𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟜𝟚

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War Dag eventuell doch zu hart gewesen mit ihr?

Ja, Isabelle hatte sich ihm gegenüber falsch benommen, aber war das auch ein Grund Gleiches mit Gleichem zu vergelten?

Er war gar nicht der Typ dafür.

Zumindest nicht bei ihr.

Seine Gedanken schweiften wieder in der Vergangenheit. Sie hatten doch bereits schwere Zeiten gehabt. Wieso schafften sie es nicht, diese ebenso zu überwinden?

Er stand auf und ging ins Schlafzimmer. Er steuerte sofort den Kleiderschrank an und sah, dass all ihre Sachen noch da waren.

Hatte sie es sich vielleicht doch anders überlegt?

Wollte sie ihn nicht mehr verlassen?

Wollte sie doch weiterkämpfen?

Die Selbstvorwürfe in ihm stiegen an. Nicht nur wegen seines Verhaltens vorhin, sondern auch wieder wegen Carla.

Er griff nach einem Karton und setzte sich damit aufs Bett. Er wusste, dass Isabelle dort den Strampler mittlerweile aufbewahrte und alles andere, was sie mit Rio verband.

Dag öffnete den Karton und faltete den schwarzen Body auseinander.

Den Verlust hatte er ebenso nie überwunden. Rio würde immer ein Teil seines Herzens bleiben, auch wenn er nie die Möglichkeit hatte, ihn richtig kennenlernen zu dürfen.

Er roch an dem Kleidungsstück. Es duftete nach Isabelle, weil sie diejenige war, die ihn so oft in ihren Händen gehalten hatte.

Seine Augen schloss er automatisch. Egal, was war, aber er liebte sie immer noch. Er konnte das nicht einfach so abstellen.

Als er seine Augen wieder aufmachte, sah er einen Umschlag seitlich in der Kiste liegen. Mit Bedacht zog er ihn nach draußen. An mein geliebtes Kind hatte sie aufs Kuvert geschrieben.

Vorsichtig öffnete er ihn und holte das Schreiben, das sich darin befand heraus.

Mein geliebter Rio,

Mein Therapeut ist der Meinung, es würde mir helfen, wenn ich dir einige Zeilen schreibe. Ob es hilft, weiß ich nicht, und ich bin mir auch nicht mal sicher, ob dich diese Worte irgendwie erreichen, aber ich glaube daran, das du auch ohne diese Sätze weißt, das es hier unten Menschen gibt, die dich niemals vergessen und dich auf ewig lieben werden.

Unser Alltag hat sich wesentlich verändert, als dein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Ich habe Schwierigkeiten, mich in diesem Leben, in dem du nicht existierst, zurechtzufinden. Es fühlt sich sehr oft an, als würde ein lebenswichtiger Teil meines Körpers fehlen, bis mir bewusst wird, dass dem wahrlich so ist. Denn mit dir starb ein wichtiger Teil in mir, weil du, mein Kind, ein unentbehrlicher Bestandteil meines Körpers und meines Lebens bist.

Deine große Schwester fordert ihren Alltag, was auch ihr Recht ist, denn sie wird genauso geliebt und war genauso gewollt wie du.

Es tut mir weh, zu wissen, was Nia durchmacht, denn sie hat mich in ihren jungen Jahren so oft weinen sehen, das sollte man im Grunde keinem Kind zumuten.

Und auch wenn ich versuche, stark zu sein, ist dein Vater derjenige, der mit Halt gibt. Derjenige, ohne den ich all das gar nicht überleben würde.

Ich liebe ihn so sehr. Das habe ich von Anfang an getan. Und ich weiß, wie sehr er dich liebt und wie sehr es ihm von Herzen quält, das er nie die Chance hatte, dir dies zu zeigen. Er ist so ein starker Mann und ich weiß, wenn du aufgewachsen wärst, wärst du sein genaues Ebenbild geworden.

Genauso stark, genauso aufopfernd wie er.

Ich liebe ihn dadurch umso mehr und habe zeitgleich ein schlechtes Gewissen, weil ich seine Schulter sein sollte ... sein Anker ... aber er verdrängt alles, mir zuliebe.

Was er nicht tun sollte. Doch er weiß, wie schwach ich bin, und will mich damit im Grunde nur schützen.

So war er schon immer.

Du wärst stolz gewesen, ihn deinen Papa nennen zu dürfen, dessen bin ich mir sicher.

Er war nicht da, als du in diese Welt geboren wurdest. Still und leise.

Ich weiß, dass ihm dadurch etwas fehlt, aber er dich deshalb nicht weniger vermisst und liebt, wie ich es tue.

Deine Geburt und die Stunden, während denen dein kleiner, zerbrechlicher Körper neben mir im Krankenhausbett gelegen hat, sind heute für mich enorm kostbar. Du warst so wunderschön. Dieselben Emotionen und Muttergefühle sprudelten in mir hoch, wie ich es damals bei deiner Schwester erlebt hatte. Nur mit dem Unterschied das ich wusste, dass du nicht bei mir bleiben durftest.

All diese Gefühle, die guten und die schlechten, habe ich gesammelt und irgendwo in meinem Kopf vorsichtig aufgehoben. Wenn ich dich vermisse, und das ist sehr oft der Fall, hole ich sie wieder hervor und stöbere in ihnen.

Dich auf diese Welt zu bringen, im Wissen darum, dass du mich danach nie mit deinem Blick mustern, dass du nie vor lauter Geborgenheit an meiner Brust einnicken würdest, war die größte sowie schwerste Bemühung meines Lebens.

Dich zu gebären, obwohl weder mein Körper noch meine Mutterliebe bereit waren, dich loszulassen, sind Gefühle, die mich ein lebenlang begleiten werden.

Doch ich weiß, das ich nicht alleine bin. Dein Vater und deine Schwester schenken mir meinen Lebenswillen.

Und auch wenn dein Vater dies hier nie lesen wird, möchte ich speziell ihm nochmal danken, dass er immer für mich da ist. Das er mich liebt und auf ewig lieben wird.

Falls es so etwas wie ein Leben danach geben sollte, freue ich mich schon, dir irgendwann wieder zu begegnen und dich dann für eine Ewigkeit nie wieder loszulassen.

Denn du Rio, bleibst unser Kind.

In Liebe

Deine dich vermissende Mama

Dag konnte die Tränen, die seine Wangen hinunterliefen, nicht zurückhalten. Nicht nur weil er sein Kind ebenso schmerzlich vermisste ... ihre aufgeschriebenen Worte trafen ihn hart.

Er durfte nicht aufgeben. Selbst wenn sie es tat, musste er Isabelle beweisen, dass er weiterhin ihre starke Seite war.

Ihr Anker.

Ich bin der falsche Mann für die richtige Frau (Band 2)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin