhig ins Gesicht.

»Sagen Sie, Dimmu, haben Sie gute Kontakte zu den Junkies hier in der Gegend? Zum Tatzeitpunkt waren Sie nämlich auf Speed.«

»Oh, glauben Sie mir, die Junkies hier sind nette Leute. Etwas abgefuckt, die Jungs, aber grundsätzlich nett. Lassen Sie die besser aus dem Spiel, denn das Speed war einzig und allein meins. Das hier is meine Schlacht und ich werd allein antreten.«

Würdet ihr Dimmu als verrückt bezeichnen oder findet ihr, dass sie in gewissen Punkten auch im Recht liegt?

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Würdet ihr Dimmu als verrückt bezeichnen oder findet ihr, dass sie in gewissen Punkten auch im Recht liegt?

Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now