1 - Rettung - Teil 1

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Emma schaute auf ihr Handy und dachte sich, dass sie es kaum erwarten konnte, nach Hause zu kommen, um sich in ihr Buch zu vertiefen. Sie hatte die Schnauze so voll. Die Jungs in ihrer Klasse hatten heute wieder nur Blödsinn gemacht und Melina hatte nur von Ben geschwärmt. Dieser war seit gestern jetzt zwei Jahre ihr Freund. Während Emma noch nicht mal geküsst worden war. Aber die Typen in ihrer Klasse waren ihr zu doof, und ansonsten? Keine Ahnung. Irgendwie brachte keiner ihr Herz zum Höherschlagen. Weswegen sie die Jungs in ihrer Klasse auch Eiskönigin nannten.

Sie seufzte und dachte sich, dass sie gar nicht so war. Sie war keine Eiskönigin. Sie wollte nur keinen dieser pubertierenden Blödmänner, die ständig über irgendwelchen unwichtigen Kram diskutierten. Heute hatten sie gerätselt, welche BH-Größe die Mädchen in der Klasse hatten und sie dann danach eingeteilt, wie sexy sie seien. Sie war, wie vermutet, auf dem letzten Platz gelandet. Denn bei ihrer Oberweite hatte sie nicht hier geschrien, wenn man sie mit der von Melina oder Babsi verglich. Aber das war ihr egal.

Also meistens. Sie war nun einmal sehr schlank und da wäre eine riesige Brust auch unvorteilhaft, oder? Außerdem war sie mit ihren grünen Augen und den langen, welligen, schwarzen Haar ja auch keine Vogelscheuche. Wieso machte sie sich überhaupt einen Kopf darüber? Sie war so, wie sie war und damit basta. Blöde Blödmänner, dachte sie noch und spürte das Vibrieren des Bodens, als sich die einfahrende U-Bahn näherte. Sie steckte ihr Handy in ihre Gesäßtasche und richtete den Blick nach vorne.

Plötzlich wurde sie unsanft von hinten Richtung Gleise gestoßen und verlor das Gleichgewicht. Sie fühlte, wie die Bahn näherkam, spürte den Fahrtwind und dachte schon, sie würde in das Gleisbett fallen, als sie am Arm gepackt und zurückgezogen wurde. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die U-Bahn, die just in diesem Moment an ihr vorbeifuhr, ehe der Zug zum Stehen kam. Sie bekam kaum Luft. Scheiße, das wäre beinahe böse ausgegangen. Sehr böse. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust und sie wirbelte herum, als sie angetippt wurde.

Sie starrte in das Gesicht eines Jungen mit wahnsinnig blauen Augen. Dunkelbraunes, kurzes Haar umrahmte das Konterfei des Jungen, der etwa in ihrer Altersgruppe war. Vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Er war mit einem T-Shirt und einer Jeans normal gekleidet, etwa einen Kopf größer als sie und eher schlaksig.

‚Wow, diese Augen. Ich hab noch nie so blaue Augen gesehen', schoss es ihr durch den Kopf und sie bemerkte, wie sein Gesicht einen irritierten Ausdruck annahm.

Sie zwang sich, den Blick zu seinen Lippen zu lenken und sofort fiel ihr auf, dass sein Mund sehr schön war. Sie hatte zumindest noch nie so einen schönen Mund gesehen. Der jetzt irgendetwas formte.

Sie konzentrierte sich und las die offenbar schon öfter wiederholte Frage: „Bist du o..."

Sie wurde rot, nickte und sagte: „Ja, danke."

Sie sprach nicht so gerne. Sie wusste nicht, wie es sich anhörte. Wie laut oder wie leise sie sprach. Ob sie die Buchstaben auch korrekt artikulierte. Kein Wunder, denn sie war seit ihrer Geburt gehörlos. Mit Hörenden hatte sie nicht so viel Kontakt. Ihre Eltern hielten nichts davon. Die hatten schlechte Erfahrungen damit gemacht.

Sie sah, wie sich die Lippen ihres Gegenübers bewegten und versuchte, dem zu folgen, was sie formten. Aber der Junge sprach zu hastig und drehte zu allem Übel auch noch den Kopf weg, so dass sie nicht mehr von seinem Mund lesen konnte. Er wandte sein Gesicht wieder zu ihr und sah sie an.

***

„Hey, bist du wirklich in Ordnung? Das war echt knapp! Diese Idioten, echt. Kloppen sich am Bahnsteig! Aber du musst meilenweit mit deinen Gedanken weggewesen sein. Die waren nicht gerade leise. Egal, ist ja nochmal gut ausgegangen. Jetzt liegen sich die Idioten wieder in den Armen. Na ja. Hm, ich bin Daniel. Wie heißt du?", fragte er und sah das Mädchen mit den grünen Augen vor sich, das ihn anstarrte, als hätte er was im Gesicht.

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