12| Gedankenkarussell - Charlie

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Mir fährt's so komisch im Magen rum und ich weiß auch nicht, ob ich gleich speihen oder scheißen muss. Es is 'n bisschen ekelhaft, so offen drüber nachzudenken, aber ich bin ja allein zu Hause in meinen Kopf kann keiner schauen. Sollte man auch besser nicht, denn da drin geht's manchmal ganz schön ab.

Darauf hätte ich auch mal wieder Lust, so richtig feiern und mir die Birne wegknallen. Vielleicht noch irgendwen flachlegen, Tonic hat mir 'n paar gute Tipps beigebracht. Was er mir da erzählt hat, hilft allerdings nur bei Frauen, manchmal ist es schon beschissen, dass ich in beiden Teams spiel, aber eigentlich is es mir auch scheißegal, weil's die anderen nicht stört.

Muschi hockt auf meinem Schoß und starrt mich an, als wolle sie sich in Sicherheit wiegen und wissen, ob ich noch lebe. Ich glaub, mal vor langer Zeit irgendwo gehört zu haben, dass Katzen ihre Besitzer fressen würden, wenn sie sie tot auffinden. Eigentlich echt praktisch, da muss keiner meine versüffte, widerliche Leiche aufräumen.

Ich streck eine Hand nach der Katze aus und kraul sie hinter den haarigen Ohren, während ich mir das Telefon an die Fratze press und hoff, dass Øyriøn endlich mal rangeht. Schließlich will ich endlich mal wieder mit dem alten Bastard reden, wenn ich ihn schon so lang nicht mehr gesehen hab. Der versteckt sich offensichtlich vor mir und die anderen auch.

Da, wie aus'm Nichts, ein Röcheln in der Leitung und ich bin wieder halbwegs bei der Sache. Entweder wird er gerade abgestochen, oder aber er kommt von der Toilette, das weiß ich nicht so genau und ehrlich gesagt will ich's auch gar nicht unbedingt erfahren. Ich möchte bloß 'n bisschen labern, denn das Alleinsein macht mich wahnsinnig.

»Hey, du altes Sackgesicht. Ich dacht schon, dich hätt's verrissen oder so, weil du's nich mehr für nötig hälst, dich zu melden«

Kräht es aus'm Hörer und ich bin schockiert. Der Ärmste klingt richtig beschissen, oder is das nur der bekackte Sound meiner Leitung? Bei mir is ja schließlich alles marode und jeder Elektriker, für den ich hier Maloche hätte, der würd mir aus'm Fenster springen, bevor er überhaupt weiß, dass ich zum Transvolk gehöre.

Nein, Øyriøn krächzt saumäßig erbärmlich und tut mir fast leid. Man könnte behaupten, er würde aktuell an 'ner arschigen, fetten Grippe krepieren, aber wir wissen beide, dass es mit ihm bestimmt bald zuende geht. Schade um ihn, ich mag ihn irgendwie, er is 'n echt putziger, kleiner Kerl und vielleicht wäre es ja irgendwann durch Zufall und mein Zutun dazu gekommen, dass ich ihn flachgelegt hätte.

»Tut mir ja leid, wenn ihr transphoben Ärsche euch vor mir versteckt. Ich wollt bloß anrufen, um dich einzuladen. Ich hab nämlich was da und wo es grad auf meinem Schoß liegt, muss ich an dich denken«

Erzähl ich ihm und auf meinem Schoß liegt eigentlich überhaupt nichts außer Muschi, aber ich bin zu faul, um ihm den Umstand zu erklären, dass das ominöse Tütchen in Wahrheit auf der Fensterbank neben meinem Bett flackt und ich nackt auf meiner durchgerammelten Matratze klebe. Irgendwie war mir einfach jede Faser viel zu lästig an meinem Körper und selbst jetzt schwitz ich noch immer so sehr, dass ich mir die Haut von den Knochen reißen will, weil's dann vielleicht endlich kühler wird. 

»Das klingt nach 'ner Idee, ich bin schon fast auf'm Weg. Wohnst'e immer noch in der Ranzbude über'm Imbiss?«

Fragt Øyriøn und keucht dabei so erschöpft in den Hörer, dass man meinen könnte, er ist 'nen Marathon gerannt, um ans Telefon gehen zu können. Vielleicht is er auch einfach nicht mehr so gut in Form wie früher. Ich hab ihn schon ewig nicht mehr gesehen, bestimmt zwei Monate, oder auch drei. Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man immer und überall das High sucht, stattdessen aber jedesmal im Down landet. Einem lebenslangen Down.

»Klar doch, aber nimm die Straßenbahn. In den Bezirk hier fährt nämlich kein Taxi«

Rat ich ihm noch und als wäre es inoffiziell abgesprochen, fangen meine russischen Nachbarn mit den gefühlten vierzehn Kindern mal wieder an, sich zu streiten. Vielleicht ficken sie auch bloß, das weiß ich nicht, aber es ist unmenschlich laut und hat was Animalisches. Manchmal will ich Russisch lernen, damit ich sie versteh und dann würd ich sie gern mit Kondomen bewerfen, damit sie sich nicht weiter fortpflanzen.

