15 - Die Welt der Töne - Teil 1

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„Das heißt dann wohl, dass ich es mir künftig verkneifen muss, unter der Dusche zu singen. Jetzt, wo du mich hörst...", scherzte er und Emma schüttelte hastig den Kopf.

„Nein. Deine Stimme ist so schön. Ich glaube, ich werde nicht mehr genug davon bekommen. Wie von deinem Lachen. Das sind die schönsten Töne, die ich zu hören gelernt habe. Jetzt musst du wieder viel Lautsprache sprechen, Krümel, damit ich besser werde, die Worte nicht nur zu vernehmen, sondern sie auch zu verstehen. Ok?", erklärte sie und er nickte.

„Ok", sagte er und sie grinste.

„Das hab ich verstanden. Aber das war auch nicht schwer", gab sie zu und er strich ihr über die Wange.

„Dann bist du jetzt für deine Reha ab nächster Woche gut gerüstet, Kleines", stellte er fest und sie nickte.

Dann seufzte sie und meinte: „Ja, bis dahin sind Stimmen hoffentlich etwas lauter. Aber ich übe mit dir. Im Moment ist deine Stimme noch leise und wenn ich dich verstehen will, muss ich mich konzentrieren, aber das wird besser, oder?"

„Bestimmt, Kleines. Aber jetzt würde ich mir gerne was anziehen. Wird langsam kalt", erklärte er schmunzelnd und Emma fiel ein, dass er nur ein Handtuch anhatte, und wurde rot.

„Ok, ich gehe. Das heißt, ab jetzt Filme ohne Kopfhörer. Und viele neue Geräusche, die ich in Zukunft hören kann. Das ist das beste Weihnachtsgeschenk. Abgesehen von dem Candlelight-Dinner natürlich. Ich plappere. Ich sollte stattdessen gehen", erklärte sie und wandte sich der Tür zu.

Sie bemerkte Daniels Kopfschütteln, während er grinste, und ging hinaus. Vor dem Badezimmer lehnte sie sich gegen die Tür. Sie konnte Stimmen hören. Und es war noch schöner, als sie sich das vorgestellt hatte. Sie zitterte immer noch am ganzen Körper. Plötzlich hatte sie Sehnsucht danach, sich zu ihren Eltern zu setzen und sie um sich zu haben. Auch falls sich ihre Welt gerade wieder ein bisschen geändert hatte, waren sie ein Teil von ihr. Das würde immer so bleiben, erkannte sie und schüttelte den Kopf. So viel Neues. Da tat es gut, wenn man sich zu etwas flüchten konnte, das man kannte.

‚Dann wohl doch den Rest des Weihnachtsfilms', dachte sie und ging ins Wohnzimmer, um sich neben ihre erstaunten Eltern zu setzen.

„Bist du in Ordnung, Äffchen?", fragte ihr Vater sofort und sie nickte.

„Ja, ich bin in Ordnung. Mehr als das. Danke, dass ihr mich so unterstützt, Papa. Und dass Daniel hier sein darf. Das bedeutet nicht nur ihm eine Menge", erklärte Emma und er drückte lächelnd ihre Hand.

Dann küsste er sie auf die Stirn und sie lehnte sich an seine Schulter, so wie sie es immer getan hatte.

****

Die restlichen Feiertage waren für Emma genauso aufregend gewesen, erinnerte sich Daniel. Bei jedem Spaziergang blieb sie immer wieder stehen und lauschte. Sah sich um und machte die Quelle des Geräusches aus. Sie sagte ihm, sie fühle sich wie Alice im Wunderland. Kritisch war allerdings Silvester gewesen. Als der erste Böller in die Luft gejagt worden war, war Emma so erschrocken, dass sie am ganzen Körper zu zittern begonnen und ihn mit weitaufgerissenen Augen angesehen hatte.

Kurz darauf hatte erneut jemand einen Kracher in die Luft geschossen und wieder war sie so zusammengezuckt, dass sie ihren Empfänger von sich geworfen hatte. Er hatte versucht, ihr zu erklären, was solchen Lärm verursachte und sie hatte ihn angesehen, als käme er von einem anderen Stern. Wieso sollte man sich sowas freiwillig anhören, hatte sie gefragt und er hatte gemeint, er hätte keine Wahl. Dann hatte sie langsam genickt und geantwortet, sie habe eine. Für den Rest des Tages hatte sie sich in die Welt der Stille zurückgezogen und sich stattdessen an den Lichtern des Feuerwerks um Mitternacht erfreut.

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