9 - Debatten - Teil 1

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Sie unterbrach sich und bemerkte, dass ihre Eltern sie nachdenklich ansahen und meinte: „Und das ist noch nicht alles, das ihr wissen solltet. Er lebt nicht am Hasenbergl, weil er kriminell oder gern dort ist, Papa. Er hasst es dort. Er wohnt dort, weil er seit drei Jahren Waise ist. Vollwaise. Er hat dort eine Wohnung vom Amt. Aber er tut alles, um dort rauszukommen. Nächstes Jahr macht er sein Abi und nebenbei geht er kellnern, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Doch ihr hört nur Hasenbergl und hörend und schon ist er bei euch unten durch. Er ist kein Umgang für eure ach so perfekte Tochter. Aber ich hab Neuigkeiten für euch. Ich bin nicht perfekt. Ich bin nicht so, wie ihr mich haben wollt, denn ich kann mich nicht mit eurem Leben zufriedengeben und manchmal, so wie heute, bin ich ein echter Arsch."

Unwirsch wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und gebärdete: „Ich habe so lange geschwiegen, denn ich habe echt Angst. Angst, dass ihr mich nicht mehr liebt, weil ich nicht so bin, wie ihr mich wollt. Ich habe solche Angst, dass mein wahres Ich euch dieses müde Lächeln abringt, das ich schon so oft gesehen habe, falls jemand aus unserer Gemeinschaft sich für einen alternativen Weg entscheidet. Ich hasse dieses ekelhaft überhebliche, herablassende Lächeln. Es zerreißt mich, wenn ich daran denke, dass ihr mich so ansehen könntet. Genauso wie die Tatsache, dass ihr den Jungen, den ich liebe, verabscheut, nur weil er aus einem schlechten Viertel kommt und keiner von uns ist."

Jetzt weinte sie bitterlich und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Plötzlich tippte sie ihr Vater an und durch ihren Tränenschleier sah sie, dass er betroffen und traurig wirkte. Als er sie in seine Arme zog, weinte sie noch mehr, während sie sich an ihn schmiegte. Der ganze Druck, der auf ihr gelastet hatte, fiel von ihr ab. Gleichzeitig baute sich aufs Neue welcher in ihr auf. Sie hatte Daniel verletzt. Sehr. Das hatte sie gesehen. Sie vergoss auch deswegen ein paar Tränen.

Als sie sich gefangen hatte, machte sie sich behutsam los, wischte sich die Tränenspuren vom Gesicht und stellte fest: „In letzter Zeit bin ich eine richtige Heulsuse."

Ihre Mutter sah sie ernst an und erwiderte: „Das ist wohl so, wenn man das erste Mal verliebt ist und erkennt, wie man sich sein Leben vorstellt und außerdem seinen Eltern sagen muss, dass sie mit ihren Vorstellungen falschliegen."

„Was?", erkundigte sie sich überrascht und ließ sich zurück auf die Bank plumpsen.

Ihr Vater setzte sich ebenfalls wieder und ergriff das Wort: „Du hast schon verstanden. Du bist unsere Tochter, Emma, und wir lieben dich. Wir sind nur Menschen und machen Fehler. Daniel zu verurteilen, ohne ihn zu kennen, war wohl einer davon. Es hat uns beeindruckt, wie er reagierte bei unserem letzten Treffen. Deswegen wollten wir mit euch beiden reden. Aber wir haben auch Angst, Emma. Angst, unsere Tochter zu verlieren. Wir fragen uns, ob wir richtig entschieden haben, als wir uns damals, als festgestellt wurde, dass du ebenfalls gehörlos bist, gegen ein CI entschieden haben. Wir wussten nichts von deinem Wunsch und du schienst zufrieden zu sein. Wir sind aus allen Wolken gefallen, als du uns im Streit nebenbei mitgeteilt hast, du würdest hören wollen. Wir zogen den Rückschluss, dass Daniel der Grund dafür sei, weil wir wegen ihm gestritten haben. Aber wir wollten nie, dass es derart eskaliert. Du bist unsere Tochter und wir lieben dich, egal, welchen Weg du einschlägst."

Wieder stiegen Tränen in ihren Augen und sie gab zu: „Das hat Daniel auch immer gesagt, wenn ich ihm von meinen Bedenken erzählt habe."

„Dann ist er also auch noch klug. Ich kann nicht erwarten, ihn kennenzulernen. Emma, falls du dich entschieden hast, dass du ein CI möchtest, werden wir dich unterstützen. Wir hoffen von ganzem Herzen, dass wir es nicht vermasselt haben und es noch geht. Ich bin übrigens trotzdem stolz auf uns", schmunzelte ihre Ma und sie erkundigte sich wieso.

„Wir haben eine Tochter großgezogen, die für ihre Überzeugungen einsteht, mit allen Konsequenzen. Das macht mich stolz. Stolz auf dich, denn es erfordert jede Menge Mut, seinen eigenen Eltern die Stirn zu bieten", erklärte diese und sie starrte ihre Mutter verwirrt an.

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