»Is gut, danke für's Anmerken. Ich komm vorbei, zieh dir schonmal was an, es deprimiert mich immer, dass dein Schwanz größer is, als meiner«

Damit legt er auf und ich frag mich, ob er mich echt so verfickt gut kennt, dass er weiß, wie gern ich mich der Nacktheit hingebe. Seltsam ist es schon, aber ich scher mich jetzt nicht weiter darum, lieber setz ich Muschi auf die Fensterbank und steig aus'm Bett, um nach 'ner hoffentlich nicht vollgekotzten Jeans zu greifen. Ich trag nie Unterwäsche, das stört mich, außerdem hab ich von Tonic gelernt, dass man das so macht.

Ich fühl mich 'n wenig zu sehr beobachtet, aber eigentlich is es ja nur meine verdammte Katze, die mich da anspannert. Irgendwie weiß ich noch immer ganz genau, wie ich Muschi gefunden hab. Ich kam von dem ätzenden Teilzeitjob nach Hause, den ich zu der Zeit hatte und sie hockte einfach im Treppenhaus. Koch war ich damals, besser gesagt Köchin, denn vor fünf Jahren war ich noch 'ne Frau und todunglücklich.

Mein Name war Charlotte und ich hab's gehasst, weil's mich an so viel Schlechtes erinnert hat. All die Abende als kleines Mädchen, an denen meine Mutter nicht zu Hause war und mein Vater sein übliches Spiel mit mir spielte. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich froh, dass der Bastard mittlerweile tot ist, außerdem hab ich auf seinen Sarg gerotzt, als er in die Erde gelassen wurde.

Mein Vater ist der verfickte Grund, weshalb ich niemals 'n Mädchen sein wollte und ich hab's auch kein einziges Mal versucht. Ich wollte das alles nicht. Nicht diese verschissenen Kurven, an denen er seine nach Tabak stinkenden Hände hatte. Mutter würde weinen, wenn ich's ihr erzähl, hat er immer behauptet und wenn er fertig war, is er einfach aufgestanden und aus'm Zimmer gegangen.

Der einzige Mensch, der in all den Jahren geheult hat, bin allerdings ich und manchmal, wenn ich nachts im Bett lieg und mal wieder nicht schlafen kann, weil die Gedanken in meinem Kopf Karussell fahren, da heule ich immer noch. Ich kann immerhin vielleicht mein Geschlecht ändern, aber nicht meine Vergangenheit. Die kann mir niemand nehmen und ich bin überhaupt nicht stolz drauf.

Aber ich werd mich hüten, zu 'nem verfickten Therapeuten zu gehen. Über irgendetwas reden, das noch nie irgendwen interessiert hat, was soll das schon nützen? Ich find's unsinnig. Völliger Humbug, außerdem kann ich mir das ja sowieso gar nicht leisten. Ich glaub, wenn ich ernsthaft krank werd und die Medikamente selbst zahlen muss, verreck ich wahrscheinlich.

Womit soll ich's denn auch zahlen? Mit verkackten Hosenknöpfen? Ich hab kein Geld, weil ich nicht arbeite. Zu gern würd ich's tun und wieder unabhängig sein, aber mir fehlt da diese eigentlich unwichtige Kleinigkeit, die sich heimtückisch Abschluss nennt. Ich hab ja noch nie irgendetwas fertig gebracht. Nicht mal, als ich mich aus der Welt schneiden wollte.

Ursprünglich hatte ich vor, mich zu beenden, allerdings hab ich kalte Füße bekommen und es gelassen, den Schwanz eingezogen, den ich damals noch gar nicht hatte. Der kam erst vor vier Jahren dazu und als ich völlig durch und fertig war, hab ich kurz davor meinen dreizehnten Geburtstag gefeiert. Mein Vater is an dem Tag wieder zu mir gekommen.

Zu mir. Auf mir. Über mir. Völlig egal, ich weiß, was ich meine und ich hab nicht vor, es jemals anders auszudrücken, weil ich dann wahrscheinlich derb heulen muss, was ich echt nicht will. Schließlich gehör ich nicht mehr zum schwachen Geschlecht, wie mein Vater es genannt hat. Und Mutter hat mir nie geglaubt. Irgendetwas hat sie aber gesagt von wegen es sei töricht, so einen Unfug auf der Beerdigung zu behaupten.

Seither hab ich nie wieder gesehen und ich glaub, sie würd sich minimal erschrecken, wenn sie mich wieder sieht. Für einen Moment würde sie sich fragen, wo meine viel zu großen Titten hin sind, bevor ihr der Bart auffällt und sie gekränkt bemerkt, dass sie ein Monster großgezogen hat. Ach, ich liebe die Menschheit und deren Vorurteile. Jedenfalls, wenn ich so richtig drauf bin.

Mit diesem Gedanken schlüpf ich in ein Shirt, stolper zum Plattenspieler hinüber und grab im Schrank nach brauchbarem Vinyl. 'N bisschen guter Punk hat schließlich noch keinem geschadet.

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Die üblichen Verdächtigen [✓]Where stories live. Discover now